"Distanzunterricht allein reicht nicht, um gegen schlechte Noten zu klagen"

Bielefeld. Schlechte Schulnoten können die Versetzung gefährden, den Weg auf eine andere Schule verwehren oder gar den NC so weit runterdrücken, dass der angestrebte Studiengang nicht mehr möglich ist. Deshalb rückt gerade während der Corona-Pandemie auch das Schulrecht immer stärker in den Fokus der Gesellschaft. Für viele sind die &bdquo;gewürfelten" Noten aufgrund des erheblichen Unterrichtsausfalls nicht gerechtfertigt. Die Bielefelder Rechtsanwältin Melanie Honig rät jedoch dazu, vor einer Klage erst die Faktenlage zu prüfen. Frau Honig, Sie sind Expertin im Schulrecht. Wie können Schülerinnen oder Schüler dagegen vorgehen, wenn sie sich ungerecht bewertet fühlen und das Zeugnis gar die Versetzung gefährdet?Melanie Honig: Die Antwort steht meist bereits ganz klein auf der Rückseite des Zeugnisses. Gegen ein Zeugnis kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch erhoben werden. Ob der Widerspruch dann Erfolg hat, ist immer eine Entscheidung des Einzelfalls. Allgemein stehen die Chancen jedoch schlecht, wenn allein der Corona-bedingte Unterrichtsausfall als Grund genannt wird. Zudem kann von Schülerinnen und Schülern wohl erwartet werden, dass sie selbst erkennen können, wo ihre Schwächen liegen, das dem Lehrer rechtzeitig vor der anstehenden Prüfung sagen und die Defizite aufarbeiten. Wenn sich der Schüler nun aber doch entscheidet, Widerspruch einzulegen, wo muss er das tun? Honig: Den Widerspruch erhebt der Schüler oder die Schülerin direkt bei der Schule, die das Zeugnis ausgestellt hat. Diese wird sich im Rahmen des Überdenkungsverfahrens mit den Argumenten des Prüflings auseinandersetzen. Sieht die Schule ebenfalls einen Fehler, ändert sie die Note ab, andernfalls gibt sie das Verfahren an die Bezirksregierung zur endgültigen Entscheidung. Und wenn auch die Bezirksregierung die Note nicht abändert, was wäre dann der nächste Schritt? Honig: Sollten Schule und Bezirksregierung dem Widerspruch nicht abhelfen, ist anschließend der Weg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet, dies wiederum einen Monat nach Zustellung des Widerspruchsbescheids. Leider lässt oftmals die Ablehnung durch die Bezirksregierung auch Schlechtes für das Klageverfahren erahnen. Deshalb rate ich immer dazu, sich so früh wie möglich einen rechtlichen Rat einzuholen. Wann hätte man Chancen auf den Erfolg einer Klage? Honig: Widerspruch und Klage haben dann Erfolg, wenn tatsächlich ein "überprüfbarer" Fehler vorliegt. Und überprüfbar ist nur, was nicht dem subjektiven Beurteilungsspielraum des Prüfers unterliegt. Das sind zum einen formelle Fehler, wie zum Beispiel die Beachtung von Fristen, die Dauer von Prüfungen oder die Befähigung des Prüfers. Zum anderen materielle Fehler, wie unter anderem falsch bewertete Aufgaben, die nachweislich richtig sind, oder auch Folgefehler. Leider haben immer wieder Schülerinnen und Schüler ohne weitere Anhaltspunkte nur das Gefühl, dass diese oder jene Aufgabe doch mehr Punkte hätte einbringen müssen. Dies ist jedoch vom subjektiven Beurteilungsspielraum des Prüfers umfasst und gerichtlich nicht überprüfbar. Denn wie viele oder wenige Punkte eine Antwort nun wert ist, ist leider genau das – subjektiv. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Prüfer für andere Schüler der Klasse einen weniger strengen Bewertungsmaßstab zugrunde legt. Das ist selbstverständlich nicht erlaubt. Welche Art von Entschädigung kann die Schülerin oder der Schüler fordern? Honig: Je nachdem, welcher Fehler vorliegt, hat der Prüfling entweder einen Anspruch auf Neubewertung oder auf Wiederholung der Prüfung. In sehr seltenen Fällen kann im Rahmen der Amtshaftung ein Anspruch auf Schadensersatz - in Form von Geld zum Beispiel - begründet sein, allerdings wird es oftmals schwierig sein, einen genauen Schaden zu beziffern. Wie oft kommt es vor, dass sich Schüler oder Schülerinnen bei Ihnen melden und das Zeugnis anfechten wollen? Honig: Tatsächlich haben wir in unserer Kanzlei regelmäßig zum Ende jedes Schulhalbjahres viele Anfragen bezüglich der Anfechtung von Zeugnisnoten, wobei statistisch ein relativ geringer Anteil auf Anfechtungen der Abiturnote entfällt. Wie sind diese in der Regel ausgegangen? Honig: In einem Fall zum Beispiel hatte es die Schule versäumt, einen &bdquo;blauen Brief" zu verschicken. Dieser war - bevor der Absatz wegen Corona vorübergehend außer Kraft gesetzt wurde - jedoch zwingend erforderlich, um eine Versetzung zu verweigern. Da die Eltern nichts von den schwachen Leistungen ihres Kindes wussten, konnten sie nicht für Abhilfe sorgen und wurden am Schuljahresende vor vollendete Tatsachen gestellt. Wir haben Widerspruch erhoben und im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beim Verwaltungsgericht um Hilfe ersucht – und gewonnen. Das Kind wurde in die nächste Klasse versetzt - und hat diese mit etwas Nachhilfe dann ohne größere Probleme gemeistert, wie ich hörte.

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