Ohne Attest eine 6: Lehrer verhängen rechtswidrige Attestpflicht für Schüler

Düsseldorf/Bielefeld. Am 5. Juli beginnen in NRW die Sommerferien. Bis dahin steht Schülern noch sehr viel Arbeit bevor, da noch einige Klausuren geschrieben werden müssen. Viele Lehrer haben mit der Rückkehr in den Präsenzunterricht kurzfristige Klausurtermine angesetzt, um nach der langen Zeit im Distanzunterricht zumindest eine schriftliche Arbeit als Grundlage für die Benotung ihrer Schüler nutzen zu können. Diese Klausurtermine versehen Lehrer zunehmend mit einer Attestpflicht, für die es in NRW zwar keine Rechtsgrundlage gibt, jedoch flächendeckend angewendet wird, auch in OWL. Die Folge: Fehlen Schüler bei Klausuren ohne ärztliches Attest, vergeben Lehrer die Note 6, die mitunter Schulabschlüsse gefährdet. Das in wenigen Wochen endende Schuljahr hat Schülern und Lehrern viel abverlangt. Trotz der schwierigen Bedingungen und sehr unterschiedlichen Voraussetzungen im Distanzunterricht, müssen Lehrer nach Vorgabe des NRW-Schulministeriums ihre Schüler benoten. Zusammensetzen sollen Lehrer die Gesamtnote für ein Fach laut Ministerium aus mündlichen Noten für die Mitarbeit in Videokonferenzen sowie aus mindestens einer schriftlichen Note, die viele Schüler bislang noch nicht erbracht haben. &bdquo;Lehrer müssen Noten vergeben und befinden sich dadurch in einem Dilemma, denn sie haben die Sorge, dass sie ihren Schülern nicht gerecht werden. Aus diesem Grund stehen kurz vor den Sommerferien nun noch einige Klausuren an, damit Lehrer zumindest etwas mehr Sicherheit bei der Notenvergabe haben", erklärt die NRW-Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Maike Finnern. &bdquo;Da die Noten bereits in wenigen Wochen feststehen müssen, ist es Lehrern aktuell besonders wichtig, dass kein Schüler bei den Klausuren fehlt, weshalb mitunter Atteste verlangt werden, auch wenn dafür die Rechtsgrundlage fehlt." Attestpflicht für Schüler nur in Ausnahmefällen Rechtlich ist die Attestpflicht für Schüler in NRW klar im Schulgesetz geregelt: Lehrer und Schulen dürfen ärztliche Atteste von Schülern nur in Ausnahmefällen verlangen. &bdquo;Bei begründeten Zweifeln, ob Unterricht aus gesundheitlichen Gründen versäumt wird, kann die Schule von den Eltern ein ärztliches Attest verlangen und in besonderen Fällen ein amtsärztliches Gutachten einholen", erklärt ein Ministeriumssprecher. Dafür sei jedoch eine Einzelfallprüfung nötig. Daneben hat das Schulministerium eine Attestpflicht in die Ausbildungs- und Prüfungsordnungen für den Fall aufgenommen, dass Prüflinge Teile der Abschlussprüfungen krankheitsbedingt versäumen. In allen anderen Fällen reicht die schriftliche Entschuldigung der Eltern aus. Schüler ab dem 18. Lebensjahr können sich selbst entschuldigen. &bdquo;Schulen betreiben damit großen Missbrauch" Trotz der klaren Rechtslage verlangen einzelne Lehrer, aber auch Schulen, mitunter sogar mit Schulkonferenzbeschluss, Atteste, und zwar schon seit Jahren. Sanktionen verhängt das Schulministerium nicht, sondern verweist lediglich auf die Möglichkeit, dass sich Schüler und Eltern an die Schulaufsichtsbehörde wenden zu können, wenn sie die Attestpflicht als unrechtmäßig oder unverhältnismäßig bewerten. &bdquo;Dies gilt auch bei Konsequenzen für die Leistungsbewertung", erklärt der Sprecher. &bdquo;Betroffenen stehen zudem die Rechtsmittel der Beschwerde und des Widerspruchs zur Verfügung." Eltern kritisieren das Vorgehen ebenso wie Mediziner, die die rechtswidrige Attestpflicht für Schüler bereits seit Jahren anprangern. &bdquo;Schulen betreiben damit großen Missbrauch und verlagern Probleme in die Arztpraxen", moniert der Bielefelder Kinderarzt Marcus Heidemann, Vorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Westfalen-Lippe. &bdquo;Eine Attestpflicht mag vielleicht die Hemmschwelle für falsche Krankmeldungen erhöhen. Doch Schüler, die aufgrund von Ängsten, Depressionen oder anderen Gründen die Schulen über längere Zeit meiden, finden Schulen damit nicht, denn an Atteste gelangen Schüler und Eltern sehr schnell." Schülerin mit Gips benötigt Attest für Sportbefreiung Mediziner können die Aussagen von Patienten, die unter Kopfschmerzen, Übelkeit oder anderen Symptomen leiden, nach Angaben Heidemanns nur schwer nachprüfen. &bdquo;Wir Ärzte müssen, wie Lehrer auch, auf die Aussagen der Kinder und Jugendlichen vertrauen. Daher ist der Besuch beim Arzt bei nur kurz andauernden Beschweren in der Regel überflüssig und frisst unnötig Ressourcen." Zudem beklagt der Kinderarzt, dass mitunter &bdquo;absurde Atteste" von Schülern verlangt werden. &bdquo;Eine Patientin mit eingegipstem Arm benötigte ein Attest als Beweis dafür, dass sie nicht am Sportunterricht teilnehmen kann. Ich habe dann auf den Gips neben meinem Praxisstempel den Satz geschrieben: Das hier ist ein Gips." In anderen Fällen verlangten Schulen laut Heidemann von geistig oder körperlich behinderten Kindern Atteste als Beweise dafür, dass sie nicht alleine mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch die ganze Stadt bis zur Schule fahren können. &bdquo;Bevor Lehrer selbst Verantwortung übernehmen, schieben sie diese lieber an die Ärzte weiter." Kinderarzt nutzt Arztbesuche zur Aufklärung der Eltern Heidemann nutzt Arztbesuche dieser Art dafür, um Eltern aufzuklären. Eine Kopie des Schulgesetzes liegt in seiner Praxis. &bdquo;Eine Attestpflicht ist ein klares Misstrauensvotum gegen Eltern, doch vielen ist nicht bewusst, dass sich Lehrer rechtswidrig verhalten. Doch auch, wenn Eltern bereits darüber informiert sind, wollen sie in vielen Fällen lieber ein Attest. Entweder aus vorauseilendem Gehorsam oder, weil sie Auseinandersetzungen mit Lehrern fürchten." Und das, obwohl jedes Attest Geld kostet, da es keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung ist. &bdquo;Ein Attest kostet fünf Euro. Wir verlangen das nicht, um Geld zu verdienen, sondern als Schutzgebühr, damit Atteste nicht noch häufiger verlangt werden." Kaum noch Zeit, um Klausuren nachzuschreiben Bildungsgewerkschafterin Finnern kann verstehen, dass Mediziner und Eltern die Attestpflicht kritisieren, wirbt jedoch um Verständnis. &bdquo;Da die Sommerferien bereits in wenigen Wochen beginnen, können ausgefallene Klausuren in vielen Fällen wahrscheinlich nicht mehr nachgeschrieben werden, mit der Folge, dass Lehrer mitunter keine schriftliche Leistung als Grundlage für die Benotung haben", erklärt die Bielefelderin. &bdquo;Deshalb zählt aktuell jede Note, denn Noten müssen auch rechtssicher sein."

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