Strafen für volle Kliniken, wenn sie weiter Patienten aufnehmen

Berlin/Paderborn. Neben der vierten Welle der Corona-Pandemie rollt derzeit auch eine Welle von Atemwegserkrankungen durch Deutschland, die vor allem Kinder betrifft. In Kombination mit dem Fachkräftemangel im Gesundheitswesen bringt das immer mehr Kinderkliniken an den Rand ihrer Kapazitäten. In NRW müssen kranke Kinder mitunter in andere Bundesländer verlegt werden. Krankenhäuser fordern deshalb eine Aussetzung der Pflegepersonaluntergrenzen, die pro Pflegekraft eine maximale Anzahl an Patienten vorgeben. Steht dieses Personal, so wie aktuell in vielen Kinderkliniken, nicht zur Verfügung, müssen Betten geschlossen werden. Nehmen Kliniken trotzdem weiter Patienten auf, drohen ihnen Strafzahlungen. &bdquo;Ein ethisches Dilemma, das sofort aufgelöst werden muss", fordert deshalb der Präsident des Verbands der Krankenhausdirektoren Deutschlands, Josef Düllings aus Paderborn. &bdquo;In NRW ist derzeit bereits die Verlegung von Kindern aus übervollen Häusern in andere nur noch eingeschränkt möglich. Geschäftsführer berichten, dass von Hamm bis Kassel, von Minden bis Arnsberg nach dieser starren Regel kein krankes Kind mehr regulär aufgenommen werden dürfte", erklärt Düllings, Hauptgeschäftsführer der St.-Vincenz-Kliniken Paderborn. &bdquo;Selbst Krankenhäuser, die noch freie Kapazitäten hätten, dürften die Patienten vielfach nicht mehr aufnehmen. Sie tun es oft dennoch, obwohl sie damit in Schwierigkeiten kommen können." Intensivmedizin: Maximal zwei Patienten pro Pfleger Hintergrund sind die 2019 eingeführten Pflegepersonaluntergrenzen in Krankenhäusern, die inzwischen für die Fachbereiche Intensivmedizin, Geriatrie, Chirurgie und Unfallchirurgie, Innere Medizin und Kardiologie, Herzchirurgie, Neurologie, neurologische Schlaganfalleinheit, neurologische Frührehabilitation sowie für die Pädiatrie und pädiatrische Intensivmedizin gelten. Für jeden Fachbereich gibt der Gesetzgeber für Tag- und Nachtschichten eine bestimmte Zahl an Personal vor. So darf in der Intensivmedizin für Erwachsene und Kinder eine Pflegekraft am Tag maximal zwei Patienten betreuen und in der Nacht maximal drei. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums wurden die Grenzen eingeführt, um Patienten eine bestmögliche Versorgung zu ermöglichen und Pflegekräfte vor Überlastung zu schützen. Unterschreiten Kliniken diese Grenzen, drohen Strafzahlungen. Der Pflegedirektor des Klinikums Herford, Bastian Flohr, bewertet die Aussetzung der Vorgaben deshalb nicht als &bdquo;zwingend zielführend", da Kliniken bereits schon jetzt sogenannte Ausnahmetatbestände dokumentieren können, wenn es aufgrund von Infektionskrankheiten ein hohes Patientenaufkommen gibt. Forderung: &bdquo;Der Gesetzgeber muss jetzt reagieren" Düllings bewertet die Vorgabe hingegen als gut gemeint, aber in der aktuellen Situation als gefährlich, &bdquo;weil zwar Personal vorhanden ist, aber häufig nicht in der geforderten Anzahl". Der Krankenhausgeschäftsführer fordert deshalb, wie schon im März 2020, eine temporäre Aussetzung der Vorgabe. &bdquo;Was im vergangenen Jahr unter Corona-Bedingungen möglich war, muss nun im Sinne der kranken Kinder ebenfalls ermöglicht werden. Und das sehr zügig, denn die Welle wird nicht so bald wieder abebben. Der Druck steigt weiter." Düllings erklärt die Versorgung kranker Kinder zur ethischen Pflicht für Krankenhäuser.: &bdquo;Das tun wir. Es kann aber nicht sein, dass wir dafür bestraft werden. Im Sinne der kranken Kinder und im Sinne der Kinderkliniken muss der Gesetzgeber jetzt reagieren. Jetzt und nicht erst in Wochen." Diese Forderung unterstützt auch der Geschäftsführer des Klinikums Lippe, Johannes Hütte: &bdquo;Obwohl in den Krankenhäusern so viel Pflegepersonal wie nie beschäftigt wird, müssen Betten gesperrt werden. Das zeigt, dass die Pflegepersonaluntergrenzen der Realität nicht gerecht werden." Richtig ist laut Hütte, dass zum Wohl von Patienten und der Pflegekräfte die Personalsituation in Kliniken gestärkt werden muss, aber nicht auf diese Weise. &bdquo;Als Krankenhaus haben wir einen Versorgungsauftrag, dem wir nachkommen, indem wir keine Patienten abweisen. Da der Arbeitsmarkt für Pflegekräfte aber leer gefegt ist und die Ausbildung mindestens drei Jahre dauert, können Lücken im Dienstplan nicht immer sofort mit neuem Personal gefüllt werden. In der Folge zahlen wir als Klinik Strafen, wenn wir trotzdem weiter Patienten aufnehmen." &bdquo;Grenzen bewerten nur die Quantität von Pflege, nicht die Qualität" Hütte bewertet die Pflegepersonaluntergrenzen deshalb nicht nur für die Pädiatrie als problematisch, sondern auch in allen anderen Bereichen. &bdquo;Nicht nur die Kinderkliniken sind derzeit stark ausgelastet, sondern auch die Fachbereiche für Erwachsene." Auch die Pflegedirektorin des evangelischen Klinikums Bethel, Petra Krause, kritisiert, dass die Pflegepersonaluntergrenzen in allen Klinikbereichen zu Problemen führen. &bdquo;Diese starren Grenzen bewerten ausschließlich die Quantität von Pflege und nicht die Qualität. Der Pflegeaufwand unterscheidet sich aber je nach Patient und Erkrankung erheblich", erklärt Krause. Zudem müssen nicht alle Tätigkeiten in der Pflege, wie zum Beispiel die Administration, von Fachkräften übernommen werden, die drei oder sogar fünf Jahre ausgebildet wurden. &bdquo;Auch dieser Aspekt bleibt aktuell unbeachtet." Um Menschen mit Pflegebedarf adäquat zu versorgen, ist laut Krause ein Qualifikationsmix dringend notwendig. &bdquo;Denn in qualitativ hochwertiger und individuell bedarfsgerechter Pflege fallen eine Vielzahl von Aufgaben an, die unterschiedlich komplex sind." Forderungen nach Ausgleichszahlungen für freie Betten In ihrer Kritik an den Pflegepersonaluntergrenzen verweisen die Experten immer wieder auf die aus ihrer Sicht unzureichende Finanzierung der Kliniken in Deutschland. &bdquo;Auf den Krankenhäusern lastet ein enormer Kostendruck. Zum einen wegen steigender Personalkosten bei einer gleichzeitigen Verknappung der Arbeitszeit, zum anderen, weil Investitionskosten zum großen Teil selbst finanziert werden müssen", moniert Hütte. Wollen Kliniken ihre Gebäude renovieren, in Medizintechnik investieren, den gestiegenen Ansprüchen der Patienten gerecht werden oder politische Vorgaben umsetzen, müssen sie das Geld dafür nach Angaben Hüttes zu großen Teilen selbst aufbringen. Ein weiteres Problem ist laut Krause, dass Krankenhäuser aktuell trotz der stetig steigenden Zahl an Covid-19-Patienten keine Ausgleichszahlungen erhalten. &bdquo;Diese Zahlungen muss es wieder geben, denn zur Versorgung weiter Covid-19-Patienten müssen Kliniken Betten freihalten."

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