Weltkrebstag Fortschritte in der Onkologie: Bielefelder lebt dank experimenteller Krebstherapie

Bielefeld. Jedes Jahr erhalten alleine in Deutschland 500.000 Menschen die Diagnose Krebs. Die Lebenserwartung von Betroffenen ist heute jedoch deutlich höher als noch vor zehn Jahren. Immer mehr Krebspatienten leben immer länger, weil der rasante therapeutische Fortschritt in der Onkologie neue Perspektiven eröffnet. Hoffnung machen neben Weiterentwicklungen etablierter Behandlungsmethoden wie Operation, Chemotherapie und Bestrahlung vor allem zielgerichtete Immuntherapien. Davon hat auch Thorsten Haitsch profitiert, der 2018 an Lymphdrüsenkrebs erkrankt ist. Denn ohne diese neue Therapie wäre der Bielefelder heute nicht mehr am Leben. Im September 2018 bemerkt Haitsch zum ersten Mal, dass etwas nicht stimmt. &bdquo;Im Urlaub hatte ich beim Wandern Atemnot. Das kannte ich gar nicht.“ Sein Hausarzt schickt ihn zu Fachärzten, die Flüssigkeit in seiner Lunge entdecken. &bdquo;Im Klinikum Bielefeld wurde meine Lunge punktiert und mir ging es schnell wieder gut. Ich wollte schon wieder nach Hause, doch meine Ärzte gingen auf Ursachensuche.“ Der Grund für die Beschwerden ist schnell gefunden. Die Mediziner entdecken im Bauch ein 18 mal 14 Zentimeter großes Lymphom, einen bösartigen Tumor des lymphatischen Systems. &bdquo;Die Diagnose Lymphdrüsenkrebs konnte ich zunächst gar nicht begreifen“, sagt Haitsch. Viel Zeit zum Verarbeiten hat der Bielefelder jedoch nicht, denn noch im September beginnt die erste Chemotherapie. &bdquo;Es hieß zunächst, dass die Behandlung gut funktioniert, weil die Erkrankung zurückgedrängt werden konnte. Ich habe dann nach meiner Reha im März 2019 auch wieder gearbeitet.“ 2021: Es gibt keine Therapieoptionen mehr Der Erfolg hält jedoch nicht lange an. &bdquo;Bereits im März 2020 folgte die zweite Chemotherapie“, erklärt Haitsch. Doch schon im Dezember steht fest, dass die Therapie wieder nur kurzzeitig hilft. &bdquo;Silvester habe ich dann im Krankenhaus verbracht, weil ich für eine Stammzellentransplantation vorbereitet wurde, doch dazu kam es aufgrund der Aktivität meiner Erkrankung nicht mehr.“ Kurz darauf erfährt Haitsch, dass es für ihn keine Therapieoptionen mehr gibt. Trotzdem sitzt der 59-Jährige zwei Jahre später wieder im Büro seines Arztes, allerdings ohne den großen Tumor im Bauch. Zu verdanken hat Haitsch das einer experimentellen Immuntherapie, der er sich im März 2021 in Heidelberg unterzieht. Sein Arzt Martin Görner, Leiter des onkologischen Zentrums und Chefarzt der Klinik für Onkologie am Klinikum Bielefeld, vermittelt Haitsch in ein Krankenhaus nach Heidelberg, das 2021 als einzige Klinik in Deutschland eine Studie zu der sogenannten CAR-T-Zell-Therapie durchführt. &bdquo;Bei der Therapie werden Abwehrzellen des Patienten entnommen, gentechnisch so verändert, dass sie Krebszellen töten, und wieder an den Patienten zurückgegeben“, erklärt Görner. &bdquo;Die Abwehrzellen werden gegen den Tumor scharfgemacht.“ Haitsch stellt sich seine veränderten Immunzellen deshalb gerne als Piranhas vor: &bdquo;Sie stürzen sich auf den Krebs.“ Neue Therapie sehr schonend – anders als die Chemo Für die Therapie reist Haitsch zehn Mal nach Heidelberg. &bdquo;Der längste Aufenthalt dauerte nur drei Wochen, weil die Therapie sehr schonend war. Anders als die Chemotherapien, die mich sehr viel Kraft gekostet haben.“ Die Immuntherapie schlägt im Vergleich zu den vorangegangenen Therapien bei Haitsch auch deutlich besser an. &bdquo;Ich bin seit anderthalb Jahren in Remission.“ Ob es sich dabei um eine Heilung handelt, steht nach Angaben Görners allerdings noch nicht fest. &bdquo;Das kann jetzt noch nicht beurteilt werden, die Erkrankung kann zurückkommen. Aber die Behandlung war ein sehr guter Erfolg, der mit keiner Behandlungsmethode zuvor erreicht werden konnte“, erklärt der Onkologe. &bdquo;Ohne diese Therapie wäre Herr Haitsch heute nicht mehr am Leben.“ Inzwischen führt der Bielefelder schon wieder ein fast normales Leben. &bdquo;Ich arbeite, fühle mich fit und habe eine hohe Lebensqualität“, sagt Haitsch. Allerdings ist der 59-Jährige in Folge der Immuntherapie noch sehr anfällig für Infektionskrankheiten wie Covid. &bdquo;Deshalb schütze ich mich. Ich betrete Innenräume nur mit Maske, meide Menschenmengen und arbeite ausschließlich im Homeoffice. Dabei werde ich aber von meiner Familie und Freunden unterstützt, die sich ebenfalls schützen und regelmäßig testen.“ Patienten sehen experimentelle Therapien skeptisch Görner hofft, dass so wie Thorsten Haitsch künftig mehr Menschen die Chancen von Studien wahrnehmen: &bdquo;In Deutschland denken viele Patienten bei experimentellen Therapien an Versuchskaninchen und lehnen ab. Es herrscht große Skepsis, doch diese Studien empfehlen wir Patienten wirklich nur dann, wenn Standardtherapien nicht mehr helfen.“ Die Immuntherapie, die 2021 in Heidelberg noch als experimentell galt, kommt nach Angaben Görners inzwischen in mehreren Kliniken zum Einsatz. Im Klinikum Bielefeld arbeitet das Team um Görner bereits mit einer Weiterentwicklung der Therapie, den sogenannten bispezifischen Antikörpern. &bdquo;Sie werden künstlich erzeugt, und im Gegensatz zu anderen Antikörpern können sie gleichzeitig an zwei verschiedene Oberflächenmerkmale binden und so Tumorzellen und die sie bekämpfenden Immunzellen zueinander bringen.“ Beide Verfahren kommen laut Görner im Moment hauptsächlich bei bestimmten Formen von Lymphdrüsen- und Blutkrebs zum Einsatz. &bdquo;Für andere Krebsarten laufen aber bereits Studien. Das zeigt, wie rasant sich die Behandlungsmethoden für Krebspatienten verbessern.“ Weitere Informationen zum onkologischen Zentrum am Klinikum Bielefeld finden Sie hier.

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