Gütersloherin bangt um Cousinen in Afghanistan: "Es ist kein Leben mehr"

Gütersloh. Deutlich ist der Schmerz über die Ausweglosigkeit für ihre Familie in der Stimme von Hale Hariri aus Gütersloh zu hören, aber auch die Resignation. "Ob man das dort für die beiden überhaupt noch ein Leben nennen kann, vermag ich nicht zu sagen. Ich glaube es nicht", sagt sie. Die Rede ist von ihren beiden Cousinen Royina und Sadaaf, die noch immer in Afghanistan leben. Dem Land, das in den vergangenen zwei Jahren wieder zur Hölle für Frauen und Mädchen geworden ist. Diese Redaktion berichtete mehrfach darüber, wie die gebürtige Afghanin Hariri nach der Machtergreifung der Taliban verzweifelt versuchte, ihre Cousinen aus der Stadt Herat nach Deutschland zu holen – und zu verhindern, dass sie in die Hände zweier Männer fallen. Dann passierte genau das. Bei der Befreiung Tausender Gefängnis-Insassen durch die Taliban kam 2021 Royinas Ex-Mann frei, von dem sie sich aufgrund seiner Gewalttätigkeit und Drogenabhängigkeit hatte scheiden lassen – und den sie angezeigt hatte. Er hatte die gemeinsame Tochter Sadaaf zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem Gefängnis heraus an einen wohlhabenden Geschäftsmann verkauft und machte sich sofort daran, seine Ex-Frau und die Kinder aufzuspüren. "Er hatte damals erst einen Teil des Brautgelds bekommen und musste Sadaaf an diesen Mann liefern", sagt Hale Hariri. Außerdem plante er, sich an seiner Ex-Frau zu rächen. Die ganze Familie befürchtete, dass er sie öffentlich steinigen lassen würde. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann aus Bielefeld bot Hilfe an Das ist nicht passiert, Royina lebt nach wie vor. Allerdings haben die Taliban die Scheidung annulliert, sie muss nun wieder mit dem völlig unzurechnungsfähigen, nach wie vor drogenabhängigen Mann in einem Bett schlafen. "Er hat immer ein Messer unter dem Kissen und droht ihr regelmäßig damit", sagt Hariri. Auch Sadaaf geht es schlecht. Seit zwei Jahren lebt die 17-Jährige in ihrer Zwangsehe. Bis auf die erste Ehefrau ihres Mannes sieht sie kaum Menschen, ist völlig isoliert. Mittlerweile hat sie eine kleine Tochter zur Welt gebracht. "Aber meine Cousinen berichten mir, dass sie keinerlei Bindung zu dem Baby hat, sich kaum darum kümmern kann, weil sie so traumatisiert ist", sagt Hale Hariri. Mehrmals im Monat telefoniert sie mit Familienangehörigen in Herat, die Sadaaf ab und zu sehen dürfen. Und sie hat Bilder zugeschickt bekommen von Sadaafs Armen. "Sie verletzt sich selbst, fügt sich tiefe Schnittwunden zu, auch an den Beinen." Es ist das Szenario, das Hale Hariri verhindern wollte. Und eine kurze Zeit lang sah es auch vielversprechend aus. Mithilfe der Grünen-Fraktion im Bundestag und der damals gerade zur Fraktionschefin gewählten Britta Haßelmann aus Bielefeld schaffte die Gütersloherin es, Royina und ihre Familie auf die Liste von ausflugberechtigten Menschen des Auswärtigen Amtes setzen zu lassen. Viele Leser aus OWL boten Hilfe und Spenden an Doch zu dieser Zeit gingen diese Flüge nur aus Islamabad in Pakistan nach Deutschland. Die Familie hätte es auf eigene Kosten mit hohem Sicherheitsrisiko von Herat im Westen nach Kabul im Osten schaffen müssen und von dort außer Landes. "Das war einfach nicht machbar, am Ende waren die Hürden zu hoch", sagt Hale Hariri, die nach den Artikeln dieser Redaktion über ihre Familie viele Hilfs- und Spendenangebote von betroffenen Lesern erhielt. Helfen kann Royina oder Sadaaf nun niemand mehr, auch ihre Brüder, Onkel und Cousins in Herat nicht. "In Afghanistan werden die Mädchen und Frauen bei Heirat Eigentum der Männer", sagt Hale Hariri. "Die können dann mit ihnen machen, was sie wollen, sie auch töten. Da mischt sich niemand ein." Sybille Fezer weiß, wie perfide die Machtstrukturen in Afghanistan sind. Sie ist Vorständin bei der Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale, die schon lange eng mit Frauenrechtlerinnen aus Afghanistan zusammenarbeitet. "Die Kontrolle ist fast total. Die Taliban regieren bis in die Privathäuser, weil sich mittlerweile ein engmaschiges Überwachungssystem auch in der Zivilgesellschaft etabliert hat. So werden selbst Männer sanktioniert, die ihren Frauen zuhause mehr Freiheiten gewähren." Gütersloherin gründet Spendenorganisation Auch Hale Hariris Cousine hat das mehrfach erlebt. Sie ist als Frauenrechtsaktivistin in Herat mehrfach festgenommen und gefoltert worden. "Sie beschreibt es so, dass selbst, wenn sie sich nur mit zwei, drei anderen Frauen unter strengster Geheimhaltung in einem Privathaus trifft, es nicht lange dauert, bis dieses Treffen gesprengt wird", sagt Hariri. Um überhaupt etwas tun zu können und sich nicht immer so ohnmächtig zu fühlen, hat die Gütersloherin die Spendenorganisation "Brot für Afghanistan" gegründet. 150 Familien wurden bereits mit Tausenden Brotlaiben versorgt. Um den Transfer kümmert sich ein Cousin Hariris, der hochrangiger Arzt in Herat ist. "Aber selbst er wurde aufgrund seiner Tätigkeit bereits zwei Wochen lang festgehalten und gefoltert", sagt Hariri. "Weitermachen wird er trotzdem." Und auch Hale Hariri wird nicht aufgeben. "Jetzt kommt der Winter, die humanitäre Situation in Afghanistan ist katastrophal. Und wenn ich schon an der Lage meiner Cousinen nichts ändern kann, kann ich wenigstens Spenden für Brot sammeln, damit sie und andere Frauen zu essen haben." Sybille Fezer sieht nur eine Chance, wie sich die Lage für Frauen und Mädchen in Afghanistan ändern könnte. "Was es braucht, ist eine Revolte von innen. Doch dafür braucht die Bevölkerung Unterstützung, auch von der deutschen Bundesregierung. Es braucht mehr finanzielle Mittel und die Einbindung der afghanischen Zivilgesellschaft in politische Prozesse, die die Frauenrechtssituation vor Ort betreffen."

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