Covid-19 trifft Migranten besonders: So können sie besser geschützt werden

Bielefeld/Berlin. Mit dem Coronavirus kann sich jeder infizieren, doch der soziale Status spielt eine Rolle dabei, wie hoch das eigene Risiko für eine Infektion und einen tödlichen Krankheitsverlauf ist. Mehrere Studien zeigen: Je ärmer Menschen sind, desto höher ist ihr Infektions- und Sterberisiko. Dazu zählen überproportional Menschen mit Migrationshintergrund. Auch in OWL beobachten Mediziner diese Entwicklung, wie das Beispiel Bielefeld zeigt. Um Menschen in prekären Lebensverhältnissen besser zu schützen, fordern Mediziner deshalb mehrsprachige Aufklärungskampagnen und den Einsatz von mobilen Impfteams in betroffenen Stadtvierteln. Theodor Windhorst, Leiter des Impfzentrums Bielefeld, und Christoph Stellbrink, Chefarzt der Klinik für Kardiologie und internistische Intensivmedizin im Klinikum Bielefeld, gehen voran und fordern von der Stadt Impfmobile. Das Projekt könnte in ganz NRW Schule machen. Mehr als 50 Prozent der Covid-19-Patienten, die aktuell auf den Intensivstationen im Klinikum Bielefeld behandelt werden müssen, haben nach Angaben des Kardiologen Christoph Stellbrink einen Migrationshintergrund. &bdquo;In der ersten Welle der Pandemie war das noch nicht so. Doch seit der Großteil der Hochrisikogruppen geimpft ist, steigt die Zahl der jüngeren Patienten und die Zahl der Patienten mit Migrationshintergrund auf den Intensivstationen", erklärt Stellbrink. &bdquo;Tun wir das nicht, nehmen wir billigend Todesopfer in Kauf." Zuletzt sagte auch der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, dass in einigen Kliniken in Deutschland überproportional viele schwerkranke Covid-19-Patienten einen Migrationshintergrund haben. Nach Auffassung Stellbrinks muss das Problem dringend öffentlich gemacht werden, um die betroffenen Gruppen künftig besser zu schützen: &bdquo;Das ist keine Schuldzuweisung, sondern die Feststellung eines Problems, für das wir jetzt umgehend Lösungen finden müssen. Tun wir das als Gesellschaft nicht, nehmen wir billigend Todesopfer in Kauf." Unterstützung erhält Stellbrink von dem Leiter des Impfzentrums Bielefeld, Theodor Windhorst. &bdquo;Wir sind jetzt in einer Phase der Pandemie, in der große Teile der Risikogruppen geimpft sind. Wir sehen auf den Intensivstationen, dass weniger ältere Menschen behandelt werden müssen und insgesamt weniger Menschen an Covid-19 sterben", erklärt Windhorst. Diese ersten Erfolge bedeuten nach Angaben des Mediziners allerdings nicht, dass die Infektionszahlen sinken, sondern aktuell sogar steigen, weil das Infektionsrisiko für jüngere Bevölkerungsgruppen steigt. &bdquo;Deshalb müssen wir jetzt die Gruppen impfen, die besonders betroffen sind, und das sind aktuell vor allem Menschen mit Migrationshintergrund." &bdquo;Viele Menschen nehmen das Coronavirus nicht ernst" Die Gründe dafür, warum viele Menschen mit Migrationshintergrund an Covid-19 erkranken, sind laut Stellbrink vielfältig. &bdquo;Das hängt mit den Wohn-, Lebens- und Arbeitsverhältnissen zusammen. Wenn Menschen in großen Familien auf engem Raum leben und in Berufen mit vielen Kontakten arbeiten, steigt das Infektionsrisiko zwangsläufig." Zudem leiden Menschen mit Migrationshintergrund, insbesondere Gastarbeiter der ersten Generation, nach Angaben von Binemo, dem Netzwerk der Migrantenorganisationen in Bielefeld, häufig an Vorerkrankungen, die das Risiko für schwere Covid-19-Krankheitsverläufe erhöht. Weitere Probleme sind Sprachbarrieren, Unwissenheit über das deutsche Gesundheitssystem und der Konsum ausländischer Medien. &bdquo;Es werden viele Falschinformationen veröffentlicht, mit der Folge, dass es noch immer viele Menschen gibt, die das Coronavirus nicht ernst nehmen und deshalb auch die Schutzmaßnahmen nicht umsetzen", sagt Stellbrink. &bdquo;Diese vielfältigen Ursachen zeigen, dass die Politik viele Menschen nicht erreicht", moniert Windhorst. Um das zu ändern, möchte Windhorst mit seinem Team in besonders betroffene Stadtviertel fahren und an bekannten Plätzen aufklären und impfen. &bdquo;Am besten geeignet ist dafür der Impfstoff des Herstellers Johnson und Johnson, bei dem eine Dosis für den vollen Impfschutz ausreicht." Erwartet werde die erste Lieferung in Bielefeld am Freitag. Zusammenarbeit mit Kulturvereinen und Imamen geplant Für die Umsetzung der Pläne sucht Windhorst noch weitere Unterstützer. &bdquo;Wir möchten mit Kulturvereinen und Imamen zusammenarbeiten und hoffen auf Ärzte und medizinisches Fachpersonal, die mit arabischen, russischen oder türkischen Sprachkenntnissen Barrieren abbauen können." Zudem werden Impfmobile von der Stadt benötigt. &bdquo;Wir hoffen, dass wir möglichst bald starten können. Wenn der Versuch gelingt, ist das ein Modell für viele andere Städte in NRW." Eine Neiddebatte halten Windhorst und Stellbrink für unnötig: &bdquo;Von Aufklärungs- und Impfkampagnen in besonders betroffenen Stadtviertel profitiert die gesamte Gesellschaft, weil die Infektionszahlen und auch das Risiko für neue Corona-Mutanten sinken." Außerdem sind die Pläne nach Einschätzung Windhorst von der Corona-Impfverordnung der Bundesregierung gedeckt. Dort heißt es unter Paragraf 3, dass &bdquo;Personen, bei denen nach individueller ärztlicher Beurteilung aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall ein sehr hohes oder hohes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf nach einer Infektion mit dem Coronavirus besteht", Anspruch auf eine Schutzimpfung mit hoher Priorität haben.

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