Land will keine Luftfilter für Schulen, nutzt sie aber selbst

Am Montag ist in NRW die Schule wieder losgegangen – zumindest für einige Jahrgänge. Schon jetzt ist klar, dass sich beim Thema Luftfilter in den drei Monaten Lockdown-Pause nichts getan hat. Dabei belegen mittlerweile mehrere Studien die Wirksamkeit der Geräte. Im Landtag nutzt man sie auch gern – nur für die Schulen sind sie aufgrund ihrer &bdquo;mangelnden Effektivität" weiterhin nicht als verpflichtende Schutzmaßnahme eingeplant – oder werden, wie im Fall Bielefeld, von Trägern sogar boykottiert. Auf Anfrage von nw.de nach den Plänen zum Einsatz von Luftfiltern verweist man im Schulministerium nach wie vor auf die Empfehlungen des Bundesumweltamtes. Hier wiederum führt man an, dass mobile Luftreiniger nicht in der Lage seien, die Innenraumluft schnell und zuverlässig von Viren zu befreien, insbesondere in dicht belegten Klassenräumen. Sie seien deshalb allenfalls als Ergänzung zum Lüften heranzuziehen. Dieser Aussage allerdings widersprechen mittlerweile eindrücklich vor allem zwei Studien, eine von Uni und Uniklinik Münster, eine von der Frankfurter Goethe-Universität. Erstere belegt, dass Luftfilter effektiver sind als Stoßlüften, zweitere, wie effektiv sie die Luft von Viren befreien. 21 Luftfilter im Landtag Gänzlich uneffektiv können die Geräte auch aus Sicht des Landtages nicht sein. Denn hier werden sie rege genutzt. 21 Stück hat die Landtagsverwaltung angeschafft, und zwar nicht auf Empfehlung des für Schulen so gern angeführten Bundesumweltamtes, sondern nach einer Begehung durch Experten des Bonner Instituts für Hygiene und öffentliche Gesundheit. Die Geräte werden eingesetzt in nicht belüfteten, stark genutzten Bereichen. &bdquo;Eine ähnliche Strategie", so ein Sprecher, &bdquo;verfolgt das Land mit seiner Unterstützung von Schulen, die für nicht belüftete Räume Luftfiltergeräte beschaffen". In der Tat gab es ein Sonderprogramm des Landesministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: ein Etat von 50 Millionen Euro für Luftfiltergeräte für Schulräume, die nicht ausreichend gelüftet werden können. Eine Bedarfserhebung in den Kommunen in NRW fand bereits im September statt, mittlerweile ist die Förderung seit Mitte Januar ausgelaufen. Gerade mal ein Viertel der Mittel wurden nach Angaben des zuständigen Ministeriums bis zum 11. Januar abgeschöpft, nämlich Anträge mit einem Volumen von rund 12,5 Millionen Euro. 427 Kommunen meldeten Lüftungsprobleme. Frist für Fördermittel abgelaufen Dass dennoch bei Weitem nicht alle Schulen bei Problemen mit entsprechenden Anlagen versorgt worden sein dürften, zeigt das Beispiel Bielefeld. Hier hat man bereits im November entschieden, dass man keinen Gebrauch von den Mitteln des Förderprogramms machen wird und Schulen, die in Eigenregie Luftfilter angeschafft hatten, die Nutzung untersagt. Erst im Schulausschuss am 19. Januar entschied man dann, den Bedarf erneut zu prüfen und sich um Fördermittel zu bewerben – &bdquo;da war die Frist aber längst abgelaufen", sagt Jan Maik Schlifter, Chef der FDP Bielefeld, die in mehreren Anträgen versucht hatte, eine Bewerbung um Fördermittel zu erwirken. &bdquo;Das wurde einfach boykottiert und so lange geschoben, bis es zu spät war." Ähnliche Berichte kommen aus Köln, Dortmund und Essen. Scheinbar sind viele Träger überaus skeptisch gegenüber den Geräten. Die Gründe hat man in Bielefeld in einem Antwortschreiben auf Anträge der FDP formuliert. So gebe es nach Kenntnissen der Stadt bislang keine wissenschaftlichen Nachweise über Reduktion von Viren durch Luftfilter. Schüler könnten über Kabel stolpern. Die derzeitige Möblierung verhindere eine gleichmäßige Luftverteilung. Viele Geräte seien zu laut. Und außerdem gebe es keine zertifizierten Geräte für den Schulgebrauch. Studie: Filter senken Aerosol-Belastung um 90 Prozent Sämtliche Gründe lassen sich widerlegen – macht man sich die Mühe zu recherchieren. Denn, so zeigen die bereits erwähnten Studien aus Münster und Frankfurt eindeutig und sehr wissenschaftlich: Luftreiniger mit HEPA-Filtern können die Aerosol-Belastung in Klassenzimmern innerhalb einer halben Stunde um 90 Prozent senken. &bdquo;Und der Rest stimmt einfach auch nicht", sagt Eike Linnenbrügger, Marketingleiter beim Bielefelder Luftgerätehersteller Insensiv. &bdquo;Wir haben bereits Geräteauslieferungen im dreistelligen Bereich an Schulen. Es gibt also durchaus Geräte, die für Schulen infrage kommen. Sie alle haben eine Lautstärke von 50 Dezibel, das entspricht einem Regenschauer." Vor allem das Argument der Zertifizierung stößt bei Linnenbrügger auf Unverständnis. &bdquo;Dafür sind doch die zuständig, die bemängeln, dass die Zertifizierung fehlt: der Immobilien-Servicebetrieb der Stadt (ISB) Bielefeld. Sie müssten es nur tun." Auch Erfahrungswerte könnten sich interessierte Träger leicht beschaffen. Vom Espelkamper Söderblom-Gymnasium beispielsweise. Hier hat man die Chance genutzt und über das Förderprogramm zehn Luftfiltergeräte der Firma Insensiv angeschafft. Sie stehen unter anderem im Lehrerzimmer, im Informatikraum, im Selbstlernzentrum, der Bücherei und in einem Teil der Sporthalle. "Erstes Mal Gefühl von Kontrolle" &bdquo;Das gibt uns allen ein sehr gutes Gefühl", sagt Schulleiterin Marie-Luise Schellong. &bdquo;Wir haben das erste Mal seit Corona-Beginn das Gefühl, die Aerosol-Belastung genau kontrollieren und ablesen zu können. Außerdem können wir diese Räume jetzt überhaupt erst wieder nutzen." Über den Punkt Lärmbelastung kann Schellong nur den Kopf schütteln. &bdquo;Das hört man gar nicht richtig – vor allem gegenüber dem Lärm, der ohnehin in der Schule herrscht." Immer lauter wird angesichts dieser Erkenntnisse das Unverständnis vonseiten der Lehrergewerkschaft und Bildungsverbände. &bdquo;Wir schleppen das Thema jetzt ein dreiviertel Jahr mit uns rum", sagt Maike Finnern, Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft NRW. &bdquo;Und dabei gibt es nur einen Schluss: Wenn wir wollen, dass Lehrer und Schüler zurück in die Schulen gehen, dann muss alles herangezogen werden, was ihrem Schutz dient – dazu gehören auch Luftfilter. Dafür fehlt es aber an Mut, Geld und Weitsicht." Stattdessen setzt das Land weiterhin auf andere Maßnahmen - und ordnete am vergangenen Freitag an, dass selbst Grundschüler von nun an ständig Masken im Unterricht tragen müssen. Zumindest im Schulministerium und offenbar bei Trägern – andere Branchen sind an der Stelle nämlich sehr rege, wie Insensiv-Mitarbeiter Linnenbrügger weiß. &bdquo;Wir bekommen viele Anfragen aus dem Kulturbetrieb, aus der Gastronomie und von Universitäten. Die planen weit voraus. Im Herbst haben das auch Schulen getan. Aber dem wurde ja Einhalt geboten."

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