Ausnahmezustand: Mehr als 40.000 Fans fluten die Stadt beim Ärzte-Konzert

Minden. "Zu spät, zu spät, zu spät, zu spät, zu spät, zu spät", grölt ein Paar auf der gesperrten Weserbrücke. Es bewegt sich rund eine Stunde nach Konzertende freudetrunken in Richtung Innenstadt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stimmt ein junger Mann ein: "...dann ist alles zu spät!" Immer wieder kommen auch nach Mitternacht noch Menschen von Kanzlers Weide hier entlang geströmt, doch langsam aber sicher kehrt in Minden Ruhe ein. Am Nachmittag sieht das noch ganz anders aus: Allein 40.000 Konzertbesucher fluten die Stadt, füllen die umliegenden Kneipen, Restaurants, Kioske und sorgen so für einen Ausnahmezustand. Lesen Sie auch unseren Konzertbericht:Zweieinhalb Stunden Dauerparty: "Die Ärzte" rocken Minden Ein Blick auf die Autokennzeichen zeigt bereits am frühen Morgen, dass an diesem Samstag nicht nur viele Menschen aus der Region "Die Ärzte" hören wollen, sondern die Band Fans aus der ganzen Republik anlockt. Bestes Beispiel dafür ist Theresa Urbach, die eine hunderte Kilometer lange Anreise auf sich genommen hat. "Ich komme mit Freunden aus Stuttgart", sagt die 32-Jährige. Da ihr Mann ursprünglich aus Minden stammt und die Gelegenheit genutzt hat, um sich mit Schulfreunden zu treffen, habe das alles super gepasst: "Es hätte noch weitergehen können – ich bin noch etwas aufgedreht", sagt sie direkt nach dem Konzert. In den Gesprächen zeigt sich, dass viele Menschen extra für das Konzert zurück in die Heimat gereist sind – vor allem aus nostalgischen Gründe: "Das Konzert 2004 war das Event unserer Schulzeit." Lkw-Brand auf der A2 sorgt für Verzögerungen bei Anreise Viele Fans waren bereits vor Samstag angekommen – und hatten sich somit ziemlich viel Stress erspart. Denn schon vorab war klar, dass die Besucher wegen der Sperrungen rund um die Bundesstraße 482 und der "Kleeblatt"-Kreuzung an der B61/65 mehr Zeit einplanen mussten – und dann kamen auch noch einige Unfälle hinzu. Erst sorgte ein Lkw-Brand am Vormittag auf der A2 bis ungefähr 14 Uhr für Verzögerungen, dann folgte gegen 13.30 Uhr ein Unfall im Bereich der Weserbrücke in Hausberge ehe es auf der A30 noch einmal richtig kritisch wurde: Ein Zusammenstoß zweier Autos kurz hinter der Abfahrt Dehme, bei dem ein Mann sich verletzte, sorgte für eine Sperrung der Fahrbahn. Wegen der B482-Sperrung war genau diese Abfahrt für Fans, die aus Richtung A2 kommen, gedacht. Durch den Rückstau kamen sie zunächst nicht nach Minden – und mussten zum Teil stundenlang warten. Zu diesem Zeitpunkt war der Großteil der Fans schon auf dem Gelände. Mit etwa zwanzig Minuten Verspätung hatte gegen 15.50 Uhr das Warten auf den Einlass ein Ende. Die ersten Menschen waren bereits am Vormittag vor den Eingängen gesichtet worden: Sie wollten sich die begehrten Plätze direkt vor der Bühne sichern. "Wir sind Frauen und wollen Elke hören" Nicht ganz vorne, aber mit jeder Menge guter Laune und ohne Probleme bei der Anreise schleicht unterdessen ein Quintett aus Bad Driburg durch den Eingang. Warum die Fünf auf dem Konzert sind? "Es war eine Bier-Aktion", gesteht Anja Schwake (43). Gemeinsam mit ihren vier Freunden habe sie noch am selben Abend der "Bier-Aktion" Tickets gekauft. Die Freunde sind sich vor dem Beginn einig: "So wie wir die Ärzte kennen, wird es sie vermutlich nicht mehr geben." Die Alben "Hell" und "Dunkel" treffen nicht ihren Geschmack – aber es gibt ja noch zahlreiche Klassiker, mit denen sie sich auf der Autofahrt eingestimmt hätten. Der Song "Elke" steht übrigens auch auf der Wunschliste. "Wir sind Frauen und wollen Elke hören", sagt Yvonne Bucher (50), die die Debatte um das Lied und die Entscheidung der Band, es nicht mehr zu spielen, nicht versteht. >>> Den Liveticker vom Konzert gibt's hier zum Nachlesen Als Bucher mit ihren Freunden bereits auf Kanzlers Weide steht und die ersten Getränke bestellt, staut sich der Verkehr gegen 16.30 Uhr nur wenige Meter entfernt auf der Hausberger Straße immer weiter. Auch Nutzer in sozialen Netzwerken sprechen von großen Problemen und kritisierten unter anderem das Parkleitsystem. Wie die Polizei am Sonntag auf Anfrage erklärt, sei in der Tat die Hausberger Straße sowie für eine kurze Zeit die Zufahrt von der B65 von größeren Problemen betroffen gewesen. "Alles in allem ist der Einsatz aus Sicht der Polizei aber gut gelaufen", erklärt ein Sprecher am Sonntag – und bezieht sich nicht nur auf die Verkehrssituation. Sachbeschädigung, Körperverletzung, sechs Personen im Krankenhaus So sei der Einsatz gegen 1.30 Uhr beendet worden. Zuvor habe es bei der Abreise – sowohl rund um die Sperrung am Wesertor als auch in Richtung Viktoriastraße – keine Probleme gegeben. "Natürlich dauert bei solch einer Großveranstaltung alles ein bisschen länger, aber es gab nichts Besonderes." Notiert wurden insgesamt lediglich fünf anlassbezogene Polizeieinsätze, unter anderem wegen Sachbeschädigung und Körperverletzung. "Dazu mussten wir wegen eines Randalierers einen Platzverweis aussprechen und es gab eine Ingewahrsamnahme", erklärt der Sprecher und fügt an: "Wir sind alle sehr zufrieden – vor allem mit dem Verhalten der Menschen." Das zeigt auch die Einsatzbilanz des Deutschen Roten Kreuzes, das 78-mal Hilfe leisten musste. Sechs Personen wurden ins Krankenhaus gebracht. Dass rund um die Weser deutlich mehr als 40.000 Menschen unterwegs sind, zeigt sich bereits am frühen Abend auf der gegenüberliegenden Seite des Konzertgeländes. Auf den Wiesen der Weserpromenade haben sich alle die verabredet, die kein Ticket ergattern konnten – oder wollten. "Wir haben uns bewusst dafür entschieden, nur Zaungast zu sein", sagt eine Frau, die mit der Familie die Picknickdecke ausgebreitet und das Abendessen ins Freie verlagert hat. Wie sie machen es ganz viele, die sich entweder auf dem extra hergerichteten Gelände des SV 1860 Minden ein Getränk abholen oder am Skatepark eine Party feiern. Mehr als 1.000 Menschen kommen dort zusammen und spenden nach jedem Song den Ärzten Beifall. Nächste Woche Samstag geht es mit den Toten Hosen weiter Auf dem Konzertgelände hat Andrea Bernzen aus Gütersloh eine super Sicht auf die Bühne. Die 52-Jährige ist auf ihren Rollstuhl angewiesen und darf somit auf ein Podest, das beeinträchtigten Personen vorbehalten ist – und auch von Sicherheitsleuten bewacht wird. Trotz ihrer offensichtlichen Behinderung sei es für sie normal, dass sie häufig Diskussionen führen muss. "Bei der Anreise wurde ich auf der Suche nach dem Behindertenparkplatz angepöbelt, dass ich doch nicht den Verkehr aufhalten solle", nennt sie ein Beispiel. Die zuständigen Ordner hätten sie etwas später dann aber einweisen können. "Die waren wirklich nett und hilfsbereit." Sie wird übrigens auch in einer Woche wieder dabei sein, um mit den Toten Hosen mitzufiebern. Dann heißt es nämlich wieder: Ausnahmezustand in Minden.

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