
Paderborn/Minden. Über mehrere Jahre hinweg, insbesondere im Raum Paderborn, hat eine anhaltende Serie von Autodiebstählen für Aufruhr gesorgt. Vor allem hochpreisige BMW-Modelle, die mit dem Keyless-Go-System ausgestattet sind, stehen bei den Tätern hoch im Kurs. Diese Technologie ermöglicht zwar das bequeme Öffnen und Starten ohne Schlüssel, lockt jedoch auch Kriminelle an.
Seit 2017 reißt die Diebstahlserie nicht ab und setzt sich auch 2018 und 2019 fort. Die Ermittler tappen lange im Dunkeln, bis ein glücklicher Zufall ihnen den entscheidenden Hinweis liefert. Die kriminelle Kette wird durchbrochen.
Die Bande agiert mit folgender Methode: Ein Mitglied nähert sich den Wohnhäusern, vor denen die Zielautos stehen, bewaffnet mit einem Empfangsgerät und einer Antenne. Viele Eigentümer machen es den Dieben leicht, indem sie ihre Wagen direkt vor der Tür abstellen. Das Signal des Keyless-Go-Systems wird abgefangen, und ein in der Nähe wartender Komplize mit einem Funkempfänger nimmt das Signal auf. Das Auto öffnet sich wie von Geisterhand. Mit wenigen Handgriffen starten sie die Fahrzeuge. Wenig später deaktivieren sie das Ortungssystem, um unentdeckt zu bleiben. Die gestohlenen Autos enden in einer Lagerhalle in Minden, wo sie demontiert und die Einzelteile ins Ausland verschickt werden. Durch diese Methode entwenden die Diebe insgesamt 27 BMWs, deren Wert sich auf 1,7 Millionen Euro summiert.
Die Jagd nach den Tätern, die Ermittlungstechniken und wie die Männer letztlich gefasst werden, darüber sprechen Birgitt Gottwald und Thorsten Fust, der Anwalt des Haupttäters, in der neuesten Folge von „OstwestFälle“, dem True-Crime-Podcast der „Neuen Westfälischen“.
Keyless-Go-Autodiebstahlserie – alle Fakten im Überblick:
- Hochwertige BMWs werden über Jahre hinweg in Ostwestfalen-Lippe gestohlen. Die Autos werden zerlegt und ins Ausland verbracht. Der Verlust beläuft sich auf 1,7 Millionen Euro.
- Die Diebe nutzen die Keyless-Go-Technologie, um die Autos zu entriegeln. Nach dem Start deaktivieren sie die Ortungssysteme und bringen die Fahrzeuge in eine Halle nach Minden.
- Die Ermittler stoßen durch Zufall auf die Spur der Bande. Eine DNS-Spur an einem nicht entwendeten BMW führt zu einem litauischen Staatsbürger namens Darius, dem Anführer der Bande.
- Nach intensiver Überwachung kann die Polizei die Bandenmitglieder festnehmen, als sie ein gestohlenes Auto in der Lagerhalle in Minden zerlegen.
- Das Trio muss sich vor dem Landgericht Paderborn verantworten. Zwei der Angeklagten erhalten Haftstrafen, während der dritte zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wird.
Ermittlungserfolg durch Zufall
In Paderborn-Elsen macht die Polizei eine aufschlussreiche Entdeckung: Einen geöffneten, aber nicht entwendeten BMW mit einer DNS-Spur, die auf einen Täter hindeutet. Die Diebe haben das Fahrzeug offenbar einige Meter bewegt und versucht, das Ortungssystem auszubauen, ohne zu wissen, dass es sich bei dem Auto um ein Hybridmodell handelt, bei dem das System anders verbaut ist. Um nicht geortet zu werden, lassen sie das Fahrzeug stehen. Diese Panne liefert den Beamten den entscheidenden DNS-Treffer. Die Spur führt zu einem litauischen Staatsbürger, der zunächst unauffindbar scheint.
Eine entscheidende Wendung ergibt sich durch einen Polizeieinsatz in Minden aufgrund einer Ruhestörung. Zwei Männer geraten in einen lautstarken Streit, und der Gesuchte befindet sich als Zeuge am Ort des Geschehens. Dieser Zufall erlaubt es den Ermittlern, die Identität des Mannes mit der am Tatort hinterlassenen DNS-Spur abzugleichen. Obwohl sie nun wissen, dass sie einen der Täter gestellt haben, nehmen sie ihn nicht fest.
Sie vermuten hinter der umfangreichen Diebstahlserie ein größeres Netzwerk. Die Ermittler setzen auf eine lückenlose Überwachung durch gerichtlich angeordnete Maßnahmen. Bald darauf entdecken sie die Halle in Minden, in der gestohlene Autos in Rekordzeit zerlegt werden. Bereits im Jahr 2017 hat es einen anonymen Hinweis auf diese Halle gegeben, der jedoch zunächst nicht weiterverfolgt wurde.

Großschlag gegen Autoknacker
Die Ermittler haben es auf den Kopf der Bande abgesehen. Sein Komplize ist verantwortlich für logistische Aufgaben, wie die Anmietung der Lagerhalle. Der Anführer der Bande hält sich zeitweise in Litauen auf. Bei seiner Rückkehr begleitet ihn ein weiteres Mitglied des kriminellen Netzwerks. Der Litauer ist dafür bekannt, für seine Taten Helfer anzuheuern – offenbar ist ein zuverlässiger Fahrer gefragt, erklärt sein Anwalt Thorsten Fust. Einer der Komplizen wird als Kurierfahrer eingesetzt. An diesem Abend öffnen sie auf übliche Weise ein Fahrzeug und fahren zur Halle in Minden. Kurz darauf greift die Polizei ein.
Die Halle entpuppt sich als Diebesgut-Depot. Zahlreiche Frontscheiben und andere Autoteile, deren Seriennummern teilweise unkenntlich gemacht wurden, werden gefunden. Ein entscheidender Fund ist ein Navigationsgerät, das 36 Adressen gespeichert hat – Orte, an denen auch BMW-Diebstähle stattgefunden haben, enthüllt Fust.
Das Trio muss sich vor dem Landgericht Paderborn wegen schwerer Anschuldigungen verantworten. Der Kopf der Bande steht wegen gewerbsmäßigen Bandendiebstahls in 27 Fällen vor Gericht. Ein Komplize wird der Beihilfe zum Diebstahl beschuldigt, das dritte Mitglied der Bande wird des Diebstahls angeklagt. Es findet ein Rechtsgespräch statt, um die Konsequenzen eines Geständnisses zu erörtern. Ein Deal wird ausgehandelt. Schließlich verurteilt das Gericht den Bandenanführer zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten, sein Komplize erhält zwei Jahre und drei Monate Haft, während der dritte aus der Bande mit einer Bewährungsstrafe davonkommt.
Sicherheitslücken bei Keyless Go
Der Fall wirft auch ein kritisches Licht auf Autohersteller und Versicherungen. Obwohl bereits 2019 Techniken verfügbar sind, um den Diebstahl von Fahrzeugen mit Keyless-Go-Systemen zu verhindern, werden diese nicht standardmäßig eingebaut. Die Folge: Vollkaskoversicherte Fahrzeuge, die gestohlen werden, führen zu Neuanschaffungen, was den Herstellern den Verkauf neuer Automobile ermöglicht. Inzwischen hat die Industrie reagiert und die Sicherheitstechnik verfeinert. Bei neueren BMW-Modellen wird das Signal des Schlüssels unterbrochen, wenn dieser nicht bewegt wird, was das unbefugte Öffnen und Starten der Fahrzeuge deutlich erschwert.