Alle Kliniken zur Frühchenversorgung in OWL bleiben vorerst erhalten

Bielefeld/Dortmund. Das Klinikum Herford, das Johannes-Wesling-Klinikum Minden und das Klinikum Lippe-Detmold werden auch in Zukunft Standorte mit Level-1-Perinatal-Zentren bleiben. Das geht aus der Mindestmengen-Transparenzliste der AOK Nordwest hervor, die jetzt veröffentlicht wurde. Eigentlich drohte allen drei Zentren das Aus, weil sie pro Jahr weniger Fälle behandeln, als der Gesetzgeber vorgibt. Doch Ausnahmeregelungen machen den Fortbestand möglich. Daran gibt es auch Kritik. Denn die Vorgabe der Mindestmenge dient vor allem dem Ziel der Qualitätssicherung besonders komplizierter OPs oder Behandlungen. Zugrunde liegt die Annahme, dass das Ergebnis der Behandlung mit zunehmender Erfahrung der Ärztinnen und Ärzte oder des Behandlungsteams besser wird, weil Abläufe und Teamarbeit eingespielt sind und erfahrenes pflegerisches und ärztliches Personal vorhanden ist. Bei der Versorgung extremer Frühchen müssen Kliniken deshalb mindestens 25 Fälle im Jahr vorweisen können. Laut AOK-Transparenzliste lagen vier Kliniken in OWL im Zeitraum vom 1. Juli 2022 bis zum 30. Juni 2023 unter dieser Vorgabe. Im Klinikum Herford wurden 18 Fälle versorgt, im Klinikum Lippe-Detmold 21 Fälle, im Johannes-Wesling-Klinikum in Minden 22 und im St. Vincenz-Krankenhaus in Paderborn 24 Fälle. Lediglich das Evangelische Klinikum Bethel in Bielefeld lag mit 47 Fällen deutlich über der Mindestmenge. In der aktuellen Transparenzliste ist aber jedes der fünf Häuser mit einem grünen Punkt gekennzeichnet, der klar und deutlich die "Zulässigkeit der Leistungserbringung für das Jahr 2024 positiv bestätigt". Ausnahmen und Übergangsregelungen sind vorgesehen Dies hängt damit zusammen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA), höchstes Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, Ausnahmen und Übergangsregelungen vorsieht. Zudem können einzelne Bundesländer eine Nichtanwendung der Mindestmengen für einzelne Krankenhäuser beschließen, wenn durch den Wegfall des Angebots zum Beispiel die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung gefährdet ist. "Außerdem wird die Erlaubnis auch erteilt, wenn Krankenhäuser glaubhaft versichern können, dass die Mindestmengen vorübergehend aufgrund von zum Beispiel personeller Engpässe nicht erreicht werden konnten", teilt AOK-Nordwest-Sprecher Jens Kuschel auf Anfrage mit. Ergo hatte auch im Vorfeld keines der im kritischen Bereich liegenden Häuser mit der Schließung seines Perinatal-Zentrums gerechnet und im Gegenteil sogar von Ausbau gesprochen. &bdquo;Die Zahl der extremen Frühchen schwankt bei uns immer um die Zahl 25", sagte Johannes Hütte, Geschäftsführer des Klinikums Lippe der Redaktion. "2023 waren es bis Ende Mai bereits zwölf Kinder, weshalb wir uns keine Sorgen um eine Schließung machen.“ Ziel seien vielmehr Erhalt und Ausbau des Zentrums. Bei den Mühlenkreis-Kliniken begrüßt man die Gewährleistung der wohnortnahen Versorgung. "Die stationäre Versorgung von Neugeborenen unter 1.250 Gramm dauert oft viele Monate", teilt eine Sprecherin mit. "Häufig ist in dieser Zeit auch die Mutter als Begleitperson stationär aufgenommen. Für etwaige Geschwisterkinder und den Vater ist eine solche monatelange Trennung sehr belastend – emotional, psychisch und organisatorisch. Insofern ist die räumliche Entfernung zum nächsten Perinatalzentrum für die Familien äußerst wichtig. Je weiter ein Perinatalzentrum entfernt ist, desto schwieriger ist es für die Familien in einer emotional schwierigen Zeit, Kontakt und eine Bindung zu erhalten." Klinikchef aus Bielefeld für Reduzierung der Perinatalzentren Das Klinikum Herford teilt auf Anfrage zur aktuellen Entscheidung mit: "Wir sind dankbar für das entgegengebrachte Vertrauen in unser Level-1-Perinatalzentrum. Der positiven Prognose zum Fortbestand unseres Perinatalzentrums blicken wir optimistisch entgegen, denn gemeinsam mit der weiteren Stärkung unseres Mutter-Kind-Zentrums und damit einhergehenden Personalergänzungen, arbeiten wir stetig daran, die Qualität unserer medizinischen Versorgung für Mutter und Kind, insbesondere Frühgeborenen, weiter auszubauen." Doch es gibt auch Experten, die sich für eine Reduzierung der Perinatalzentren aussprechen. Nach Einschätzung von Eckard Hamelmann, ärztlicher Direktor des Kinderzentrums Bethel, sollten für eine flächendeckende und gute Versorgung in OWL und Lippstadt drei anstatt der bisherigen sechs Kliniken ausreichen – "wenn man die entsprechenden Studien zugrunde legt, die für eine optimale Versorgung circa 60 sehr kleine Frühgeborene jährlich pro Klinik vorrechnen“. Dies könnten die beiden größten Standorte Bielefeld und Paderborn sowie ein dritter Standort leisten, also entweder Minden, Lippstadt, Detmold oder Herford. Chefarzt aus Paderborn sieht drei Kliniken als ausreichend &bdquo;Die Zentralisierung ist wichtig, um mehr Leben zu retten“, erklärt Hamelmann. &bdquo;Dabei geht es nur um die Versorgung der wenigen extremen Frühchen in spezialisierten Kliniken und nur um die erste kritische Phase. Danach erfolgt, sobald dies möglich ist, die Verlegung in die Klinik, die näher am Wohnort liegt.“ Größere Frühgeborene und normale Neugeborene sollen laut Hamelmann auch weiterhin in den bestehenden Zentren mit angeschlossener Kinderklinik versorgt werden. Drei Kliniken hält auch Friedrich Ebinger, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des St.-Vincenz-Krankenhauses in Paderborn, für ausreichend für die Region. Hamelmann rechnet deshalb damit, dass die meisten Klinikträger juristisch alles dafür tun werden, um weiterhin extreme Frühchen versorgen zu können. &bdquo;Es ist schade, dass Kooperationen in der derzeit angespannten wirtschaftlichen Lage vieler Häuser so schwer möglich sind.“ Offenbar brauche es eine Entscheidung vonseiten der Politik, weil eine Absprache zwischen den Kliniken nicht zu erreichen sei, moniert Hamelmann. &bdquo;Ich bedaure, dass diese Debatte auf dem Rücken der schwächsten Patienten ausgetragen wird.“

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