Jung und krebskrank: Wie Betroffene in OWL einander unterstützen

Bielefeld. Nach der Schulzeit die Welt entdecken, in die Ausbildung oder das Studium starten, die Karriere beginnen und eine Familie gründen. Im Leben junger Erwachsener ist viel los. Es ist die Zeit zum Durchstarten und die Zeit, die den Rest des Lebens maßgeblich prägt. Hannah Schwier, Annika Wetzel und Ronahi Solmaz sind genau in dieser Phase ihres Lebens, als sie von der Diagnose Krebs gestoppt werden. &bdquo;Es ist ein Schock, diese Diagnose als so junger Mensch zu bekommen“, sagen die drei Frauen einstimmig. Doch allein sind sie damit nicht: In Deutschland erkranken pro Jahr 16.500 Menschen zwischen 18 und 39 Jahren an Krebs. Um sich gegenseitig zu unterstützen, etablieren die drei Frauen gerade eine Anlaufstelle für junge Betroffene in OWL. Bundesweit organisieren sich bereits 1.500 junge Menschen im Netzwerk der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs in sogenannten Treffpunkten. Als klassische Selbsthilfegruppe, die sich in einer Klinik im Stuhlkreis trifft, versteht sich der neue Treffpunkt OWL nach Angaben von Hannah Schwier jedoch nicht. &bdquo;Die Erkrankung verbindet uns, weshalb wir uns als Betroffene gut unterstützen können, doch das soll nicht das vorherrschende Thema der Treffen sein“, erklärt die 36-Jährige. Und statt Treffen in Kliniken sind Abende in Bars, Stadionbesuche oder Ausflüge zum Klettern geplant. &bdquo;Wir kommunizieren über Whatsapp und machen das, worauf wir Lust haben.“ Sechs Frauen und Männer aus OWL haben sich im neuen Treffpunkt bereits vernetzt. &bdquo;Wir freuen uns über neue Gesichter. Jeder junge Mensch mit Krebs ist bei uns willkommen“, sagt Schwier, die 2019 an Brustkrebs erkrankt ist. Die Herforderin kennt den Austausch bereits aus Stuttgart. &bdquo;Dort habe ich während meiner ersten Therapie gelebt und tolle Menschen kennengelernt. Auch nach meiner Rückkehr nach Herford habe ich noch Kontakt zur Gruppe.“ Das wünscht sich Schwier auch für OWL. &bdquo;Betroffene haben schnell eine gemeinsame Ebene. Man weiß, dass sein Gegenüber einen ähnlich schweren Weg gehen musste. Das macht den Austausch so wertvoll und hilft auch bei der Verarbeitung der Erkrankung.“ &bdquo;Eine Krebserkrankung als junger Erwachsener setzt das Leben auf Pause" Das bestätigt auch die 27-jährige Annika Wetzel: &bdquo;Betroffene verstehen, dass man nach der Krebsdiagnose nichts mehr plant und lange aufschiebt, anders auf seinen Körper hört und das Leben mehr zu schätzen weiß.“ Als die Lemgoerin im Januar die Diagnose Lymphdrüsenkrebs erhält, plant sie gerade ihre Hochzeit. &bdquo;Eine Krebserkrankung als junger Erwachsener setzt das Leben auf Pause, weil man um sein Überleben kämpft, während die Freunde weiter durchstarten und sich ihre beruflichen und privaten Träume erfüllen.“ Wichtig ist nach Angaben von Ronahi Solmaz auch das Verständnis für die Folgen von Chemotherapie und anderen Behandlungen. &bdquo;Viele Betroffene haben nach ihrer Therapie schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen und können nicht einfach weiter machen wie vor der Erkrankung.“ Die 29-jährige Bielefelderin ist 2020 an Leukämie erkrankt und leidet in Folge der Behandlung an einer Nervenschädigung und Wechseljahresbeschwerden. &bdquo;Auch Lärm und große Menschenmengen machen mir zu schaffen. All das hat großen Einfluss auf mein Leben.“ &bdquo;Zum Beginn der Chemotherapie die Kündigung im Briefkasten" Neben den körperlichen und mentalen Folgen von Krebsdiagnose, Erkrankung und Therapie müssen junge Krebskranke auch gegen wirtschaftliche und soziale Folgen ankämpfen. &bdquo;Krank zu sein ist ein Vollzeitjob, weil man neben der Bewältigung seiner Therapie unglaublich viel organisieren muss“, erklärt Schwier. Außerdem sei man auf sehr viel Unterstützung angewiesen, ergänzt Wetzel. &bdquo;Doch nicht jeder hat das Glück unterstützender Angehöriger, Freunde und Arbeitgeber. Ich kenne Betroffene, die zum Beginn ihrer Chemotherapie die Kündigung im Briefkasten hatten oder kurz nach der Diagnose von ihrem Partner verlassen wurden.“ Hinzu kommen nach Angaben Solmaz’ Existenznöte. Als die Bielefelderin vor drei Jahren ihre Leukämie-Diagnose erhält, lebt sie als Studentin für ein Auslandssemester in Mexiko. &bdquo;Als Studentin erhält man keinerlei Unterstützung. Ohne die Hilfe meiner Familie und weiterer Unterstützer hätte ich das nicht geschafft.“ Auf Unterstützung sind laut Schwier jedoch auch berufstätige Krebskranke angewiesen. &bdquo;Krankengeld wird nur über eineinhalb Jahre gezahlt, weshalb der große Druck besteht, möglichst schnell wieder zu arbeiten, auch wenn man sich noch gar nicht dafür bereit fühlt.“ Wetzel kritisiert zudem, dass Betroffene um jeden Cent kämpfen müssen. &bdquo;Selbst wenn klar ist, dass Betroffenen das Geld zusteht, müssen sie lange warten. Außerdem ist Bürokratie dabei ein gewaltiges Hindernis.“ &bdquo;Krebskranke dürfen keine Kinder adoptieren" Zudem begleitet die drei Frauen stets die Sorge, dass der Krebs zurückkehren könnte, auch wenn sie aktuell alle in vollständiger Remission leben. &bdquo;Ich denke nicht mehr jeden Tag daran, weil ich mich gut und gesund fühle, aber Nachsorgetermine und auch bestimmte Krankheitssymptome triggern die Angst“, sagt Schwier. &bdquo;Auch der Tod von krebskranken Freunden macht mich sehr betroffen, weil ja niemand ausschließen kann, dass der Krebs nicht doch irgendwann zurückkehrt.“ Auch von außen werden Betroffene nach Angaben Wetzels immer wieder an ihre schwere Erkrankung erinnert. &bdquo;Krebskranke bekommen fast keine Kredite. Auch viele Versicherungen können nicht mehr abgeschlossen werden und in Deutschland dürfen Menschen wie wir auch keine Kinder adoptieren. Auch dann nicht, wenn wir wieder gesund sind“, moniert Wetzel. Gegen diese Diskriminierung setzt sich die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs ein.

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