"Am Scheideweg": Politiker fordern neuen Schulterschluss der Demokraten

Düsseldorf. Wie gelingt es, extremistische Parteien erfolgreich zu bekämpfen? Über eine Problembeschreibung kommen viele Politikerinnen und Politiker dieser Tage nicht hinaus. Einen Vorschlag macht jetzt der langjährige CDU-Europapolitiker Elmar Brok aus Bielefeld und nimmt alle Partien in die Pflicht. Broks Vorschlag umfasst mehrere Ebenen: Sprache, politisches Handwerk, Abgrenzung. Erstens: Der Politiker ruft die demokratischen Parteien bei allem notwendigen Wettbewerb der Unterscheidbarkeit zur Zusammenarbeit, Mäßigung und verbalen Abrüstung auf. &bdquo;Wir dürfen nicht weiter einzeln in unseren ideologischen Kämmerchen sitzen und dem politischen Wettbewerber sofort die Ehre nehmen, sobald dieser anderer Meinung ist“, sagt Brok dieser Zeitung. Vorschlag: Verfassungsbogen wiederbeleben Angesichts des Erstarkens der AfD brauche es einen neuen Schulterschluss der Parteien. &bdquo;Ich finde es unerträglich, wenn sich CDU und SPD gegenseitig vorwerfen, rechts- oder linksradikal zu sein“, meint Brok. &bdquo;Das nützt am Ende nur der AfD.“ Brok war 39 Jahre lang Mitglied des Europäischen Parlaments und zeigt sich angesichts hoher Zustimmungswerte für die AfD zutiefst besorgt. &bdquo;Wir befinden uns am Scheideweg“, sagt er und spricht von einer &bdquo;dramatischen Gefahr“ für Deutschland und Europa. Der 77-Jährige schlägt zweitens konkret vor, den informellen Begriff des Verfassungsbogens wiederzubeleben. Verwendet wurde er unter anderem in der Nachkriegszeit in Italien, um zu beschreiben, wer zu den demokratischen Parteien zählt und wer nicht. Wer Teil des Verfassungsbogens sei, müsse in der Sache hart streiten, aber zugleich immer wieder deutlich machen, dass man im Zweifel gemeinsam gegen die Parteien außerhalb des Verfassungsbogens vorgehe. &bdquo;Das bedeutet auch, dass die demokratischen Parteien immer die Handlungsfähigkeit des Staates gewährleisten müssen“, sagt Brok. Dann komme man auch nicht in die Verlegenheit, für politische Mehrheiten auf Stimmen der AfD angewiesen zu sein. Die Grünen signalisieren Zustimmung. &bdquo;Den Gedanken von Elmar Brok teile ich. Wenn sich demokratische Parteien in verbalen Schlammschlachten gegenseitig verunglimpfen, verlieren Menschen das Vertrauen in die Demokratie“, sagt der Chef der NRW-Grünen, Tim Achtermeyer. &bdquo;Demokratie lebt davon, dass sich demokratische Parteien auch nach einem harten Wahlkampf in die Augen schauen und sagen können: ’Uns eint mehr als uns trennt’“. NRW-FDP-Chef Höne: Parteien müssen unterscheidbar bleiben Das dürfe aber nicht zu einem Einheitsbrei führen, entgegnet der Chef der NRW-FDP, Henning Höne. &bdquo;Auch innerhalb des Grundkonsens muss wieder mehr politischer Streit im besten Sinne sichtbar sein“, sagt Höne. &bdquo;Ich möchte, dass Parteien unterscheidbar sind. Und ich möchte, dass Probleme offen angesprochen und Lösungen debattiert werden.“ Der Schulterschluss der demokratischen Parteien sei in NRW bereits gelebte Praxis. Unter welchem Begriff das laufe, sei weniger wichtig, meint Höne, der dem Vorschlag aber einiges abgewinnen könne. Für Brok stehen AfD und Linke außerhalb des Verfassungsbogens. Mit ihnen dürfe es keinerlei Zusammenarbeit geben, nennt Brok einen dritten Punkt. &bdquo;Keine Bündnisse, keine gemeinsamen Anträge, keine Mehrheitsbildung allein mithilfe der AfD oder Linken“, sagt Brok. Das müsse klares Selbstverständnis der Parteien sein. Polenz: Keinerlei Zusammenarbeit mit der AfD Der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz teilt diese Ansicht und fordert auch von seiner CDU eine klare Abgrenzung gegenüber der AfD in jedem Bereich – auch in den Kommunen. Doch ist das praktisch überhaupt möglich? Polenz lässt Zweifel daran nicht gelten. In der Diskussion der vergangenen Tage sei der Eindruck entstanden, dass in einigen Regionen beispielsweise keine Kita gebaut werden könne, wenn man auf kommunaler Ebene nicht mit der AfD zusammenarbeite. &bdquo;Das ist totaler Quatsch“, sagt Polenz. Ohne die Zustimmung seines Gemeinderats habe ein Bürgermeister keine Handhabe, egal, von welcher Partei er komme. Kritischer betrachtet den Vorschlag eines Verfassungsbogens Norbert Walter-Borjans. Der Schulterschluss der Demokraten und die klare Abgrenzung gegenüber denen, die außerhalb stehen, sei ebenso wie die Fähigkeit zum Kompromiss ohne Zweifel &bdquo;existenziell“ für unsere Demokratie, meint der frühere SPD-Chef. Das setze aber voraus, dass der Verfassungsbogen die ganze Breite des Grundgesetzes überspanne und nicht nur das, worauf mancher Christdemokrat oder Liberale es gern begrenzen würde, so Walter-Borjans. &bdquo;Unser Grundgesetz bezieht zu Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und zur Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums klare Positionen, die man gern als links bezeichnen darf“, sagt Walter-Borjans dieser Zeitung. Wer diese von der Verfassung gedeckten Positionen aus der demokratischen Debatte ausklammern wolle, treibe Unzufriedene ohne Not in die Hände rechter Extremisten. Auch Grünen-Politiker Achtermeyer lehnt eine Gleichsetzung von AfD und Linkspartei entschieden ab. Verfassungsrechtler sieht wehrhaftes System In den Augen des Verfassungsrechtlers Hinnerk Wißmann ist das deutsche Verfassungsrecht auch jetzt schon in klarer Weise wehrhaft aufgestellt: Es sehe das Verbot von Parteien vor; bestimmte Vorkehrungen für die Parteienfinanzierung sowie Verfassungstreue-Voraussetzungen für den Zugang zu bestimmten Ämtern. &bdquo;Ansonsten ist es ausdrücklich offen dafür, dass die Verfassung auch geändert werden kann und also Teil der politischen Auseinandersetzung ist“, so Wißmann. Doch der Umgang mit extremistischen Parteien setzt in den Augen Broks viel früher an – und an dieser Stelle erhält er parteiübergreifend Unterstützung. &bdquo;Wir brauchen immer ein Besinnen auf unsere demokratischen Gemeinsamkeiten.“ Das sei jetzt so wichtig wie seit Jahrzehnten nicht mehr. &bdquo;Die Lage ist ernst – und wir Demokraten müssen standhaft bleiben.“

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