SPD-Politiker Jochen Ott: „Berufstätige Familien trifft es gerade besonders hart“

Herr Ott, Sie suchen seit Monaten besonders den Kontakt zu den Familien im Land. Welche Hauptnöte schildern sie Ihnen? Jochen Ott: Die berufstätigen Familien sind die, die im Moment am härtesten betroffen sind. Alles, was aktuell nicht funktioniert, trifft sie besonders. Wenn die Kitas schließen, wenn die Bahn nicht fährt, wenn der Arzt nicht öffnet. Dann gerät eine Familie in Stress. Kümmert sich die Politik nicht um sie? Viel zu wenig. Der Diskurs der Öffentlichkeit dreht sich vor allem um Migranten, Bürgergeld, Krieg – also Dinge, die mit dem konkreten Leben vieler Familien unmittelbar nichts zu tun haben. Deshalb fühlen sich aktuell die Menschen, die sich um ihre Kinder oder Eltern kümmern müssen, nicht wahrgenommen. Sie sind erschöpft vom Hamsterrad der Alltags-Organisation. Sie erwarten, dass der Staat einfach nur funktioniert. Nach Corona hat sich das immer weiter zugespitzt. Wie zeigt sich das? Junge und gut ausgebildete Mütter sagen uns, dass sie bei der Arbeit ihre Stundenzahl reduzieren werden, weil es nicht funktioniert, Familie und Beruf zu vereinbaren. Gleiches gilt für Frauen und Männer, deren Eltern krank und alt sind. Weil sie keinen Pflegeplatz finden oder ihn sich nicht leisten können, pflegen sie die Eltern selber zu Hause. Das überfordert sie. Sie wollen auch von den weltweiten Krisen und schlechten Nachrichten nichts mehr hören – und ziehen sich zurück. Es ist Aufgabe der SPD in NRW, die Themen dieser Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Lesen Sie auch: Mehr als Abteilung Attacke: Wofür der neue SPD-Fraktionschef Jochen Ott steht Wie steht es ums Geld? Die Reallohnentwicklung ist rückläufig. Die Familien konnten früher nach dem Besuch im Schwimmbad mit ihren Kindern Pizza essen. Heute sagen sie: Das ist nicht mehr drin, ich kaufe mir die Pizza bei Aldi und schiebe sie in den Ofen. Sie merken, dass sie mit ihrem hart verdienten Geld nicht mehr hinkommen. Es ist ja irre, welche Kosten auch in den Schulen anfallen – für das Essen, Taschenrechner, Schließfächer, Bustickets. Das war früher anders. Hier sollten wir die Familien massiv entlasten. So viel zur Problembeschreibung. Wie kann man die Situation verbessern? Ich will jetzt hier nicht das große Fass der Schuldenbremse aufmachen, obwohl ich es für einen schweren Fehler halte, in dieser Zeit nicht in wichtige Zukunftsprojekte zu investieren. Doch lassen wir das Geld mal beiseite. Es herrscht in vielen Bereichen grundsätzlich eine viel zu große Kontrollwut. Es gibt viel zu viele Vorgaben und offenbar auch ein großes Misstrauen gegenüber allem und jedem. Das gilt zum Beispiel auch für den Bildungsbereich, wo Lehr- und Erziehungskräfte immer mehr Auflagen bekommen. Oder in der Pflege. Wir sollten die Leute einfach ihren Job machen lassen und sie nicht immer weiter mit unnötiger Bürokratie belasten. Sie brauchen dafür viel mehr Freiräume. Wir sollten uns auf gemeinsame Ziele einigen – doch wie diese dann in den Einrichtungen umgesetzt werden, sollten wir vor allem den Experten überlassen. Das würde zu großen Entlastungen im Alltag führen. Was schlagen Sie noch vor? Ein großes Problem ist ja, dass sehr viel Unterricht ausfällt und dass Betreuungszeiten in Kitas reduziert werden, weil Fachkräfte fehlen. Es muss also viel einfacher möglich sein, kurzfristig Personal für Kitas und Schulen zu gewinnen. Zwei Beispiele aus meiner Heimat in Köln: Ein Musiklehrer, der dort Chöre leitet, darf in der Schule nicht unterrichten. Eine Opernsängerin macht in der Offenen Ganztagsschule seit Jahren Musikangebote, aber das Fach Musik darf sie nicht an der Schule unterrichten, obwohl es ein Mangelfach ist. Das muss sich sofort ändern. Ich hätte da genug Ideen. Mich macht wahnsinnig, dass die Landesregierung nur verwaltet, aber keine Ideen hat. Braucht es im Bildungsbereich nicht einfach viele Jahre, bis sich Verbesserungen bemerkbar machen? Das darf keine Erklärung sein. Die frühere NRW-Schulministerin Ute Schäfer hat damals gegen massiven Protest den Offenen Ganztag ausgerollt. Sie hat einfach gemacht. Das erfordert Mut und Kreativität. Darauf warte ich heute in NRW vergeblich. Wen meinen Sie? Das betrifft unter anderem Schulministerin Feller. Und bei den handwerklichen Problemen der Regierenden muss ich objektiv feststellen, dass es überproportional viele Grünen-Ministerien sind, die ihre Häuser nicht im Griff haben – im Bund und in NRW. NRW-Regierungschef Wüst sagt, dass das Land einen Schwerpunkt auf die Bildung legt. Welche Stärken und Schwächen attestieren Sie ihm? Er achtet sehr genau auf die Inszenierung – und bespielt damit die Berliner Bühne. Was im Landtag und der Landespolitik passiert, interessiert ihn herzlich wenig. Das ist zum großen Schaden von NRW und der Menschen, die hier leben. Schließlich sind Wohnen, Schule, Kita alles Landesthemen. Aber Hendrik Wüst kümmert sich nicht drum und träumt nur von Berlin. Aber das wird sich bald ändern, wenn er mit Friedrich Merz als Kanzlerkandidat der CDU aufwacht. Dann werden auch die Rolle Wüsts als Ministerpräsident und seine schlechte Bilanz für NRW mehr betrachtet. Lesen Sie auch: Hunderte Kitaplätze in OWL weniger: Brauchen Eltern keine U3-Betreuung mehr? Sie sind Fraktionschef des größten SPD-Landesverbandes. Haben Sie eine Botschaft an Ihre Partei in der Ampel in Berlin? Es braucht jetzt Investitionen, die das Vertrauen der berufstätigen Familien zurückbringen: in Infrastruktur, in Bildung, in die Umwandlung der Wirtschaft. Diese drei Bereiche müssen die absolute Priorität haben. Und Menschen mit Durchschnittseinkommen brauchen massive Entlastungen, damit sie mit ihren Kindern wieder Pizza essen gehen können. .responsive23-QqOXztuXdS61XYCb-bar-grouped-vertical-tageseinrichtungen-in-nrw-nach { width: 100%; padding-top: 100%; } @media (max-width: 600px) { .responsive23-QqOXztuXdS61XYCb-bar-grouped-vertical-tageseinrichtungen-in-nrw-nach { padding-top: 100%; } } @media (max-width: 360px) { .responsive23-QqOXztuXdS61XYCb-bar-grouped-vertical-tageseinrichtungen-in-nrw-nach { padding-top: 142.86%; } }

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