Bielefeld. An einem späten Mittwochabend im Dezember 2021 in der Nähe der Bartholomäuskirche in Brackwede fallen plötzlich Schüsse. Ein Mann, Memo K., liegt schwer verletzt am Boden. Trotz schneller Hilfe und einer Notoperation stirbt er kurze Zeit später im Krankenhaus. Der Schütze, Sinan K., ist schnell identifiziert und stellt sich der Polizei. Warum er mehrfach auf das Opfer schoss, will er aber nicht sagen. Was ist an jenem Abend passiert?
Die Todesschüsse von Brackwede - Alle Fakten im Überblick
In der Nähe einer Bushaltestelle im Bielefelder Stadtteil Brackwede wird Memo K. von mehreren Schüssen getroffen und verstirbt kurze Zeit später im Krankenhaus.
Der 31-Jährige ist polizeibekannt und im Drogenmilieu aktiv. Auch der Täter ist schnell gefunden und stellt sich nach einer Fahndung der Polizei.
Der 28- jährige Sinan K. und das spätere Opfer sollen sich zu einer Aussprache wegen einem missglückten Drogengeschäft verabredet haben. Als der Streit eskalierte, schoss er mehrmals auf Memo K. und versuchte auch die Begleiter des Opfers zu treffen.
Während der Gerichtsverhandlung kommt es mehrfach zu Tumulten zwischen Opfer- und Täterfamilie. Im Gerichtssaal herrschten höchste Sicherheitsvorkehrungen. Nach mehreren Zeugenaussagen gerieten die Familien verbal und physisch aneinander, sodass der Saal geräumt wurde.
Da das Opfer vor den Schüssen mit dem Täter eine körperliche Auseinandersetzung gehabt haben soll, kann das Mordmerkmal Arglosigkeit vom Gericht nicht festgestellt werden. Sinan K. wird wegen Totschlags und versuchtem Totschlags zu einer Haftstrafe von 13 Jahren verurteilt.
Es ist Mittwochabend, 21.48 Uhr, als in Höhe der Bushaltestelle Brackweder Kirche am Taxiplatz Schüsse durch die Nacht peitschen. Eine Busfahrerin des Unternehmens MoBiel hat mit ihrem Bus gerade die Haltestelle an der Hauptstraße/Ecke Berliner Straße erreicht.
Bei offener Tür hört sie plötzlich Schüsse: „Ich dachte zunächst, es sei ein vorgezogenes Silvesterfeuerwerk. Doch dann sah ich einen Mann aus dem Dunkeln torkeln. Er setzte sich auf eine Bank und brach dort zusammen", erzählt die Busfahrerin. Bis zum Eintreffen der Rettungskräfte leistet sie erste Hilfe.
Wer war das Opfer Memo K.?
Der polizeibekannte Memo K. war Betreiber einer Teestube/eines Clubs in direkter Nähe zum Tatort. Der 31- Jährige soll im Drogenmilieu unterwegs gewesen sein und wurde kurze Zeit vor den tödlichen Schüssen erst aus dem Gefängnis entlassen. Seine Freunde beschreiben Memo K. als einen herzensguten Menschen, der immer hilfsbereit war und auch dabei half, im Streit zu vermitteln. Die andere Seite beschreibt ihn als sehr gefährlichen Mann, mit zweifelhaften Freunden.
Die Straftat ereignete sich in einer Gegend, die Verwaltung und Polizei schon länger Sorgen bereitete. Dass in diesem Bereich zwischen Treppenplatz und Berliner Straße mit Drogen gehandelt wird, war ein offenes Geheimnis. Die Anwohner klagen seit Jahren über Ruhestörungen, Vandalismus und mangelnde Sicherheit. Diverse Straftaten wurden verübt, Streetworker sind im Einsatz.
Konflikt um ein missglücktes Drogengeschäft
Der Täter ist durch Zeugenaussagen schnell identifiziert. Nur einen Tag später veröffentlicht die Polizei einen Fahndungsaufruf nach dem 28- jährigen Sinan K. Der gelernte Maler und Lackierer ist ebenfalls bereits polizeibekannt und stellt sich am Tag darauf der Polizei.
Über sein Motiv schweigt er bis zum Prozessbeginn, gibt jedoch durch seinen Anwalt bekannt, dass er mit der bisherigen Darstellung des Tatablaufs nicht einverstanden ist. Memo K. habe ihn angegriffen, er habe aus Notwehr gehandelt.
Laut Staatsanwaltschaft sollen sich Opfer und Täter zu einer Aussprache getroffen haben. Bei dieser soll es um ein missglücktes Drogengeschäft zwischen Sinan K. und einem Freund von Memo K. gegangen sein. Memo K. sollte in der Folge vermitteln. Sinan K. soll Angst vor dem Opfer gehabt haben und mit einer bereits griffbereiten Waffe vorgefahren sein.
Täter zielt auf Freunde von Memo K.
Nach einer verbalen Auseinandersetzung habe Sinan K. zunächst zweimal auf Memo K. geschossen. Die Schüsse trafen Memo K. in Schlüsselbein und Oberarm. Als das Opfer bereits am Boden lag, habe sich Sinan K. aus dem Fenster gelehnt und nochmals in den Rücken geschossen.
Bekannte des Opfer haben einige Meter entfernt gestanden und die Aussprache beobachten wollen. Nachdem er zunächst auf Memo K. schoss, versuchte er auch auf die Freunde zu schießen, gelungen ist ihm das jedoch nicht. Unklar bleibt auch die Frage, ob Memo K. auf Sinan K. im Vorfeld der Schüsse eingeschlagen hat, denn wenige Tage soll Sinan K. Verletzungen aufgewiesen haben.
Im Juni 2022 startet der Prozess gegen Sinan K. vor dem voll besetzten Bielefelder Landgericht unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen. Das Gericht fürchtet Angriffe auf den Angeklagten oder andere Prozessbeteiligte, denn Teile der Täter- und Opferfamilien sollen stark verfeindet sein.
Wegen Totschlags und vierfachen versuchten Totschlags (Schüsse auf Begleiter) angeklagt ist Sinan K.
Hier Sicherheitskontrolle vor dem Gerichtssaal (Waffenkontrolle) | © Andreas Zobe
Gerichtssaal musste wegen Störungen geräumt werden
Während der Gerichtsverhandlung kommt es immer wieder zu wilden Tumulten und Zwischenrufen. „So eine Gerichtsverhandlung habe ich noch nie erlebt", sagt Redakteur Jürgen Mahncke. Die Zeugenaussagen erweisen sich als schwierig. Viele Zeugen werden ungehalten, patzig und frech, berichtet Mahncke. Ein Zeuge bezeichnet Sinan K. als „abgedrehten Psychopathen". Er solle mit Autos, Drogen und Waffen dealen.
Als der Onkel des Angeklagten davon sprach, das Sinan K. in eine Falle gelockt worden sei, eskalierte die Situation im Gerichtssaal. Mitglieder beider Familien gingen zunächst verbal aufeinander los und wurden dann handgreiflich, manche sprangen über die Zuschauerbänke. Daraufhin ordnete der Richter die Räumung des Gerichtssaals an, erst dann konnte die Verhandlung fortgesetzt werden.
Sinan K. muss 13 Jahre in Haft
Mit Ende der Beweisaufnahme ließ Sinan K. vor der Schwurgerichtskammer sein Geständnis und eine Entschuldigung verlesen: „Was passiert ist, wollte ich nicht. Es tut mir leid - besonders für den Verstorbenen und seine Familie", liest sein Anwalt die abgesprochene Erklärung vor.
Memo K. habe ihn aus seinem Auto zerren wollen. Daraufhin habe er Knallgeräusche gehört und in Todesangst die Schüsse abgegeben. Diese Knallgeräusche konnten jedoch von keinem Zeugen bestätigt werden.
Das Gericht hielt diese Aussage offensichtlich für wenig glaubwürdig und verurteilte Sinan K. wegen Totschlags und versuchtem Totschlags zu 13 Jahren Haft. Die Tat sei aus einer plötzlichen Konfrontation entstanden.
Dass es vor den Schüssen zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen Opfer und Täter kam, sieht das Gericht als bestätigt an. Somit sei das Mordmerkmal „Arglosigkeit des Opfers" nicht mehr gegeben und es könne nicht wegen Mordes verurteilt werden.
Nach dem Urteil wurde von Verteidigung und Nebenklage Revision gegen die Entscheidung des Landgerichts eingelegt. Die Nebenklage wollte eine Verurteilung wegen Mordes erreichen, die Verteidigung eine geringere Strafe. Im September 2023 wies der Bundesgerichtshof beide Revisionen ab und bestätigte somit das Bielefelder Urteil. Es ist damit rechtskräftig.