Kükentöten-Verbot: Warum ein Landwirt aus OWL aufgegeben hat

Auf dem Hof von Markus Brormann in Rheda-Wiedenbrück ist es ruhig. Wo früher einmal Hühner gehalten wurden, grasen nun Alpakas in der Sonne. Wo bis vor einem Jahr noch Küken aus Eierschalen schlüpften, herrscht heute gähnende Leere. Denn Markus Brormann hat seine Brüterei aufgegeben. Das Verbot des Kükentötens in Deutschland hat seine und viele andere Existenzen ruiniert - und keineswegs zu mehr Tierwohl beigetragen, sagen Kritiker. Allein in Deutschland schlüpften 2021 nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) etwa 30 Millionen männliche Küken. Wie viele von ihnen getötet wurden, ist statistisch nicht erfasst. Auszugehen ist jedoch von einem Großteil. Der Grund: Da die Brüder der Legehennen keine Eier legen können und sie kaum Fleisch ansetzen, gelten sie als wirtschaftlich "unnütz". Durch das Verbot des Kükentötens sollte ein Umdenken stattfinden. Seit Januar 2022 müssen männliche Küken am Leben bleiben, wenn sie auf deutschem Grund und Boden schlüpfen. Es ist ein Gesetz, das Markus Brormann verzweifeln ließ. Seine Brüterei führte er in zweiter Generation mitten auf dem "Hühnerhof Deutschlands". Ostwestfalen-Lippe gilt nämlich laut des Geflügelwirtschaftsverbandes NRW (GWV) als Schwerpunktregion für das Ausbrüten vor allem von "bunten Rassen". Das sind Hühnerrassen, die weder auf Mast noch auf das Legen von Eiern spezialisiert sind und deshalb vor allem für Hobbyhalter und Kleinstbetriebe infrage kommen. Männliche Küken als Futter "Hier sind jährlich etwa eine Million Küken geschlüpft", sagt er und zeigt auf die silbern glänzenden Türen der Bruträume, die wie riesige Kühlschränke aussehen. Noch immer stehen die Rollwagen mit den Gitterkörben darin, in denen die Küken sich aus den Eierschalen kämpften. "Die waren robuster, ursprünglicher, keine Hochleistungstiere. Das ist doch eigentlich genau das, was alle wollen." Die männlichen Küken tötete er mit Kohlensäure. "Natürlich hat mir das keinen Spaß gemacht", betont er. Doch die toten Eintagsküken hätten trotzdem einen Nutzen gehabt. Greifvogelstationen, Tierparks und Zoos hätten die toten Küken als Futter gebraucht. "Bei mir wurde nicht ein Küken entsorgt. Sogar der Naturschutzbund hat für die Vogelaufzuchtstation Küken bei mir gekauft." Doch damit ist seit einem Jahr Schluss. Seine Bemühungen, das Gesetz zu verhindern oder zumindest eine andere Lösung zu finden, haben nichts bewirkt. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat dazu eine Stellungnahme unter dem Titel "Ausstieg aus dem Kükentöten" veröffentlicht. Darin heißt es: "Da ein Verbot des Kükentötens nur sinnvoll ist, wenn Betriebe nicht mangels Alternativen ins Ausland abwandern, hat das BMEL seit 2008 mit mehreren Millionen Euro verschiedene Verfahren und Initiativen unterstützt, die das Töten männlicher Küken überflüssig machen." Dazu zählen nach Ministeriumsangaben beispielsweise die Geschlechtsbestimmung im Brutei und die Aufzucht der Bruderhähne. Warum hat Markus Brormann also aufgegeben? Hilferuf an die Politik In einem persönlichen Schreiben an die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ophelia Nick erklärt er seine Situation und die weiterer Betriebe in OWL. Will er das Geschlecht noch im Brutei bestimmen, muss er seine Eier nach Holland transportieren. Denn die entsprechende Technik kann er nicht kaufen, weil Brütereien sie selbst entwickelt haben und nicht verkaufen. Er kann für seine Hühnerrassen höchstens die Dienstleistung erwerben - und selbst das nicht in Deutschland. "Das heißt, ich fahre regionale Eier, die ich in Ostwestfalen gekauft habe und die auch hier ausgebrütet werden sollen, ins Ausland, um dann die Henneneier wieder mitzunehmen", beschreibt Brormann. Nicht nur finanziell sei das der Wahnsinn. Problematisch sei zudem: Die Betreiber hätten ihm keine hundertprozentige Sicherheit geben können, dass tatsächlich alle männlichen Küken aussortiert würden. "Bei den bunten Rassen ist die Bestimmung im Ei deutlich komplexer. Zudem erfolgt die Bestimmung so spät, dass die Küken bereits Schmerz empfinden können." Das sieht auch Ralf Bilke, Agrarreferent vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), so. "Tierleid entsteht nicht allein durch das Töten der frisch geschlüpften Küken, sondern ab dem siebten Bebrütungstag auch durch das Aussortieren der Eier und das Töten der Hühnerembryos." Doch das ist nicht das einzige Problem für Markus Brormann. "Was soll ich dann mit den falsch bestimmten Eiern machen?" Die geschlüpften Hähne dürfe er nicht mehr töten, einen Stall bekomme er nicht genehmigt. "Und wie groß soll der auch sein? Ich kann ja nicht abschätzen, wie viele Hähne aus Versehen mit ausgebrütet werden." Seine Hennenküken müssten dann auch statt 70 bis 80 Cent etwa vier Euro kosten. Den Preis zahle niemand. Viele Brütereien geben auf Er blickt resigniert und zieht die Schultern hoch. Während draußen der Lärm der Autobahn zu hören ist, sagt er: "Ich bin jetzt Importeur von Eintagsküken." Gerne mache er das nicht. Die großen Bruträume bleiben kalt, die Gitterkörbe leer. Er zeigt in den Nebenraum, in dem sich rote, größere Boxen stapeln. "30.000 Küken hole ich mit einer Fuhre aus Holland oder Belgien ab." Sieben Stunden sei er mit den Eintagsküken unterwegs, früher seien es 30 Minuten gewesen. Am nächsten Tag bringe er sie dann zu einem Aufzuchtbetrieb in der Region. Es sei genau das eingetreten, wovor er und seine Kollegen gewarnt hätten - das Töten sei ins Ausland verschoben, regionale Betriebe gäben auf und die Vielfalt werde geringer. Die Konsequenzen des Gesetzes sind bereits spürbar. Genaue Zahlen, wie viele deutsche Brütereien mittlerweile aufgegeben haben, gibt es nicht. Denn laut GWV müssen sich nur die Brütereien mit einem Fassungsvermögen von 1.000 Bruteiern registrieren lassen. "Meines Wissens haben die Brütereien hier in der Region aber alle aufgegeben", sagt Markus Brormann. Unrealistisch erscheint die Einschätzung mit Blick auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes nicht. Waren im Januar 2019 noch 19 Großbrütereien aktiv, sind es im Januar 2022 nur noch 11. "Ich verstehe einfach nicht, warum erst so ein Gesetz beschlossen wird, bevor es entsprechende Alternativen gibt", sagt Brormann. Hätte es eine Technik gegeben, mit der er das Geschlecht in einem frühen Stadium im Ei hätte bestimmen können, er hätte sofort investiert. Denn das Aussortieren der männlichen Küken sei gerade bei den bunten Rassen sehr aufwendig. Zu ähnlich sähen sich Henne und Hahn als Küken. Alternativen gibt es noch nicht Doch ein solches Verfahren existiert noch nicht. Im "Bericht zur Markt- und Versorgungslage mit Eiern 2022" von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung wird darauf verwiesen, dass mithilfe zweier Forschungsprojekte die Geschlechtsbestimmung im Ei bis zum sechsten Bruttag noch erforscht werde. "Eine zeitnahe, großflächige Implementierung eines dieser Verfahren scheint aus heutiger Sicht noch nicht realistisch." Doch bis 2024 wird sie Pflicht: Denn dann greift die Verschärfung des bestehenden Gesetzes. Ab diesem Zeitpunkt dürfen dann nur noch Eier aussortiert werden, deren Geschlecht vor dem sechsten Bruttag bestimmt wurde. Weiter heißt es im Bericht: Die Bruderhahnmast sei derzeit die "einzig praxistaugliche Alternative". Allerdings sei die Aufzucht durch den erhöhten Futterverbrauch und die längere Mastdauer "für eine breitflächige Nutzung aus ökonomischer Sicht nicht interessant". Ähnlich sieht das auch Markus Brormann. "In Deutschland verbraucht jeder pro Woche etwa vier Eier. Dafür braucht es 70 Millionen Hennenküken im Jahr." Würden die Hähne mit aufgezogen, würde der Futterbedarf rasant steigen, ebenso die benötigten Stallkapazitäten. Laut des GWV werden aktuell bereits mehr als die Hälfte der männlichen Küken im Ausland aufgezogen, weil in Deutschland entsprechende Ressourcen fehlen. Für Ralf Bilke vom BUND ist weder die Geschlechtsbestimmung im Ei und noch die Aufzucht der Bruderhähne zielführend. Seiner Meinung nach solle die Politik darauf hinwirken, dass künftig nur noch Zweinutzungshühner, die sich sowohl für die Eierproduktion als auch für die Fleischerzeugung eignen, gehalten werden. Diesen Ansatz vertritt auch die Ökologische Tierzucht GmbH (ÖTZ). Gegenüber dem Landwirtschaftsportal "ökolandbau.de" betont Geschäftsführerin Inga Günther, dass sich die Rassen deutlich besser an wechselnde Bedingungen anpassen könnten und zudem kein spezialisiertes Futter bräuchten. Brüterei bleibt geschlossen Auch Markus Brormann hat sich mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Grundsätzlich sei der Ansatz gut, sagt er. Dennoch bestehe weiterhin das Problem, dass auch dann nicht die benötigten Eimengen in Deutschland produziert werden könnten. "Das haben wir schon vor dem Verbot des Kükentötens nicht geschafft." Er schließt die Tür der Bruträume und geht nach draußen. Ein Schmunzeln huscht über sein Gesicht, als er seine Alpakas beim Grasen in der Sonne beobachtet. Doch dann wird er wieder ernst: "Egal was kommt, ich mache nicht mehr weiter. Ich habe die Bruträume nur noch als Reserve, wenn mal wegen der Vogelgrippe die Grenzen dicht sind und wir hier brüten müssen. Aber auch das hat irgendwann ein Ende."

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