Neuer Rauschmittel-Hype: Tabakindustrie fordert Freigabe von Nikotinbeuteln

Berlin. Nikotinbeutel als rauchfreie Alternative zu Tabakprodukten werden in Deutschland immer beliebter. Sie wirken schnell, stinken nicht und sind günstig zu haben. In der Bundesrepublik ist das Rauschmittel verboten, trotzdem steigt die Zahl der Konsumenten, darunter auch Kinder und Jugendliche. Deutschlands Tabakbranche dringt auf die Zulassung von Nikotinbeuteln und stellt sie als weniger schädliche Alternative zu Zigaretten dar. Ärzte und Politiker warnen jedoch vor Gefahren. Nikotinbeutel sind neue Produkte der Tabakindustrie, die an den in Skandinavien weitverbreiteten Oraltabak Snus erinnern. Snus besteht aus Tabak, Aromen und weiteren Inhaltsstoffen und wird als loses Pulver oder portioniert in kleinen Beuteln verkauft, die Konsumenten hinter die Oberlippe oder Unterlippe klemmen und für etwa 15 bis 30 Minuten im Mund behalten. Das Nikotin gelangt dann über die Mundschleimhaut in den Blutkreislauf und von dort aus ins Gehirn. Nikotinbeutel werden genauso konsumiert und enthalten ebenfalls Nikotin, jedoch keinen Tabak. Nikotinbeutel dürfen in Deutschland nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums nicht verkauft werden. Da die Beutel keinen Tabak enthalten, fallen sie unter das Lebensmittelrecht. Über das Internet sind Nikotinbeutel aber leicht und oft auch legal zu beschaffen, weil sie aus Ländern stammen, in denen die Produkte legal verkauft werden dürfen. Zudem werden sie trotz des Verbots aufgrund fehlender Kontrollen und Strafen auch illegal in deutschen Tabakgeschäften verkauft. Nikotinbeutel an Schulen in OWL: Ärzte und Suchtberater warnen vor dem neuen Hype Nikotinbeutel enthalten bis zu 60 Milligramm Nikotin pro Portion Der Bundesverband der Tabakwirtschaft und der Tabakkonzern Philip Morris Deutschland setzen sich für eine streng regulierte Zulassung von Nikotinbeuteln ein, um gegen den aktuell explodierenden Schwarzmarkt vorzugehen, Inhaltsstoffe und Nikotinmengen in den Produkten besser kontrollieren zu können und um erwachsenen Rauchern eine weniger schädliche legale Option für den Konsum von Nikotin anbieten zu können. &bdquo;In vielen Ländern wurden Nikotinbeutel bereits legalisiert. Deutschland lässt das weiterhin nicht zu und verzichtet damit nicht nur auf Steuereinnahmen, sondern auch darauf, die Gesundheitskosten, die durch das Rauchen von Zigaretten entstehen, zu senken“, erklärt Torsten Albig, Geschäftsführer External Affairs des Tabakkonzerns Philip Morris in Deutschland. Nikotinbeutel in freien Verkauf? Firmen rühren Werbetrommel Der ehemalige Ministerpräsident Schleswig-Holsteins hofft, dass die neue Bundesregierung den Verkauf von Nikotinbeuteln an Erwachsene wie in Schweden oder Finnland zulassen wird. &bdquo;Wichtig sind dabei strenge Vorgaben und Kontrollen“, sagt Albig. &bdquo;Aktuell sind in Deutschland gefährliche Produkte aus China in Umlauf mit bis zu 60 Milligramm Nikotin pro Beutel. Das sind Mengen, die selbst starke Raucher überfordern.“ Beutel mit maximal drei oder sechs Milligramm Nikotin und ausschließlich in wenigen Pfefferminz-Geschmacksrichtungen seien ausreichend und könnten Rauchern dabei helfen, von der Zigarette wegzukommen. Tabaklobbyist fordert Verbote für süße Geschmacksrichtungen &bdquo;Unsere Zielgruppen sind ausschließlich Erwachsene, die seit langer Zeit und sehr stark rauchen. Nikotinbeutel sind aufgrund des enthaltenen Suchtmittels Nikotin nicht gesund, aber sie sind weniger gefährlich als Zigaretten, weil sie nicht die krebserregenden Stoffe enthalten, die nur beim Verbrennen von Zigaretten entstehen“, sagt Albig. Mit einer entsprechenden Aufklärungskampagne bestehe die Chance, Zigarettenraucher von der Alternative zu überzeugen, erklärt der frühere SPD-Politiker. &bdquo;Für Kinder und Jugendliche werden Nikotinbeutel deutlich weniger interessant, wenn die vielen süßen Geschmacksrichtungen nicht mehr verfügbar sind.“ Lesen Sie auch: Ärzte fordern Verbot von Einweg-E-Zigaretten Albig fordert bei einer Zulassung zudem wie in Finnland die Verhängung hoher Strafen von mindestens 50.000 Euro je Verstoß, wenn Nikotinbeutel an Minderjährige verkauft werden. &bdquo;Die Strafen müssen so hoch sein, dass sie für die Verkäufer existenziell wären, damit junge Menschen wirkungsvoll geschützt werden.“ Krebszentrum sieht keinen Nutzen in der Tabakentwöhnung Die US-amerikanische Zulassungsbehörde &bdquo;Food and Drug Administration“ (FDA) ist der Argumentation der Tabakindustrie gefolgt und hat dieses Jahr erstmals Nikotinbeutel zugelassen. Nach Angaben der FDA enthalten die insgesamt 20 zugelassenen Produkte geringere Mengen an schädlichen Inhaltsstoffen als Zigaretten. Die FDA geht zudem davon aus, dass das Risiko für Krebs und andere Erkrankungen im Vergleich zum Tabakkonsum sinkt und dass Raucher von Zigaretten auf Nikotinbeutel umsteigen. In Deutschland sorgen die Forderungen der Tabakindustrie für Kritik. Der Bundessuchtbeauftragte Burkhard Blienert (SPD) lehnt eine Zulassung von Nikotinbeuteln ab, um Kinder und Jugendliche vor einer Nikotinsucht zu bewahren. Der Paderborner warnt davor, Nikotinbeutel als vermeintliche Wohltat der Tabakindustrie zu bagatellisieren, weil Nikotin das höchste Suchtpotenzial habe. Lesen Sie auch: Rauchfrei in 2025: Tipps, damit es (diesmal) klappt Nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) gibt es zudem, anders als bei zugelassenen Entwöhnungsprodukten wie Nikotin-Pflaster, keine Belege dafür, dass Nikotinbeutel beim Ausstieg aus dem Rauchen von Zigaretten helfen. Das DKFZ fordert von der neuen Bundesregierung, dass sie Prävention zu einem zentralen Arbeitsschwerpunkt macht. Suchtmediziner befürchtet, dass die Zahl der Raucher steigen wird Die Gefahren bestätigt auch der Gütersloher Suchtmediziner Ulrich Kemper: &bdquo;Rauchlose Produkte wie Nikotinbeutel bringen keinen gesundheitlichen Gewinn und haben auch keinen Nutzen in der Tabakentwöhnung. Vielmehr besteht die Gefahr, dass die Zahl der Menschen mit einer Nikotinabhängigkeit steigt und wieder mehr Menschen rauchen.“ Nikotinbeutel seien zwar weniger gefährlich als tabakhaltige Produkte wie Snus, &bdquo;aber sie enthalten Nikotin und das zum Teil in hoher Konzentration“, moniert der ehemalige Chefarzt der Klinik für Suchtmedizin des LWL-Klinikums Gütersloh, der nach seinem Ruhestand weiter in der Suchtambulanz tätig ist. Kemper beobachtet, dass der Konsum von Nikotin und anderen Rauschmitteln zunimmt, um im Job oder der Schule mehr leisten zu können. &bdquo;Die Tabakindustrie nutzt diesen Trend und bietet immer mehr Alternativen zur Zigarette an, vor allem für junge Zielgruppen, weil die Zahl der jungen Raucher seit der Jahrtausendwende deutlich gesunken ist.“ Am Beispiel der Nikotinbeutel lasse sich das Vorgehen gut beobachten.

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