„Buchungstricks“: NRW-Kommunen befürchten Finanzkollaps

Düsseldorf/Bielefeld. Es ist wenige Wochen her, da erreichten die Hilferufe der Städte und Gemeinden in NRW eine neue Dimension. Mindestens vier von zehn Kommunen würden angesichts massiver Finanzprobleme in die Haushaltssicherung rutschen, hieß es im Herbst vom Städte- und Gemeindebund. Doch so schlimm ist es nicht gekommen. Woran liegt das – und was bedeutet das für den Alltag der Bürgerinnen und Bürger? Von seiner Prognose im September 2023 nimmt der Städte- und Gemeindebund in NRW gegenüber dieser Zeitung inzwischen Abstand. Auch ein Blick nach OWL zeigt: Kommunen, die sich zum Jahresende noch mit einer möglichen Haushaltssicherung befassten, kommen jetzt vermutlich drumherum. Das gilt zum Beispiel für die Stadt Steinheim im Kreis Höxter, Oerlinghausen im Kreis Lippe und die Stadt Paderborn. Das bedeutet: Sie können in ihren Haushalten weiterhin die Ausgaben durch Einnahmen decken. Sobald dies nicht mehr der Fall ist, müssten die Kommunen ihre Haushalte von den Bezirksregierungen genehmigen lassen. Sie müssten dann ein sogenanntes Haushaltssicherungskonzept auflegen, in dem sie konkret darlegen müssten, wie sie wieder schwarze Zahlen schreiben wollen. &bdquo;Prekäre Situation wird vertuscht“ Dass dieses Szenario nun vielen Kommunen erspart bleibt, hat zunächst damit zu tun, dass sie zum Jahresende weitere Einsparungen auf den Weg gebracht haben. Experten sehen einen weiteren Knackpunkt: Die NRW-Landesregierung wolle den Kommunen im Haushaltsrecht mehr &bdquo;Gestaltungsspielraum“ ermöglichen, heißt es vom Städte- und Gemeindebund. Als &bdquo;Buchungstricks“ bezeichnet das Duisburgs Kämmerer Martin Murrack (SPD). Wenn ein negatives Jahresergebnis in den nächsten Jahren planerisch ausgeglichen werden könne, sei dies kein Grund mehr, in die Haushaltssicherung zu rutschen. Während Corona und zu Beginn des Ukraine-Kriegs hatte das Land den Kommunen ähnliche Möglichkeiten eingeräumt. &bdquo;Unter dem Strich alles Buchungstricks, um die prekäre Situation vieler Kommunen für ein bis drei Jahre zu vertuschen“, meint Murrack. Im Endeffekt würden so die vorhandenen Probleme nur in die Zukunft geschoben und dadurch eher größer als kleiner. &bdquo;Frisches, dringend benötigtes Geld gibt es keines.“ Kommunalexperte: Probleme der Kommunen werden nur aufgeschoben Auch Martin Junkernheinrich, Professor für Kommunal- und Regionalpolitik, glaubt: Durch die Buchungspraxis wird die sich finanzielle Situation der Kommunen nur kurzfristig überdeckt. &bdquo;Die Probleme sind damit jedoch nur aufgeschoben. Sie werden zu einem späteren Zeitpunkt umso stärker sichtbar werden.“ Die Folgen der über Jahre hinweg unterlassenen Sanierungen und Investitionen würden sichtbarer werden. Die Menschen merkten dies zum Beispiel an maroden Brücken, Straßen und Schulen. &bdquo;Derzeit nehmen die Defizite in vielen nordrhein-westfälischen Kommunen wieder massiv zu und schränken die Handlungsfähigkeit weiter ein. Und dann sollen die Kommunen ja auch die Energie- und Verkehrswende stemmen“, sagt Junkernheinrich. Laut Murrack müssen Kommunen in der Haushaltssicherung schwierige Entscheidungen treffen, um das Defizit wieder auszugleichen. Sie müssten dann zum Beispiel freiwillige Leistungen kürzen, also im schlimmsten Fall Museen oder Theater schließen, Personal abbauen, Steuern wie die Grund- und Gewerbesteuer erhöhen, die Kita-Gebühren erhöhen oder neue Abgaben auf den Weg bringen. &bdquo;Eine Haushaltssicherung wäre für die Bürger also konkret spürbar“, sagt Murrack. Städtebund beklagt &bdquo;systematische Unterfinanzierung“ Das NRW-Kommunalministerium verweist auf Anfrage darauf, dass sich zum Stichtag 31. Dezember 2023 nur noch 42 der 427 Kommunen in der Haushaltssicherung befanden. Im Jahr 2017 seien es noch 163 gewesen. Entlastungspakete des Landes hätten dazu beigetragen, dass die Kommunen auf dem Weg zur Konsolidierung ihrer Haushalte &bdquo;ein großes Stück“ vorangekommen seien. Ein im Dezember eingebrachter Gesetzentwurf sehe notwendige Änderungen im kommunalen Haushalts- und Wirtschaftsrecht vor, um einen gesetzmäßigen Haushalt auch in wirtschaftlichen Krisenzeiten im Plan erreichen zu können. Zudem würden die Kommunen mit dem Landeshaushalt in diesem Jahr 36,9 Milliarden Euro erhalten – und somit 700 Millionen Euro mehr als 2023. Für den Städte- und Gemeindebund ist hingegen für das &bdquo;grundlegende Problem der systematischen Unterfinanzierung“ keine Lösung in Sicht. Der Kollaps sei nur vertagt.

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