Rückforderung von Corona-Soforthilfen: "Politik hält Versprechen nicht"

Bielefeld/Bünde. An den März 2020 kann sich Manuela Aster auch heute, fast zwei Jahre später, noch genau erinnern. Wie viele andere Selbstständige musste auch die Inhaberin des Bünder Salons "Friseur Farb & Haarspielerei" am 22. März ihren Betrieb schließen - ohne genau zu wissen, wie lange. "Es war überhaupt nicht klar, wo die Reise hingehen würde. An die Ungewissheit und Existenzangst erinnere ich mich noch ganz genau", sagt Aster. Um den Betroffenen schnell und unbürokratisch zu helfen, stellte der Bund mit der Corona-Soforthilfe ein Förderprogramm mit einem Gesamtvolumen von bis zu 50 Milliarden Euro auf die Beine. Für kleine Unternehmen mit maximal fünf Mitarbeitern wurden 9.000 Euro zur Verfügung gestellt, für Unternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten gab es 15.000 Euro. Allein in NRW wurden laut Wirtschaftsministerium 430.000 Anträge bewilligt und insgesamt Hilfen von 4,5 Milliarden Euro ausgezahlt."War nicht klar, dass das zurückgezahlt werden muss" Auch Manuela Aster nahm die staatliche Hilfe in Anspruch, in dem Glauben, diese nicht zurückzahlen zu müssen. Die Worte des damaligen Finanzministers und jetzigen Bundeskanzler Olaf Scholz ließen eigentlich keinen anderen Schluss zu. "Ganz wichtig ist mir: Wir geben einen Zuschuss, es geht nicht um einen Kredit. Es muss also nichts zurückgezahlt werden. Damit erreichen wir die, die unsere Unterstützung jetzt dringend brauchen", ließ sich Scholz am 23. März 2020 in einer Pressemitteilung des Finanzministeriums zitieren. Aster beantragt Soforthilfe und erhält für ihren Salon mit insgesamt neun Beschäftigten 15.000 Euro. "Ich habe die Hilfe im Lockdown genutzt, um alle Fixkosten für Miete und Personal erst mal vorzustrecken."Im Juli 2020 erhält sie schließlich eine Mail, in der sie zu einer verpflichtenden Selbstüberprüfung aufgefordert wird. Die Soforthilfen seien "zweckgebunden und zu viel ausgezahltes Geld muss an die Landeshauptkasse zurückerstattet werden", heißt es in der Mail. Sie soll ihre Einnahmen für die Zeit von April bis Juni 2020 angeben, um ihren "Liquiditätsengpass zu berechnen". Aster ist über das Vorgehen verärgert, fühlt sich unfair behandelt. Weder von einer Prüfung noch vom Prüfungszeitraum sei im Antrag die Rede gewesen. &bdquo;Als ich die Soforthilfe beantragt habe, war vorerst nicht klar, dass die zurückgezahlt werden muss. Das war auch anhand der Formulare nicht sofort ersichtlich." Unmut bei den Friseuren ist groß Jetzt soll Aster 13.000 Euro Soforthilfe zurückzahlen, lediglich 2.000 Euro Unternehmerlohn darf sie behalten. Und das obwohl sie im Frühjahr 2020 sechs Wochen ihren Salon schließen musste und in dieser Zeit keine Einnahmen hatte. Das Problem: Bei der Berechnung der Liquiditätslücke reißen die umsatzstarken Monate Mai und Juni den April mit gar keinen Einnahmen raus. &bdquo;Nach dem Lockdown hatten wir einen riesigen Kundenansturm und haben gute Umsätze erzielt, weil wir uns ins Zeug gelegt und Termine nachgeholt haben. Jetzt werden wir dafür bestraft, dass wir Gas gegeben haben und viel Geld verdient haben. Das ist nicht fair."Ihr Team habe nach dem Lockdown in Schichten gearbeitet, um die aufgrund der strengen Coronaregeln geringere Kapazität im Salon auszugleichen. "Wir haben Überstunden gemacht und hatten entsprechend auch Mehrkosten beispielsweise bei Strom und Wasser." Darauf bleibe sie nun sitzen, sagt Aster. &bdquo;Wir fühlen uns bestraft. Bei 90 Prozent der Friseure herrscht deshalb großer Unmut." Obwohl sie Geld beiseitegelegt habe, um die Hilfen zurückzahlen zu können, wartet Aster noch ab. Wie andere Friseure überlegt sie, juristisch gegen die Rückzahlungen vorzugehen. Musterprozess vor dem Bundesverfassungsgericht geplant Aster unterstützt deshalb die Initiative Friseure für Gerechtigkeit (IFG), die vom Münchener Friseurmeister Bernhard Ries im März 2021 gegründet wurde. Die will durch einen Musterprozess vor dem Bundesverfassungsgericht bei angeordneten Betriebsschließungen eine Entschädigungspflicht des Staates feststellen lassen. "Wir wollen im Ernstfall nicht mehr von 'Billigkeitsleistungen' der Politik abhängig sein, auf die kein Rechtsanspruch besteht", erklärt Ries auf Anfrage. Die Initiative habe ursprünglich nicht auf die Rückerstattung der Corona-Soforthilfen abgezielt, diese seien aber als zusätzlicher Aspekt dazugekommen. "Wir haben uns auf die Aussagen der Politik verlassen und müssen nun feststellen, dass die Politik ihre Versprechen nicht einhält." Das Thema der Rückzahlungen ist laut Ries gerade bei Friseuren ein nicht zu unterschätzendes Thema. Bei vielen seien die Umsätze über das ganze Jahr 2020 gesehen deutlich zurückgegangen und die Reserven aufgebraucht. "Deshalb ist die Rückerstattung ein großes Problem und wird, wenn sie so umgesetzt wird, genau zu der Pleitewelle führen, die Olaf Scholz mit seinen Soforthilfen ja eigentlich verhindern wollte", sagt Ries.Zurückhaltender äußert sich Harald Esser, Vorsitzender des Friseur- und Kosmetikverbandes NRW: "Ich bin vorsichtig, was eine Klage angeht und nicht sicher, ob das der sinnvollste Weg ist. Erst müssen ausreichend Gespräche mir den Ministerien auf Landesebene geführt werden." Zudem gibt er zu Bedenken, dass die Rückzahlungsmodalitäten im Vergleich zu anderen Bundesländern in NRW großzügiger gestaltet seien, zum Beispiel werde eine frei wählbare Ratenzahlung angeboten. Esser räumt allerdings ein: "Für diejenigen, die das Geld der Soforthilfen eingesetzt und dann zu viel Umsatz gemacht haben, ist das bitter. Die werden von der Rückzahlung hart getroffen." Auch Initiative in NRW will klagen Das trifft in NRW nicht nur auf Friseure zu. Mehr als 9.500 Solo-Selbstständige, Einzelunternehmer, Freiberufler und Künstler haben sich seit dem Juli 2020 in der Interessensgemeinschaft-NRW Soforthilfe zusammengeschlossen. Gegründet wurde die IG-NRW von Reiner Hermann, Unternehmensberater in der Finanz-und Immobilienbranche aus Düsseldorf. &bdquo;Von unseren Mitgliedern hat es viele heftig erwischt, einige haben ihre Existenz aufgeben müssen", berichtet er. Auch er selbst soll seine 9.000 Euro Corona-Hilfe zurückzahlen. Hermann ärgert sich dabei nicht über den vermeidlichen Wortbruch der Politik, sondern sieht eine andere Angriffsfläche: Das Land habe beim Start des Verfahrens am Ende März 2020 sogenannte FAQs aufgestellt - deutsch: oft gestellte Fragen. Nun werde sich laut Hermann bei der Rückzahlung auf andere Formulierungen berufen, als ursprünglich auf der Antragsseite und in den FAQs zu lesen waren. "Mitteilungen einer Behörde genießen Vertrauensschutz und können nicht einfach rückwirkend geändert werden", sagt Hermann. Das Land habe allerdings die Förderbedingungen im Nachhinein mehrfach geändert. "Das ist so verwaltungsrechtlich nicht haltbar. Es wurden etliche handwerkliche Fehler begangen.“ Bis Ende Oktober 2022 müssen die Rückzahlungen beim Land eingegangen sein. Hermann hofft, dass es bis dahin ein Musterverfahren geben wird, damit nicht jeder allein für sich klagen muss.“ Schon jetzt zieht er allerdings ein vernichtendes Fazit: "Bei der NRW-Soforthilfe wurde nicht das umgesetzt, was angekündigt wurde. Das Land hat die gute Idee der Hilfen gründlich versemmelt." Alle wichtigen Informationen rund um das Coronavirus finden Sie auf unserer Themenseite Liveblog zur Corona-Pandemie

Meistgelesen