"Der nächste Super-GAU kann hier passieren"

Fau Claußen, Deutschland hat gleich nach dem Unfall in Fukushima den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen, Ende 2022 sollen alle Meiler abgeschaltet sein. Haben wir also nachhaltig gelernt aus der Katastrophe?Angelika Claußen: Deutschland hat gelernt. Aber an der Nachhaltigkeit habe ich Zweifel. Zwei Atomanlagen haben noch immer kein Enddatum: Die Urananreicherungsanlage in Gronau und die Brennelementefabrik in Lingen. Wir stellen also weiter Brennelemente her, die wir hierzulande aber bald gar nicht mehr brauchen, sondern exportieren werden. Wir haben in Europa 18 Atomkraftwerke, die mehr als 40 Jahre alt sind. Das sind Uralt-Meiler, die gar nicht mehr erneuert werden können. Trotzdem hat Frankreich beschlossen, die Laufzeit auf 50 Jahre zu verlängern. Das ist viel zu gefährlich, der nächste Super-GAU kann hier passieren. Und Deutschland macht mit und liefert weiter Brennelemente, zum Beispiel zu den belgischen Pannenreaktoren Doel und Tihange. Wir haben also gelernt aus Fukushima, aber nur halbherzig. Zuletzt wird sogar über eine Renaissance der Atomenergie diskutiert - als Mittel gegen den Klimawandel. Müssen wir nicht, wenn wir Kohlekraftwerke abstellen wollen, auch auf Atomkraft setzen?Wer so etwas vertritt hat keine Ahnung, wie weit der Klimawandel längst vorangeschritten ist und wie schnell wir umsteuern müssen, um die Wende hinzukriegen. Kein Atomkraftwerk, und auch nicht Hunderte von kleinen Atomkraftwerken, können den Einsparungs-Effekt liefern, den wir bräuchten. Dazu kommt: Atomkraftwerke sind, anders als immer behauptet wird, eben nicht CO2-neutral. Ein Atomkraftwerk produziert für die gleiche Energiemenge doppelt so viel CO2 wie Solartechnik und sechs Mal so viel wie Windenergie. Aber bei der Kernspaltung wird doch gar kein CO2 freigesetzt.Man muss aber einberechnen, dass man den Brennstoff besorgen und aufbereiten muss. Der Brennstoff ist Uran, das aus der Erde geholt werden muss. Das verbraucht CO2 und Unmengen an Wasser. Dann muss das Uran transportiert und verarbeitet werden, das gehört auch in die CO2-Bilanz - genauso wie der Atommüll und der Rückbau der Anlagen. Es ist doch eine Milchmädchenrechnung, wenn man das alles ausblendet und nur den gerade laufenden Meiler betrachtet. Aber wenn sie schon mal dastehen, könnte man sie doch wenigstens lange laufen lassen, um den Zeitraum, in dem sie die CO2-Bilanz verbessern, optimal zu nutzen.Das ist aber nach 30 Jahren einfach zu gefährlich. Ein AKW hat dann so viele Sicherheitsdefizite, die sich nicht mehr aufrüsten lassen, dass das einfach nicht zu verantworten ist. Außerdem ist das auch gar nicht nötig. Wir tun immer so, als seien wir von Atomenergie abhängig. Das stimmt doch gar nicht. Wir haben Sonne und Wind, die effizienter und vor allem auch viel schneller nutzbar sind. Neue AKW zu bauen, dauert doch etwa zehn Jahre. Es gibt aber einen neuen Reaktortyp, genannt SMR - kleine, modulare Reaktoren - die viel schneller und viel günstiger aufzubauen sein sollen. In die wird derzeit von der Atomindustrie große Hoffnung gesetzt.Aber wo sind die denn bitte? Der einzige SMR, der bisher in Betrieb ist, ist der auf dem russischen Schiff Akademik Lomonossow, der die sibirische Stadt Pewek mit Strom versorgt. Eigentlich will die Industrie diese kleinen Reaktoren doch nur weiterentwickeln, um U-Boote zu bestücken. Dieser militärische Hintergrund wird ganz oft ausgeblendet. Atomtechnologie kann eben genauso für Waffen benutzt werden. Und verbesserte kleine Kraftwerke wären für die Kriegsführung eben noch schicker. Sie haben also den Verdacht, dass es bei der Entwicklung vor allem um militärische Interessen im Hintergrund geht?Der Verdacht ist ziemlich gut begründet. Atomkraft wird hauptsächlich von Atomwaffenstaaten genutzt oder von solchen, die es werden wollen. Es wird immer dem Iran vorgeworfen, er wolle Atomwaffen haben, aber das gilt für Pakistan, Indien, Korea, Saudi-Arabien oder Israel genauso. Und die kleinen modularen Kraftwerke sollen entweder für U-Boote eingesetzt werden oder dafür, auch in entlegenen Gebieten Kriegsführung zu ermöglichen. Davon abgesehen: Die Klimakrise ist drängend, wir müssen da jetzt sofort was tun. Dabei helfen uns solche neuen Atomkraftwerke Null. Atomkraft ist die Grundlage für Waffen; sie verursacht Krebs; sie ist wahnsinnig teuer; sie produziert CO2 und ist für die Klimarettung irrelevant. Das müssen und sollten wir uns nicht länger zumuten.

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