Darum verpassen Babys in OWL in diesem Winter den neuen Schutz gegen das RS-Virus

Im vergangenen Winter war es vor allem der RS-Virus, der in Deutschland für schwer kranke Kleinkinder und völlig überlastete Notaufnahmen sorgte. Viele Babys mussten beatmet werden. Für diesen Winter gibt es nun erstmalig einen für alle Kinder zugelassenen Schutz, der die Infektwelle stark abmildern könnte - den aber kann sich derzeit kaum jemand leisten. Denn das Antikörper-Präparat Beyfortus mit dem Wirkstoff Nirsevimab wird bislang nicht von der Stiko empfohlen. Damit ist es auch keine Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenkassen. Und so müssen Eltern derzeit 1.350 Euro aus eigener Tasche zahlen, wenn ihnen das wichtig ist. "Das kann sich natürlich niemand leisten", sagt Marcus Heidemann, Vorsitzender des Verbandes der Kinder- und Jugendärzte Westfalen-Lippe. Kein Schutz für viele Kleinkinder Er macht aber nicht nur das deutsche Gesundheitssystem für den Missstand verantwortlich. "Das ist ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. So haben auch die Hersteller, Sanofi und Astrazeneca, den Preis für das Präparat viel zu hoch angesetzt." Unterm Strich bedeutet das für Deutschland in diesem Winter, dass der Schutz vieler Kleinkinder gegen den Erreger verpasst wird, der mit am häufigsten dazu führt, dass sie ambulant behandelt werden oder sogar ins Krankenhaus müssen. Viola Schulze, Oberärztin der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin St. Louise in Paderborn, bedauert das nicht nur für die potenziell betroffenen Kinder und Familien. "Die Infektwelle im vergangenen Jahr war brutal, so etwas haben wir hier noch nie erlebt. Doch auch in einem normalen Jahr ist bei uns immer eine komplette Station mit RSV-Patienten belegt, das nimmt ein Viertel unserer Kapazitäten in Anspruch. Diese Fallzahlen könnte man mit der neuen Prophylaxe mindestens halbieren. Das wiederum bedeutet Betten und Kapazitäten für andere Patienten." Klinikdirektor aus Bielefeld: 70 Prozent der RSV-Patienten ohne Vorerkrankungen Auch in der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin im Evangelischen Klinikum Bethel teilt man diese Meinung über die Bedeutung der RSV-Prophylaxe. "Bislang gibt es so etwas nur für Hochrisikopatienten, zum Beispiel Frühgeborene oder vorerkrankte Kinder", sagt Klinikdirektor Eckard Hamelmann. "Wir sehen hier aber immer wieder, dass 70 Prozent der Patienten, die mit RSV bei uns landen, vorher gar kein Risiko hatten, so schwer zu erkranken. Das bedeutet, wir schützen derzeit eine kleine Gruppe und haben gar keinen Schutz für die anderen Kinder, die es ebenso schwer treffen kann." Auch Hamelmann erinnert sich ungern an den vergangenen Winter, in dem auch das Klinikum Bethel verzweifelte Anfragen aus Städten wie Hannover und Gelsenkirchen erreichten, ob man noch Patienten aufnehmen könne. "Wir haben damals Kinder non-invasiv auf Normalstationen beatmet, weil wir, wie viele andere Kliniken auch, keinen Platz mehr auf der Intensivstation mehr hatten. Das würde man normalerweise niemals machen." Wie genau die Empfehlungen der Stiko für das neue Präparat aussehen werden, ist unklar. Oberärztin Schulze befürchtet, dass es nach wie vor nur auf eine Kassenleistung für Hochrisiko-Kinder hinauslaufen wird. Klinikdirektor Hamelmann ist positiver eingestellt. "Der Gemeinsame Bundesausschuss hat die Stiko aufgefordert, die Empfehlung für eine breite Anwendung auszugeben. Zudem sind die Studienergebnisse zu dem Präparat sehr vielversprechend." Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin rechnet mit neuer heftiger Infektwelle Doch wie funktioniert die Prophylaxe überhaupt? Einfach erklärt, bindet sich der Antikörper an ein Protein, das der Virus benötigt, um menschliche Zellen, auch die Lunge, zu infizieren. Auch der Wirkstoff Palivizumab, der bereits länger auf dem Markt ist, wirkt so. Allerdings ist er nur für Hochrisikopatienten empfohlen und muss in einer RSV-Saison bis zu fünfmal injiziert werden, um den Schutz zu gewährleisten. Denn weil die Antikörper fremd sind, baut der Körper sie nach und nach ab - und damit auch den Schutz. Der Vorteil am neuen Wirkstoff Nirsevimab: Dessen Abbau dauert Monate, weshalb eine einzige Dosis pro Winter genügt. Profitieren werden auch in OWL von diesen Vorteilen wohl aber erst Babys und Kleinkinder, die das entsprechende Alter im nächsten Winter haben. "Und das ist einfach sehr bedauerlich", so Hamelmann. Um so mehr, schaut man sich die Prognose der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin an: "Wir gehen fest davon aus, dass die Infektionswelle insgesamt genau so ausfällt wie im letzten Jahr", teilt Vizepräsident Florian Hoffmann auf Anfrage mit. "Sprich: Viele Kinder krank, aber es gibt noch einmal weniger Betten als im letzten Jahr! So wird es zu völligen Überlastungen des Systems kommen. Das ist absehbar."

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