OWL-Landräte: "Bei uns in der Region ist der Rückhalt für Putin gering"

Bielefeld. Große Sorgen um die Stabilität von Wirtschaft und Gesellschaft treibt die sechs Landräte Ostwestfalen-Lippes sowie den Bielefelder Oberbürgermeister um. Das wurde bei einem Besuch der Spitzenbeamten in der Nachrichtenredaktion deutlich. &bdquo;Ich nehme es so wahr, dass die Gesellschaft immer mehr auseinanderfällt“, beschreibt der lippische Landrat Axel Lehmann (SPD) den Ist-Zustand aus seiner Sicht. In dem ausführlichen Gespräch mit der Chefredaktion äußerten sich die Chefs der Kreisverwaltungen sowie des Bielefelder Rathauses zu zahlreichen aktuellen Themen wie Corona-Pandemie, Impfpflicht, Belastungen der Polizei und des öffentlichen Dienstes, Herausforderungen für die Demokratie und den Krieg in der Ukraine.Wir dokumentieren die Positionen der OWL-Spitzenpolitiker ab heute in einer dreiteiligen Serie. Es fehlte bei den Gesprächen die erkrankte Landrätin des Kreises Minden-Lübbecke, Anna Katharina Bölling (CDU)."Kriegsverbrechen sind abscheulich, ekelhaft und furchtbar"Ausführlich äußerten sich die Landräte etwa zu den Herausforderungen des Ukraine-Krieges für OWL. Die jüngst bekannt gewordenen mutmaßlichen Kriegsverbrechen dort bezeichnete der Gütersloher Landrat Sven-Georg Adenauer (CDU) als &bdquo;abscheulich, ekelhaft und furchtbar“. Dort seien auch für den Krieg geltende Regeln &bdquo;auf das eklatanteste verletzt worden“. Die Landräte und der OB waren sich einig in der Forderung, dass diese Verbrechen von unabhängigen Instanzen untersucht und vor ordentlichen Gerichten zur Anklage gebracht werden sollten.Die Flüchtlingsströme aus der Ukraine stellen die Menschen und die Kommunen in OWL nach einhelliger Meinung vor große Herausforderungen. Der Höxteraner Landrat Michael Stickeln (CDU) sieht in der Bevölkerung eine &bdquo;Welle der Hilfsbereitschaft“ gegenüber den aus der Ukraine Geflüchteten. &bdquo;Die Menschen fühlen sich verantwortlich.“ Allerdings mahnt der Bielefelder Oberbürgermeister Pit Clausen (SPD) aus Sicht der Kommunen: &bdquo;Es fehlen klare Signale aus Düsseldorf und Berlin.“ Dabei gehe es vor allem um die Übernahme der Kosten für die Unterbringung der Geflüchteten.Allgemeine Impfpflicht gefordert &bdquo;Was mich tierisch nervt, ist, dass es auf Landesseite nicht einen zuständigen Ansprechpartner gibt“, schimpft der Herforder Landrat Jürgen Müller (SPD). Man habe es wechselnd mit den Ministerien für Schule, Bauen und Flüchtlinge zu tun.Auch in Sachen Corona-Pandemie beziehen die Verwaltungschefs klar Position: Die OWL-Landräte und der Bielefelder OB sprechen sich eindeutig für eine allgemeine Impfpflicht zur Bekämpfung der Corona-Pandemie aus. Das unterstrich ihr Sprecher Sven-Georg Adenauer: &bdquo;Das muss der Bund einheitlich regeln.“"Die Strategie Couch und Sofa hält nicht Monate"Ein erster Themenschwerpunkt des Gesprächs ist der Umgang mit den Folgen des Ukraine-Kriegs in OWL. Gut 3.600 geflüchtete Menschen aus der Ukraine sind bislang alleine in der Stadt Bielefeld angekommen. Das berichtet Oberbürgermeister Pit Clausen (SPD). &bdquo;Mehr als die Hälfte davon sind privat untergebracht“, so das Stadtoberhaupt beim Gespräch. Doch Clausen zeigt schon jetzt die Größe der Herausforderungen auf. &bdquo;Wenn ich diese Menschen alle in städtischen Quartieren unterbringen müsste, wären alle Sportlerheime dicht.“Alle Nachbarkreise in OWL hätten der Stadt sofort und unbürokratisch geholfen, Engpässe bei der Unterbringung der Geflüchteten aufzulösen. Das private Engagement der Menschen in OWL sei riesig, den vor dem Krieg geflüchteten Menschen, zumeist Frauen und Kinder, zu helfen, bis hin zu einer Unterkunft. Doch: &bdquo;Die Strategie Couch und Sofa hält nicht Monate“, mahnt Clausen. Mit seinen Amtskollegen aus den Kreishäusern ist sich der OB einig in der Forderung, dass es klare Regeln für die Lenkung des Flüchtlingsstroms brauche. Aktuell gebe es seitens des Bundes ein umständliches Registrierungsverfahren, das pro Person etwa eine Stunde dauere."Es fehlt die Kostensicherheit" Die Kommunen müssten zeitnah wissen, wann sie sich auf wie viele Geflüchtete einzustellen hätten, um Unterkünfte bereithalten zu können. Dies koste viel Geld. Clausen nennt ein Beispiel: Pro Monat müsse die Stadt rund 40.000 Euro ausgeben, um rund 100 Flüchtlinge in einer Zeltstadt unterbringen zu können. Bis heute sei nicht klar, wer für all dies die Kosten letztlich trage, mahnen die Kreishauschefs. &bdquo;Es fehlt die Kostensicherheit“, kritisiert der Herforder Landrat Jürgen Müller (SPD). Dazu müssten sich sehr zeitnah Bund und Land äußern, mahnt auch der Paderborner Landrat Christoph Rüther (CDU).Die Kreishauschefs weisen zudem darauf hin, dass etwa 40 Prozent der Geflüchteten im Schul- und Kitaalter seien. Auch für die Verteilung der Jungen und Mädchen in diese Einrichtungen brauche es klare Regeln. Die Landräte und der OB sind sich einig in der Einschätzung, dass die kommunale Familie bei der Unterbringung der Flüchtlinge sehr frühzeitig und schnell gehandelt habe. &bdquo;Die Flüchtlingsfrage ist vor Ort geregelt worden, dort sind wir stark“, unterstreicht Müller. Im Kreis Herford habe man sich bereits am Tag nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges zusammengesetzt und Weichen gestellt, damit man möglichst rasch erste Unterkünfte für Flüchtlinge, etwa in Turnhallen, habe anbieten können.Impfquote bei Menschen aus der Ukraine bei 30 Prozent Lippes Landrat Axel Lehmann (SPD) weist zudem darauf hin, dass es im Zusammenhang mit dem Gesundheitsschutz noch offene Fragen bei der Aufnahme der Ukraine-Flüchtlinge gibt. Bei den Menschen die aus der Ukraine kämen, gebe es eine Impfquote gegen Covid-19 von lediglich 30 Prozent. &bdquo;Die Tuberkulose ist in der Ukraine noch nicht ausgerottet“, mahnt Lehmann. &bdquo;Wenn da eine Krankheit ausbricht in großen Einrichtungen, zieht das Kreise“, warnt der lippische Landrat. Doch wie genau diese Dinge nun vor Ort angegangen werden sollten, sei bislang völlig unklar. &bdquo;Eine Vereinbarung zwischen dem Land und der Kassenärztlichen Vereinigung fehlt bis heute.“Immerhin nehmen die Landräte wahr, dass die Solidarität in der OWL-Bevölkerung mit den Menschen in der Ukraine weiter riesig ist und der von Russland angezettelte Angriffskrieg von einer überwiegenden Mehrheit der Menschen scharf verurteilt wird. &bdquo;Bei uns in der Region ist der Rückhalt für Putin gering“, berichtet Paderborns Landrat Christoph Rüther (CDU). Das gilt nach Einschätzung der Verwaltungschefs auch für den überwiegenden Teil der russlanddeutschen Bürgerinnen und Bürger.Sorgen um die Stabilität der Gesellschaft &bdquo;Viele haben gesagt: ,Wir schämen uns’“, sagt Höxters Landrat Michael Stickeln (CDU). Ob es wirklich lediglich zehn Prozent der Russlanddeutschen sind, die mit der Linie Putins sympathisieren, wie es in internen Berichten heißt, wagt die Gesprächsrunde nicht zu beurteilen. Hier und da gibt es jedenfalls Stimmen, die sich hinter die russische Position stellen. Lehmann verweist in diesem Zusammenhang auf eine pro-russische Demonstration in Horn-Bad Meinberg vor etwa drei Wochen. Clausen berichtet von einem Kind in einem Bielefelder Kindergarten, das ein Sweatshirt mit einem &bdquo;Z“ auf der Brust getragen habe. Dieses Zeichen gilt als Befürwortung des russischen Angriffskrieges und ist zum Beispiel in Berlin verboten.&bdquo;Wir müssen das nicht nur ertragen, sondern uns damit auch auseinandersetzen“, ist Clausen überzeugt. Eine radikalere Meinung vertritt hier Sven-Georg Adenauer, Landrat in Gütersloh und Sprecher der OWL-Landrätekonferenz (CDU). &bdquo;Es kann nicht sein, dass Menschenrechte mit Füßen getreten werden.“ Für eine solche Position stehe jedoch das &bdquo;Z“. &bdquo;Wenn wir die Diskussion nicht führen, sehe ich das als sehr schwierig an“, findet Jürgen Müller. Er bericht darüber, dass es jüngst im Straßenverkehrsamt des Kreises Herford viele Anfragen nach dem &bdquo;Z“ auf dem Autokennzeichen gegeben habe. Müller: &bdquo;Da haben wir gesagt: ,Das machen wir erst mal nicht mehr.’“ Im ländlichen Raum sind nach Einschätzung Adenauers rund 90 Prozent der Bevölkerung eindeutig aufseiten der Ukraine. Doch es gibt auch Sorgen um die Stabilität der Gesellschaft. Stickeln: &bdquo;Die Leute sind gereizter. Das Zusammenkommen fehlt.“

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