Wie diese Bielefelder Hebamme um ihre Existenz kämpfen muss

Düsseldorf/Bielefeld. In Deutschland herrscht Hebammenmangel, doch obwohl Frauen, Familien und vor allem die Hebammen selbst seit Jahren auf diesen Versorgungsengpass und die gefährlichen Folgen für Mütter und Kinder aufmerksam machen, hat sich an den prekären Arbeitsverhältnissen von Hebammen nicht viel verbessert. Um das zu ändern, verhandeln derzeit die Hebammenverbände mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen über ein neues Vergütungssystem. Wann die Verhandlungen enden und zu welchen Ergebnissen sie führen werden, ist noch offen, doch die Zeit drängt, denn viele Hebammen geben frustriert auf. Beispiele aus dem Alltag der Bielefelder Hebamme Julia Kollmeier zeigen, wo das bisherige System hakt. In Deutschland gibt es laut dem statistischen Bundesamt etwa 26.000 Hebammen. Viele von ihnen arbeiten freiberuflich, so wie Julia Kollmeier, die seit einem Jahr wieder als Hebamme tätig ist. Für die Bielefelderin ist es bereits die zweite Selbstständigkeit. Doch nach 20 Jahren Berufserfahrung zeigt sich, dass die Probleme, die zum Ende von Kollmeiers erster Selbstständigkeit führten, nach wie vor bestehen. &bdquo;Hebammen werden noch immer nicht adäquat bezahlt.“ Ehemann als Ausgleich für Defizite nötig Ihre erste Selbstständigkeit beendet Kollmeier für ein Studium. &bdquo;Ich habe Erziehungswissenschaften studiert und anschließend als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bielefeld gearbeitet. Mein Ziel ist es aber, künftig angehende Hebammen auszubilden und dafür wollte ich vorher noch einmal zurück an die Basis.“ Kollmeier wechselt deshalb vor einem Jahr zurück in die Selbstständigkeit. &bdquo;Ich liebe meinen Beruf, doch die Bezahlung reicht nicht zum Überleben. Das musste ich schon bei meiner ersten Selbstständigkeit feststellen und erlebe es jetzt erneut.“ Besonders dramatisch ist nach Einschätzung Kollmeiers die Situation für alleinerziehende Hebammen. &bdquo;Aktuell benötigt man als Hebamme eigentlich einen Ehemann, der die Defizite mit seinem Gehalt ausgleichen kann, weil die Pauschalen, die die Krankenkassen derzeit für unsere Arbeit zahlen, nicht ausreichen, um alle Kosten der Freiberuflichkeit decken zu können. Ohne diesen Ausgleich wird das Überleben schwer.“ 38,46 Euro für eine Nachsorgeberatung, unabhängig von der Dauer Um ein Abrutschen in prekäre Lebensverhältnisse zu verhindern, bieten viele Hebammen Leistungen wie Babymassagen, Trageberatung oder Yoga an, die Frauen selber bezahlen müssen, da die Krankenkassen die Kosten nicht übernehmen. &bdquo;Ohne diese Wahlleistungen geht es nicht.“ Zudem entscheiden sich mehr Hebammen dazu, nur Frauen zu betreuen, die privat krankenversichert sind. &bdquo;Ich kann meine Kolleginnen verstehen, aber viele Familien können sich eine Privathebamme nicht leisten“, sagt Kollmeier. &bdquo;Deshalb schadet diese Entwicklung der Grundversorgung, denn dazu gehört die Hebammenhilfe, auf die jede Frau vor, während und nach der Geburt einen gesetzlichen Anspruch hat.“ Das Problem im Vergütungssystem für freiberufliche Hebammen in der Vor- und Nachsorge besteht nach Angaben des Landesverbands der Hebammen NRW darin, dass die Krankenkassen für die meisten Leistungen keinen festen Stundenlohn zahlen, sondern unabhängig von der Dauer einer Beratung lediglich Pauschalen. &bdquo;Versorge ich Frauen und Kinder nach der Geburt, erhalte ich eine Pauschale von 38,46 Euro sowie kleine Zuschläge für Material und Fahrtkosten, unabhängig davon, ob die Beratung 30 Minuten oder zwei Stunden dauert“, erklärt Kollmeier. &bdquo;Um all meine Kosten decken zu können und Frauen und Kinder weiterhin bestmöglich versorgen zu können, benötige ich jedoch 70 Euro pro Stunde, doch davon sind die meisten Pauschalen sehr weit entfernt.“ &bdquo;Gäbe es mehr Männer in dem Beruf, hätten wir die Probleme nicht.“ Aus diesem Grund kämpft der Hebammenverband NRW bereits seit Jahren für eine Umstellung des Vergütungssystems. &bdquo;Wir sind froh, dass inzwischen Einigkeit zwischen den Hebammenverbänden und Krankenkassen darüber herrscht, dass künftig feste Löhne für feste Zeitfenster gezahlt werden sollen. Doch noch wissen wir nicht, wie hoch der Lohn sein wird“, erklärt die Vorsitzende Barbara Blomeier, die Mitte des Jahres mit einer Einigung rechnet. Kollmeier hofft, dass das System zügig auf einen auskömmlichen Stundenlohn umgestellt wird. &bdquo;Denn aktuell leisten Hebammen viel unbezahlte Arbeit.“ Kollmeier fordert auch mehr Wertschätzung für ihren Beruf. &bdquo;Carearbeit, die Frauen als Hebammen oder in anderen Berufen leisten, ist oft unsichtbar und es wird zu selten über Geld gesprochen. Gäbe es mehr Männer in dem Beruf, hätten wir die Probleme nicht.“ Vorwurf: Kassen stellen Hebammen unter einen Generalverdacht Die Hebamme kritisiert zudem, dass die Berufsgruppe von Krankenkassen unter einen Generalverdacht gestellt wird. &bdquo;Zum einen müssen sich Hebammen jeden Besuch von den betreuten Frauen unterschreiben lassen und zum anderen rufen Mitarbeiter von Krankenkassen stichprobenartig bei Frauen an, um zu prüfen, ob die Hebammen auch wirklich zu den angegebenen Zeiten anwesend waren.“ Hintergrund ist eine Vorgabe für die Hebammenhilfe in der Nachsorge. Nach der Geburt hat jede gesetzlich krankenversicherte Frau zwölf Wochen lang Anspruch auf die Unterstützung einer Hebamme, bei Bedarf auch bis zum Ende der Stillzeit. In den ersten zehn Tagen nach der Geburt ist der Beratungsbedarf oft hoch, weshalb Hebammen in dieser Zeit für Beratungen pro Tag zwei Pauschalen von jeweils 38,46 Euro abrechnen können. Allerdings nur dann, wenn die beiden Beratungen in keinem zeitlichen Zusammenhang stehen. &bdquo;Das bedeutet, dass ich dieselbe Frau, die beispielsweise aufgrund einer Brustentzündung zwei Stunden meiner Hilfe benötigt, eigentlich vormittags und nachmittags jeweils für eine Stunde besuchen muss. Das ist absurd und fern von der Realität“, moniert Kollmeier. &bdquo;Doch nur so erhalte ich die Chance für zwei Stunden Arbeit nicht nur einmal 38,46 Euro abrechnen zu dürfen, sondern zweimal.“

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