Bethel: Frauen spenden Muttermilch für andere Babys – mit großem Erfolg

Bielefeld/Lage. Frühchen haben einen schweren Start ins Leben. Der Reifungsprozess der Organe ist nicht abgeschlossen, die Abwehrkräfte noch nicht gut entwickelt. Bei all diesen Problemen kann eine Ernährung mit Muttermilch helfen. Allerdings kann sich bei Frühchen-Müttern der Milcheinschuss verzögern. Aus diesem Grund gibt es seit einem Jahr eine Muttermilchbank in Evangelischen Klinikum Bethel. Hier können stillende Mütter ihre überschüssige Milch für andere Babys spenden. Eine von ihnen ist Anetta Enenko. Sie ist selbst Mutter eines extrem früh geborenen Babys. Söhnchen Lio liegt immer noch auf der Intensivstation des EvKB. Winzig, zart und zerbrechlich sieht er in seinem kleinen Babybett aus, das mit einem Frotteelaken abgedeckt ist. Lios Geburtstermin wäre eigentlich erst in knapp vier Wochen. Doch aufgrund einer Infektion bei seiner Mutter kam er bereits nach der 24. Schwangerschaftswoche zur Welt – in der Frühchenmedizin eine immer noch kritische Marke für die Lebensfähigkeit. Nach anfänglichen Schwierigkeiten entwickelte sich Lio aber gut – auch, weil er von seiner Mutter von Anfang an abgepumpte Muttermilch über eine Sonde erhielt. Denn trotz aller Sorgen und viel Stress hatte Enenko einen Milcheinschuss und bald auch reichlich Milch. Sogar viel zu viel für Lio, denn am Anfang trinken Frühchen alle zwei Stunden lediglich einen Milliliter. "Ich hatte die Wahl, die Milch entweder wegzuschütten oder zu spenden – und die Frage, was ich da tun wollte, stellte sich natürlich nicht." Fachärztin aus Bielefeld sieht immense Vorteile für die Lebensfähigkeit Zwei Monate lang blieb Anetta Enenko, die mit ihrer Familie in Lage (Kreis Lippe) lebt, auf Station in Bielefeld, um bei ihrem Sohn zu sein. In dieser Zeit spendete sie jeden Tropfen abgepumpter Milch, den Lio nicht brauchte, an die Milchbank und versorgte so andere Babys mit der besten Ernährung, die sie bekommen konnten. "Das hat sich wirklich gut und sinnvoll angefühlt." Seit gut einem Jahr gibt es die Milchbank in Bethel. Bislang kommen Spenden nur von stationär aufgenommenen Frühchen-Müttern und gehen ausschließlich an Frühchen oder kranke Neugeborene. "Und wir sehen sehr, sehr positive Effekte", sagt Ursula Weller, Fachärztin für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin im EvKB. 23 Babys sind in der Zeit mit Muttermilchspenden versorgt worden. "Sie hatten weniger Infekte, brauchten weniger Infusionen." Vor allem die gefürchteten Darminfektionen traten deutlich seltener auf. "Muttermilch enthält die optimale Nährstoffzusammensetzung, Immunglobuline, Antikörper, Enzyme und Abwehrstoffe", sagt Weller. "Deshalb fördert sie die Ansiedlung einer natürlichen Darmflora und schützt besser als jedes Medikament vor Darmerkrankungen. Und sie fördert die körperliche und geistige Entwicklung." Mutter aus Lage hofft auf baldige Entlassung ihres Frühchens Ihre Kolleginnen aus der Still- und Laktationsberatung beobachten auch, wie sehr das Projekt Mütter, denen die Milch noch fehlt, beruhigt und entstresst. Schließlich ist die optimale Versorgung ihrer Babys gesichert. "Und durch die Entspannung klappt es häufig doch plötzlich mit dem Milcheinschuss", sagt Fachärztin Franziska Noske. "Dadurch entlassen wir hier seit einiger Zeit viele Frühchen nach Hause, die dort weiter voll gestillt oder mit abgepumpter Muttermilch ernährt werden können. Das ist einfach schön zu sehen." Langfristig gibt es deshalb auch die Überlegung in der Kinderklinik, allen Wöchnerinnen, denen Milch fehlt, das Angebot zu machen, ihre Neugeborenen in den ersten Tagen mit Muttermilchspenden zu versorgen. "Das ist auf jeden Fall ein Thema", sagt Ursula Weller. "Dafür müsste man den Kreis der Spenderinnen aber ausweiten." Denn bislang werden ausschließlich Spenden von stationär aufgenommenen Frauen gesammelt. "Wir haben aber auch immer wieder Angebote von stillenden Frauen außerhalb der Klinik, die zu viel Milch haben", sagt Stillberaterin Eileen Hoffmann. Ursula Weller ist sich unterdessen sicher, dass sich in der Muttermilchforschung in den kommenden Jahren einiges tun wird. "Bislang ist ja nicht mal vollständig erforscht, woraus sie sich zusammensetzt. Klar ist aber schon jetzt, dass sie ein wahres Wundermittel ist." Deshalb wird sie bereits unter anderem in der Krebsforschung eingesetzt. Anetta Enenko spendet nicht mehr für die Milchbank in Bethel, seitdem sie wieder zu Hause bei ihrer Familie ist. Das hat auch mit dem Zeitfaktor zu tun. Täglich fährt sie nach Bielefeld, um auf der Intensivstation bei Lio zu sein und ihm seine Milch zu bringen. Außerdem hat der noch eine fünfjährige Schwester, die Aufmerksamkeit braucht. "Das wurde einfach alles zu viel." Schon jetzt fiebert die ganze Familie Lios Entlassung entgegen. Und die wird hoffentlich in ein paar Wochen möglich sein.

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