OWL Crime – mit Podcast

Herforder Drogendealer: Bande begeht sieben Morde in verschiedenen Ländern

Ihre Verbrechen sind wohl einzigartig im Land. In der aktuellen Podcast-Folge geht es um die Morde einer Dealerbande, bei der auch ein Herforder Mitglied war.

Die Ermittler suchen an der mit Bäumen und Strauchwerk bewachsenen Schlackehalde in Herne nach den beiden ehemals in Höxter gemeldeten Opfern. | © Hanjo Schumacher

21.03.2024 | 21.03.2024, 06:07

Herford/Bielefeld. Der Bielefelder Bahnhof im Februar 2004: Ermittler der Drogenfahndung beobachten einen Heroin-Dealer im Bereich des Stadthallenparks. Als sie genug gesehen haben, schlagen sie zu. Sie nehmen den 27-jährigen Rauschgifthändler aus Herford fest. Was die Beamten zu diesem Zeitpunkt noch nicht unbedingt ahnen: Der Mann mit den dunklen kurzen Haaren, den sie mal wieder abführen, wird bereits bundesweit per Haftbefehl gesucht.

Alexej F. (Name geändert) ist Mitglied einer sechsköpfigen Gruppe junger Männer, deren Mitglieder in Deutschland und den Niederlanden sieben Menschen ermordet haben – es ist eine der schwerwiegendsten Mordserien der vergangenen Jahrzehnte in der Bundesrepublik. Davon zu berichten weiß NW-Redakteur Jobst Lüdeking in der aktuellen Podcast-Folge. Er begleitete den Fall vor knapp 20 Jahren redaktionell und schätzt ein, was das Ungewöhnliche daran ist: Die Brutalität, mit der die Täter vorgehen – unter anderem der Haupttäter. Es ist der erst 20-jährige Erwin M. aus Herne.

Die Ermittlungen zu der Mordserie beginnen am 14. Dezember 2003 auf einer Schlackehalde in Herne. Die Leiche des Immobilienmaklers Kemal T. wird dort entdeckt. Die Hände des Düsseldorfers sind hinter seinem Rücken mit Kabelbindern fixiert. Der 32-Jährige ist mit Kopfschüssen aus einer Halbautomatik, Kaliber 7,65 Millimeter, getötet worden – eine Hinrichtung. Es ist der erste bekannt gewordene Mord, der sich später einer Gruppe von zunächst sogar sieben jungen Männern zuordnen lässt – und das auch auf Grund der Projektile aus der Pistole.

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Die sieben Morde der Dealerbande - Alle Fakten im Überblick

  • Auf einer Schlackehalde in Herne wird am 14. Dezember 2003 die Leiche des Immobilienmaklers Kemal T. entdeckt. Die Hinrichtung ist der Beginn eines Bandenverbrechens, an dessen Ende sieben Morde stehen.
  • Zur Bande - bestehend aus sechs russischen Männern- gehört auch der 27-jährige Alexej F. aus Herford. Er gleitet früh in die Drogensucht ab und verkehrt in falschen Kreisen.
  • Um groß in den Drogenhandel einzusteigen, ist Gewalt der ständige Begleiter der Männer. Statt in schwierigen Geschäftssituationen nachzuverhandeln, erschießen sie ihre Geschäftspartner.
  • Ihre Verbrechen beschränken sich dabei nicht nur auf Deutschland. Im Januar 2004 sind die Männer für einen Dreifachmord in Rotterdam verantwortlich.
  • Auch ein Mitglied aus den eigenen Reihen wird erschossen. Verantwortlich für den Tod von Roman L. zeigt sich Alexej F., Auslöser dafür ist ein Machtkampf innerhalb der Gruppe.
  • Nachdem Alexej F. gefasst wird, kommen weitere Morde ans Licht. Auf der Schlackehalle in Herne werden zwei weitere Leichen gefunden, tief vergraben in der Erde. Beide lebten vermutlich in Höxter.

Alexej F. kommt aus Russland nach Herford

Die Mitglieder der Gruppe – alle in ehemaligen Teilrepubliken der UdSSR geboren – sind in den Jahren zuvor mit ihren Angehörigen von Russland nach Deutschland gekommen. So auch Alexej. Er lebt mit seiner Mutter in Herford. Die alleinerziehende Frau gilt als überaus freundlich und liebevoll.

Aber sie kann das Abgleiten ihres Sohnes in die Drogensucht nicht aufhalten. Viele der jungen Männer sind als Kinder oder Jugendliche – oft gegen ihren Willen – aus der früheren UdSSR nach Deutschland gekommen, haben es aber schwer, sich zu integrieren.

Alexej F. konsumiert Alkohol, aber auch – wie es damals offenbar häufiger vorkommt – Heroin. Es folgen kleine Straftaten, Eigentumsdelikte und Körperverletzungen. Für die Justiz ist der junge Spätaussiedler kein Unbekannter. Schließlich erhält er vier Jahre wegen Raubes – eine Strafe, die er in Detmold absitzt, wo er ein späteres Bandenmitglied kennenlernt. Er habe sehr ruhig, freundlich aber auch sehr bestimmend gesprochen, heißt es später von jemandem, der ihn kennenlernte.

Alexej F. ist mit den Bandenmitgliedern befreundet

Mit den fünf anderen Mitgliedern der bandenartig agierenden Gruppe hat er ebenfalls seit Jahren Kontakt. Sie stammen aus den früheren Teilrepubliken Tadschikistan, Kasachstan, Usbekistan. Sie sind ebenfalls abhängig, berauschen sich mit Alkohol und Heroin – in der Bundesrepublik damals – wie es in Ermittlerkreisen heißt – eher eine Droge des sozialen Abstiegs, der Abgehängten. Die jungen Männer jedoch wollen aufsteigen, Geld machen, leben.

Sie sind dabei, groß in den Drogenhandel einzusteigen. Bis zu ihrer Festnahme kontrollieren sie nach den späteren Angaben der Polizei die Drogenszene in Bochum, Herne und Düren. Und das mit überaus brutalen Mitteln. Sie gelten als eiskalt. Die Männer – vor allem der 20-jährige Erwin M. – greifen sofort zur Waffe, töten als ob es das Selbstverständlichste auf der Welt sei.

Im späteren Prozess wird berichtet, wie mit Opfern umgegangen wird. Unter „normalen“ Dealern hätten Geschäftsprobleme meist Nachverhandlungen zu Folge gehabt. Nicht so bei der Bande: Das Opfer wird einbestellt, gefesselt, erschossen. Gewissensbisse? Fehlanzeige. Nach einem der Morde geht die Gruppe gemeinsam zu McDonalds zum Essen.

Drei Morde der Dealerbande in Rotterdam

Nicht nur in Deutschland töten die Verbrecher. Ein Daten-Abgleich mit der niederländischen Polizei zeigt, dass die Mitglieder für einen Dreifachmord in Rotterdam verantwortlich sind. Im Januar 2004 findet die Polizei dort drei Drogendealer. Die Hände der Opfer sind mit Kabelbindern auf dem Rücken fixiert, die Rauschgifthändler mit Kopfschüssen getötet worden, ihre Drogen sind geraubt. Die Waffe: Kaliber 7,65 Millimeter. Anders als in Deutschland macht sich die Bande hingegen nicht die Mühe, die Opfer verschwinden zu lassen. Sie lassen sie einfach in der Wohnung liegen. Das Motiv für das Verbrechen: Die Dealer fühlten sich nach einer Heroinlieferung betrogen.

Schließlich erwischt es auch ein Mitglied der Gruppe – es ist offenbar eine Art Säuberung. Im Februar 2004 wird der 29-jährige Roman L. hingerichtet. Diesmal ist es Alexej F. aus Herford , der abdrückt, seinen früheren Komplizen mit mehreren Schüssen hinrichten will. Das Motiv für die Bluttat: ein Streit um die Vorherrschaft im Dürener Drogenhandel. Der angeschossene 29-Jährige schafft es zwar noch, sein Auto zu starten und zu fliehen – er will offenbar zur Polizei.

Mit seinem Wagen rammt er aber einen Ampelmast und erliegt noch an der Unfallstelle seinen Schussverletzungen. Das Opfer selbst ist wiederum an dem Mord an dem Düsseldorfer Immobilienmakler beteiligt. Über seinen Bielefelder Strafverteidiger Peter Wüller lässt Alexej F. später ausrichten, dass er die Tat unter dem Einfluss von Heroin begangen hat. Er habe auch handeln müssen, da Ramon L. einen Killer auf ihn angesetzt habe.

Zwei der Toten stammen vermutlich aus Höxter

Nach den Morden in Düren, Herne und Rotterdam laufen die Ermittlungen auf Hochtouren und die Polizei nimmt die ersten Mitglieder der Bande fest. Schließlich klicken für Alexej F. die Handschellen. Die Vernehmungen der Bandenmitglieder gestalten sich zunächst schwierig, ihre Aussagebereitschaft ist gering. Womöglich beziehen sich die jungen Männer auf eine Art Ehrenkodex der russischen Mafia, der sogenannten „Diebe im Gesetz“, der nicht nur das eiserne Schweigen gegenüber der Polizei beinhaltet. Schließlich ist einer jedoch bereit, zu reden – er kommt in ein Zeugenschutzprogramm.

Die Waffen der Gruppe: Unter anderem eine Pistole mit Schalldämpfer, ein Gewehr mit Zielfernrohr und eine Pumpgun für Schrotmunition. - © Polizei Bochum
Die Waffen der Gruppe: Unter anderem eine Pistole mit Schalldämpfer, ein Gewehr mit Zielfernrohr und eine Pumpgun für Schrotmunition. | © Polizei Bochum

In einer konspirativen Wohnung in Herne entdecken die Polizisten Drogen und Waffen. Darunter sind ein Gewehr mit Zielfernrohr sowie eine Pistole mit Schalldämpfer. Und es gibt Angaben zu zwei weiteren Morden. Kurz darauf sind die Ermittler der Bochumer Kriminalgruppe 21, zuständig für Organisierte Kriminalität, wegen der Aussage dieses Kronzeugen erneut an der Herner Schlackehalde.

Sie graben. In 3,20 Meter Tiefe finden die Polizisten die Überreste zweier weiterer Männer. In einem der Körper steckte eine Kugel. „Vermutlich handelt es sich um die seit einem Jahr vermissten Georgier Gia Z. (33) und Mamedi R. (21)“, sagt eine Polizeisprecherin nach dem Fund. Die Opfer, die Asylanträge gestellt hatten, lebten in Höxter, waren dort aber spurlos verschwunden. „Ich habe die Grube ausgehoben“, gesteht der Zeuge. Umgebracht habe er die beiden Männer aber nicht.

Lebenslängliche Haftstrafe für Herforder Alexej F.

Die gerichtsmedizinische Untersuchung sowie der Zahnstatus und ein DNA-Test bestätigen den frühen Verdacht der Mordermittler. Sie vermuten, dass es zum Streit um Drogengeschäfte zwischen den Mitgliedern der Bande und den Georgiern gekommen ist. Als Hauptverdächtigen haben sie, wie bei dem Mord an dem Düsseldorfer Immobilienmakler, den erst 20-jährigen Erwin M. aus Herne im Visier.

Er gilt als überaus brutal und trotz seines Alters als Kopf der Bande. Der Makler, so wird später bekannt, wurde – von Erwin M. – hingerichtet, weil er einem anderen Mitgliede der Bande angeblich aus einem Immobiliengeschäft Geld schuldete. Im Sommer 2004 werden die sechs noch lebenden Mitglieder der Bande wegen der Morde vor dem Landgericht Bochum angeklagte. Für den Prozess gelten höchste Sicherheitsvorkehrungen, SEK-Beamte sichern den Saal 3 des Landgerichts.

Es gibt die Befürchtungen, dass es Befreiungsversuche oder eine Geiselnahme geben könnte. Die Ermittler halten es damals auch für möglich, dass es Hintermänner gibt. Doch bis auf den Kronzeugen schweigen die Angeklagten. Alexej F., der für den Mord an seinem Komplizen in Düren verantwortlich ist und die Tat gestanden hat, erhält eine lebenslängliche Haftstrafe.

Kopf der Bande schreibt Kriminalgeschichte

Der Kopf der Bande, Erwin M. wird wegen der von ihm begangenen fünf Morde und einem Totschlag verurteilt. Er erhält ebenfalls eine lebenslange Freiheitsstrafe – dabei wäre noch eine Verurteilung nach Jugendrecht möglich gewesen. Davon sieht die Kammer allerdings ab. Er habe schon fast Kriminalgeschichte geschrieben, sagt der Vorsitzende Richter Johannes Kirfel in seiner Urteilsbegründung.

„Wann sonst gab es einen so jungen Mann, der so viele Morde begangenen hat?“ Und auch ein weiteres Mitglied der Gruppe ereilt das gleiche Strafmaß. Die anderen drei erhalten lange Haftstrafen von dreieinhalb bis zu zehneinhalb Jahren.Die Mörder hätten jeglichen Respekt vor dem Leben verloren. Richter Kirfel schließt nicht aus, dass der Haupttäter Erwin M. noch mehr Morde auf dem Gewissen hat. „Wenn man daran denkt, wie professionell bereits die ersten beiden Morde begangen wurden, fragt man sich natürlich, ob er das zum ersten Mal gemacht hat“, so der Richter in seiner mündlichen Urteilsbegründung

Tatsächlich ist die Mordkommission nach dem Fund der beiden georgischen Opfer dabei, die Herner Schlackehalde mit Leichenspürhunden großflächig abzusuchen – ohne Ergebnis. Alexej F. und seine beiden ebenfalls zu lebenslanger Haft verurteilten Komplizen sind seit Februar 2004 nicht mehr auf freiem Fuß. Die drei Männer verbüßen nach wie vor ihre Haftstrafen wegen Mordes.