"Wir beginnen, uns zu verstehen": Die neue schwarz-grüne Eintracht

Düsseldorf. Zum Ende hin wird jene Frage gestellt, die Hendrik Wüst und Mona Neubaur gerne außen vor gelassen hätten. Welche Kompromisse denn für die CDU auf der einen und die Grünen auf der anderen Seite während der Koalitionsgespräche in Nordrhein-Westfalen am schmerzhaftesten waren? "Fang du mal an", sagt die Grünen-Chefin Neubaur zum CDU-Vorsitzenden Wüst. "Ich bin gespannt." Wüst zögert kurz, lacht verlegen und fängt dann mal an im sonnigen Park des Düsseldorfer Künstlervereins Malkasten. "In einem angenehmen Umfeld haben wir uns nicht erspart, auch unangenehme Diskussionen zu führen", sagt der Ministerpräsident. "Wir haben aber immer gute, tragbare und angenehme Ergebnisse erarbeitet." Schmerzpunkte habe man nur dann in der Debatte gesucht, "um sie dem anderen möglichst nicht zuzumuten". Auch Neubaur hat in den Gesprächen keinerlei Schmerzen gespürt. Sagt sie jedenfalls. Sie lobt angesichts des ersten schwarz-grünen Koalitionsvertrags in NRW lieber den "Geist, in dem wir Kompromisse gefunden haben". Niemand sollte, und dies sei von Beginn an klar gewesen, "als Gewinner oder Verlierer vom Platz gehen". >>> Neue NRW-Landesregierung: Das steht im Koalitionsvertrag Neubaur und Wüst sind rhetorisch zu gut geschult, um die Frage auch nur irgendwie kritisch aufzuladen. Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass etwa die Feststellung, dass NRW "ein weltoffenes Einwanderungsland" sei, im Vertragswerk nicht jedem in der CDU gefällt. Grüne sehen darin nur Faktisches protokolliert. Ihren höchsten Anspruch haben sie nur vage formuliert Freilich soll es auch einmal laut geworden sein im Malkasten, wie man zwischendurch hören konnte. Nun sagt Wüst bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags: "Wir haben gelernt, dass wir in vielen Zielen einig sind." Der Schutz des Klimas und die Bewahrung der Schöpfung seien für ihn "die größten Herausforderungen unserer Zeit". Christdemokraten und Grüne wollen Nordrhein-Westfalen nun gemeinsam zum "ersten klimaneutralen Industriestandort Europas" machen. Dass die schwarz-grünen Freunde in Schleswig-Holstein tags zuvor ungefähr das gleiche über den Norden gesagt haben, ist Wüst jetzt erst einmal egal. Wann genau das größte deutsche Industrieland klimaneutral werden soll, haben CDU und Grüne in ihren Verhandlungsergebnissen nicht notiert. Am geplanten Kohleausstieg 2030 halten indes beide fest. Mit Blick auf den Braunkohletagebau im rheinischen Revier erwägt man Gespräche mit dem Betreiber RWE, um den Abbau "so flächensparend wie möglich zu gestalten", sagt Neubaur, die als sogenannte Superministerin für Wirtschaft und Klimaschutz gehandelt wird. Unter Klimaaktivisten geht gleichwohl die Sorge um, dass die symbolträchtige Siedlung Lützerath abgebaggert wird. Die Grüne Jugend sieht die Ergebnisse "sehr kritisch" So kann auch die grüne Parteijugend dem Vertrag wenig abgewinnen. "Anhand dessen, was wir bis zum jetzigen Zeitpunkt gelesen haben, bin ich mir sicher, dass wir die Verhandlungsergebnisse wegen der Inhalte sehr kritisch bewerten werden", sagt die Vorsitzende Nicola Dichant, der "einige zentrale Punkte fehlen". Über die Grüne Jugend hinaus fragt man sich, wie die Projekte finanziert werden sollen. Ralph Brinkhaus, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Gütersloh und während der Koalitionsgespräche Mitglied der Haushaltgruppe, sieht "ein spannendes aber auch sehr ambitioniertes Projekt". Angesprochen auf die "Null Toleranz"-Politik, die sein Amtsvorgänger Armin Laschet in der Regierungskoalition von CDU und FDP regelmäßig hervorgehoben hat, zeigt sich Wüst eher schmallippig: "Null Toleranz herrscht für jede Form von Kriminalität", sagt er, "natürlich immer orientiert an den Grundrechten." "Das Werk trägt inhaltlich, aber auch persönlich" In der schwarz-gelben Regierungszeit hatten die Grünen Innenminister Herbert Reul (CDU), der wohl Innenminister bleiben wird, häufig für seine medienwirksamen Polizeiaktionen im sogenannten Clan-Milieu kritisiert. Im "Zukunftsvertrag" von CDU und Grünen steht jetzt, man werde eine "einheitliche polizeiliche und justizielle Definition zur Clan-Kriminalität schaffen, ohne Personen unter Generalverdacht zu stellen". Jedes Jahr sollen 3.000 Polizeikräfte eingestellt werden – statt wie bisher 2.500. Die Bekämpfung von Sexualdelikten gegen Kinder bleibt laut der Vereinbarung neben der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität ein Schwerpunkt der inneren Sicherheit. Das Werk, sagt Wüst, trage inhaltlich, aber auch persönlich. Mitglieder der Arbeitsgruppen bestätigen ihn in dieser Einschätzung. "Meine ostwestfälischen Kollegen und ich haben die Verhandlungen als sehr konstruktiv und vertrauensvoll wahrgenommen", sagt die CDU-Abgeordnete Bianca Winkelmann aus Minden-Lübbecke. "Diese Koalition zeichnet aus, vermeintliche Gegensätze zu überwinden", etwa auch jene bei Landwirtschaft und Umwelt; beides solle nun "zusammen gedacht" werden. Kompromisse zu schließen heißt, das Motiv der Gegenseite zu erkennen. Das gilt gerade in einer Zeit, in der Kriege und Konflikte in die regionale Politik hineinragen. Neubaur habe vor diesem Hintergrund "mehrere wertvolle Situationen" erlebt, sagt sie an diesem historischen Tag in Düsseldorf. "Wir beginnen, uns zu verstehen, weil wir es ernst miteinander meinen."

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