Eine Klinik, zwei Chefinnen In Bielefeld teilen sich zwei Chirurginnen die Klinikleitung

Bielefeld. Die Medizin wird immer weiblicher, doch das gilt nur bis zu einer bestimmten Hierarchiestufe, da Frauen auf dem Chefarztsessel immer noch die Ausnahme sind, vor allem in Männerdomänen wie der Chirurgie. Als Chirurginnen und Chefärztinnen zählen Beate Herbig und Carolina Pape-Köhler deshalb zu einer seltenen Spezies in der Medizin. Außergewöhnlich ist zudem, dass sie die Adipositas-Klinik im Klinikum Bielefeld in Teilzeit führen. Das Modell der dualen Leitung einer Klinik in Teilzeit mit zwei Chefärztinnen sehen die beiden als Zukunftsmodell, mit dem sie jungen Kolleginnen Mut machen möchten. &bdquo;Die Zeit, in der Frauen Kinder bekommen, ist auch die Zeit, in der man im Job Vollgas geben muss, wenn man Karriere machen möchte. Deshalb fühlen sich so viele Frauen dazu gezwungen, sich zwischen Kindern und Karriere entscheiden zu müssen“, weiß Carolina Pape-Köhler. Auch die 48-Jährige hatte lange die Sorge, dass sie diese Wahl früher oder später treffen muss. Doch sie erfüllt sich beide Träume und macht Karriere, während sie drei Kinder großzieht. Auf Facharztausbildung, Promotion und Habilitation folgt 2018 die Gründung und Leitung der Sektion Adipositaschirurgie der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie des St. Vincenz Krankenhaus Paderborn. 2022 wechselt Pape-Köhler zum Klinikum Bielefeld, als Chefärztin der Adipositas-Klinik an der Seite von Beate Herbig. Auf dem Papier erscheint dieser Weg gradlinig, doch Pape-Köhler muss in dieser Zeit viele Hürden überwinden. &bdquo;Als sie 2015 die Habilitation abschließt, ist sie erst die 93. habilitierte Chirurgin in Deutschland. Das zeigt, wie außergewöhnlich ihr Weg ist“, sagt Herbig. &bdquo;Als Frau muss man in der Medizin immer noch neue Wege schaffen, wenn man aufsteigen möchte, weil wir bewusst daran gehindert werden“, erklärt Pape-Köhler. Immer wieder erlebt die Chirurgin, dass ihr Kollegen, Mentoren und Vorgesetzte Steine in den Weg legen. &bdquo;Unabhängig davon, wie gut, fokussiert und leistungsbereit jemand arbeitet, gelten vor allem Kinder und Teilzeit als Manko. Dann heißt es: Wir brauchen jemanden, der voll da ist und immer verfügbar. Und schon gehen die wichtigen Operationen oder der nächsthöhere Posten an jemand anderen." Chirurgie bringt Männer und Frauen an ihre Grenzen Auch Herbig kennt die Schwierigkeiten, die Frauen in der Medizin bis heute haben. &bdquo;Es hat sich in den vergangenen Jahren zwar vieles zum Positiven verändert, doch es ist eine Tatsache, dass vor allem die Chirurgie vielerorts noch immer in Männerhand ist.“ Als Herbig ihre Facharztausbildung beginnt, ist sie im Team der über dreißig Assistenzärzte die einzige Frau. &bdquo;Für dieses sehr handwerkliche Fach braucht man Zutrauen, Mut und die Bereitschaft, immer wieder über seine Grenzen hinauszugehen“, sagt die 64-Jährige. Das gelte aber für beide Geschlechter, denn Männer seien genauso von anstrengenden Operationen physisch und psychisch gefordert. Auch Herbig erfüllt sich ihre Träume und macht Karriere, während sie zwei Kinder großzieht. 2012 baut sie als Chefärztin die Adipositas-Klinik der Schön Klinik Hamburg auf und entwickelt sie zur damals bundesweit drittgrößten Einrichtung für die Behandlung übergewichtiger Menschen. 2021 folgt der Liebe wegen der Wechsel nach Bielefeld. &bdquo;Hier erhielt ich das Angebot, eine weitere Adipositas-Klinik aufzubauen. Voraussetzung für mich war aber eine Teilzeittätigkeit.“ Das Klinikum Bielefeld stimmt zu. Und als sich kurz darauf Herbig und Pape-Köhler bei einem Kongress kennenlernen, steht schnell fest, dass sie sich dasselbe wünschen: Als Chirurginnen Patienten helfen und als Chefärztinnen eine Klinik führen – beides in Teilzeit. Teilzeit ermöglicht den Ärztinnen mehr Freiheiten Inzwischen haben die beiden als Führungsduo ihren Rhythmus gefunden. &bdquo;Montags und dienstags operieren wir gemeinsam. An den anderen Tagen führen wir die Patientengespräche und jede von uns hat einen Tag pro Woche frei“, erklärt Herbig. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass am Ende der Woche immer mehr Stunden auf der Uhr stehen als geplant. &bdquo;Wir können nicht immer auf die Uhr schauen und wollen auch die Rufbereitschaft für Notfälle nicht abgeben, aber trotzdem ermöglicht uns die Teilzeit mehr Freiheiten.“ Für Freiheiten dieser Art müssen Frauen laut Herbig jedoch auch bereit sein, viel zu leisten. &bdquo;Es braucht unglaublich viel Mut. Frauen müssen zäh sein und dürfen sich nicht von ihrem Weg abbringen lassen.“ Für den Anfang einer Karriere sei Teilzeit deshalb nicht der richtige Weg. &bdquo;Wer eine gute Chirurgin werden will, muss vor allem in den ersten Jahren hart trainieren." &bdquo;Wir möchten vor allem Kolleginnen zeigen: Traut euch, es geht" Die Chefärztinnen wissen zudem, dass man sich die Teilzeit leisten können muss. &bdquo;Dieses Modell funktioniert finanziell nicht überall. Frauen sollten immer einen Blick auf ihre spätere Rente behalten, damit ihnen keine Altersarmut droht. Trotzdem zeigt unser Modell, dass Aufbau, Leitung und Wachstum einer Klinik auch in Teilzeit möglich sind“, sagt Herbig. Pape-Köhler hätte sich diese Möglichkeit nicht einmal in ihren Träumen vorstellen können. Dass es auch anders geht, zeigen die Ärztinnen derzeit. Und sie hoffen, dass ihr Modell Schule macht. &bdquo;Wir möchten vor allem Kolleginnen zeigen: Traut es euch zu!“, sagt Herbig. &bdquo;Ziel muss es sein, dass sich Frauen in der Medizin ebenso wenig wie Männer zwischen Karriere und Kindern entscheiden müssen“, erklärt Pape-Köhler. Dafür seien dringend Änderungen im System nötig, wie die Einführung von Teilzeitmodellen für Führungskräfte und Anpassungen im Klinikalltag, die mehr Planbarkeit ermöglichen. Wichtig sei zudem, dass sich Frauen vernetzen, fördern und unterstützen. Pape-Köhler resümiert: &bdquo;Ich habe mich oft isoliert gefühlt, obwohl es ja vielen Kolleginnen so ging wie mir. Das müssen wir gemeinsam ändern.“

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