Mehr tödliche Schlaganfälle in der Pandemie: Das sollten Patienten wissen

Berlin/Bielefeld/Gütersloh. Bislang hat die Corona-Pandemie in Deutschland fast 60.000 Menschen das Leben gekostet. Die Zahl der Menschen, die wegen der Krise ihr Leben verloren haben, liegt jedoch noch höher. Denn neben den verstorbenen Covid-19-Patienten sind auch mehr Menschen an anderen Erkrankungen verstorben. Studien offenbarten das bereits bei Herzinfarkten. Nun bestätigen sich auch die Befürchtungen in der Neurologie: Auch bei Schlaganfällen stieg die Sterblichkeitsrate in der ersten Corona-Welle an. Mediziner rechnen damit, dass sich die Lage für Schlaganfallpatienten während der deutlich heftigeren zweiten Welle sogar noch verschlechtert hat. Patienten Aus Angst vor einer Infektion mit dem Coronavirus haben Menschen mit leichten Schlaganfallsymptomen in der ersten Welle offensichtlich nicht oder zu spät den Notarzt gerufen. Die Sterblichkeit ist dadurch deutlich erhöht. Das zeigt die erste bundesweite Erhebung zur Schlaganfallversorgung vom 16. März bis 15. Mai 2020. Demnach wurde in dieser Phase in allen 1.463 Krankenhäusern in Deutschland mit 31.165 Patienten, die Zeichen eines akuten Schlaganfalls zeigten, weniger Betroffene als im entsprechenden Zeitraum des Vorjahres aufgenommen. Im Vergleich zu 2019 entspricht das nach Angaben der Studienautoren der Universitäten Bochum und Heidelberg sowie des Klinikums Ludwigshafen einem Rückgang von 18,5 Prozent. Bei Patienten mit einem sogenannten Minischlaganfall, der unbehandelt oft Vorbote eines schweren Schlaganfalls ist, betrug der Rückgang sogar 22,9 Prozent. Zeitgleich steig nach Angaben der Studienautoren die Sterblichkeit von Schlaganfallpatienten in den Krankenhäusern deutlich. Kliniken &bdquo;Die Untersuchung bestätigt, dass die Pandemie auch die Versorgung von Schlaganfallpatienten beeinflusst. Für die aktuell noch laufende zweite Welle rechne ich mit weitaus dramatischeren Entwicklungen", erklärt Wolf-Rüdiger Schäbitz, Chefarzt der Klinik für Neurologie des evangelischen Klinikums Bethel. Das liege zum einen an der Zurückhaltung vieler Schlaganfallpatienten den Notruf verspätet oder gar nicht zu wählen und zum anderen an Verzögerungen in den Kliniken. &bdquo;Weitere Untersuchungen zeigen, dass die Belastungen durch die Pandemie den geregelten Klinikablauf stören mit Folgen für Schlaganfallpatienten." Laut Schäbitz zeigen mehrere Studien, dass die verzögerte Gabe von Medikamenten und der verspätete Beginn von Behandlungen während der ersten Corona-Welle Schlaganfallpatienten geschadet hat. &bdquo;Ein Schlaganfall ist die Folge einer plötzlich auftretenden Durchblutungsstörung im Gehirn. Die Störung bewirkt, dass zu wenig Sauerstoff und Nährstoffe ins Gehirn gelangen, weshalb dort schon nach kurzer Zeit Nervenzellen absterben", erklärt Schäbitz, der sich auch als Sprecher der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft engagiert. Im Schnitt sterben bei einem Schlaganfall 1,9 Millionen Nervenzellen pro Minute ab. &bdquo;Daher zählt jede Minute", sagt Schäbitz, der Patienten dringend dazu rät, bei Symptomen eines Schlaganfalls sofort den Notruf zu wählen. &bdquo;Mit jeder Minute, die Betroffene abwarten oder nicht adäquat behandelt werden, wächst das Risiko irreparabler Schäden bis hin zum Tod." Die Überlastung der Krankenhäuser hat laut Schäbitz auch dafür gesorgt, dass weniger Patienten in die Kliniken mit spezialisierter Schlaganfallstation, den sogenannten Stroke Units, eingeliefert wurden. &bdquo;Mitunter wurden Betten der Stroke Units auch für die Behandlung von Covid-19-Patienten genutzt." Selbsthilfegruppen Auch nach der akuten Phase der Erkrankung leiden Schlaganfallpatienten aktuell besonders unter der Pandemie, denn Selbsthilfegruppen dürfen sich schon seit Monaten nicht mehr treffen. &bdquo;Der enge und regelmäßige Austausch mit Gleichgesinnten fehlt vielen Patienten sehr", sagt Stefan Stricker, der für die Stiftung Deutsche Schlaganfall Hilfe das bundesweite Netzwerk der Selbsthilfegruppen koordiniert. Die Stiftung unterstützt Selbsthilfegruppen, unter anderem bei dem Aufbau digitaler oder telefonischer Angebote. &bdquo;Doch das ist für viele kein richtiger Ersatz." Auch die von der Stiftung ausgebildeten ehrenamtlichen Schlaganfallhelfer können aktuell nur eingeschränkt unterstützen. &bdquo;Dabei sind diese Helfer bei einigen Patienten oft die einzigen sozialen Kontakte", sagt Stricker. Die Einschränkungen können für Schlaganfallpatienten dramatische Folgen haben. &bdquo;Es gibt Betroffene, die verzweifeln, psychische Erkrankungen entwickeln oder aus Angst und Unsicherheit gar nicht mehr das Haus verlassen." Rehasport Auch Rehasport als Möglichkeit zurück in ein gesundes und selbstbestimmtes Leben fällt aktuell als Angebot für Schlaganfallpatienten weg. &bdquo;Auch hier müssen Betroffene einen alternativen Weg alleine zuhause entwickeln", so Stricker. Um dieses Angebot für die Zeit nach dem Ende der coronabedingten Einschränkungen zu erweitern, fördert die Stiftung mit jeweils 500 Euro die Gründung von neuen Sportgruppen. Vom 1. März bis zum 31. Mai 2021 können sich Vereine für eine finanzielle Förderung bewerben, wenn sie ein neues Rehasportangebot für Schlaganfallpatienten einrichten. Partner des Projektes sind der Landessportbund, der Behinderten- und Rehabilitationssportverband NRW sowie das Land. Pro Kreis oder kreisfreier Stadt soll mindestens ein Verein gefördert werden. Es stehen aber Mittel für bis zu 70 neue Gruppen in den kommenden zwei Jahren bereit. Mit einem deutlich ausgeweiteten und flächendeckenden Rehasport-Angebot für Schlaganfallpatienten würde NRW bundesweit Modellcharakter erreichen, erklärt der Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Michael Brinkmeier.

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