Wie sich Viren entwickeln können: Diese Begriffe sollten Sie kennen

Bielefeld/ Hannover. Seit wenigen Tagen steht fest: Die zuerst in Großbritannien nachgewiesene Corona-Variante ist auch in OWL angekommen. Die Mutante mit dem Codenamen B.1.1.7 konnte in Bielefeld sowie den Kreisen Paderborn und Lippe nachgewiesen werden. Die südafrikanische Variante im Kreis Gütersloh. Beide sollen leichter übertragbar sein. Dabei können sich Viren durch Veränderungen im Erbgut auch in ganz andere Richtungen entwickeln. "Im Grundsatz können sich alle Eigenschaften ändern, die mit der weiteren Vermehrung des Erregers vereinbar sind", sagt Oliver Razum, Epidemiologe an der Universität Bielefeld. Wir klären die wichtigsten Begriffe. Übertragbarkeit"Eine höhere Übertragbarkeit bedeutet, dass jeder Erkrankte im Durchschnitt mehr empfängliche Personen ansteckt als zuvor", sagt Razum. Für die Infektion reiche dann schon eine kleinere Menge an Erregern oder der Erreger überwinde Barrieren des Immunsystems leichter. "Hoch infektiös sind beispielsweise das Masernvirus und das Windpockenvirus", so der Forscher. Diese Erreger würden auch über größere Entfernungen als zwei Meter übertragen. "Alltagsmasken bieten kaum Schutz gegen sie. Daher schützt nur eine Impfung vor der Infektion." Auf mikrobiologischer Ebene sind es Änderungen am Spike-Protein - in den Darstellungen des Coronavirus die charakteristischen Noppen - durch die das Virus besser an menschliche Zellen andocken kann, erklärt Thomas Friedrich Schulz, Leiter des Instituts für Virologie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Wenn eine Virenvariante im Vergleich zu anderen leichter übertragbar ist, könne sie sich gegenüber diesen durchsetzen und dominant werden. Wie Christiane Scherer, Fachärztin für medizinische Mikrobiologie am Evangelischen Klinikum Bethel (EvKB) in Bielefeld, kürzlich im Gespräch mit dieser Zeitung erklärte, sei der ursprünglich aus China bekannte Covid-19-Erreger schon im Frühjahr 2020 mit Erfolg mutiert. Durch Änderungen am Spike-Protein erreichte die Variante D614G eine bessere Übertragbarkeit und höhere Viruslasten bei befallenen Patienten. Bis Juni 2020 habe die Mutante die anderen Varianten dann weitgehend verdrängt. Pathogenität und VirulenzBei den bisher identifizierten Corona-Mutanten konnte bisher nicht eindeutig nachgewiesen werden, dass ihre Pathogenität höher ist. Damit ist die krankmachende Wirkung eines Erregers gemeint. Stellvertretend für den Begriff Pathogenität ist oft auch von Virulenz die Rede. Doch Virologe Schulz betont, dass es zwischen den Begriffen einen Unterschied gibt. Wie der Experte in einem Lehrbuch schreibt, gebe Pathogenität an, "ob ein Virus in einer Spezies krankmachend wirkt oder nicht." Virulenz meint hingegen, dass verschiedene Virusmutanten unterschiedlich stark krankmachen können. Dabei geht es also um den Grad der krankmachenden Wirkung. Letalität, Fallsterblichkeit, InfektionssterblichkeitDamit verbunden ist der Begriff der Letalität. Er kennzeichnet das Risiko, an einer bestimmten Krankheit zu sterben. Dabei wird zwischen Fallsterblichkeit und Infektionssterblichkeit unterschieden. Für erstere werden zwei Zahlen zueinander ins Verhältnis gesetzt: Die Zahl der Menschen, die an einer Krankheit wie zum Beispiel Covid-19 verstorben sind, und die Zahl derer, die im gleichen Zeitraum nachweislich mit dem entsprechenden Erreger infiziert waren. Bei der Infektionssterblichkeit wird die Zahl der tatsächlich Infizierten zur Grundlage gemacht. Dafür wird also auch die Dunkelziffer der Menschen berücksichtigt, die infiziert waren, aber nie getestet wurden. Diese Zahl wird geschätzt. WechselwirkungenDoch wie hängen die verschiedenen Ebenen zusammen? Können sie einander auch im Wege stehen? Laut dem Bielefelder Epidemiologen Razum, sei das nur teilweise der Fall. "Zwar gilt: Wenn ein Virus schnell zum Tod der infizierten Menschen führt, dann gibt es möglicherweise nicht ausreichend Gelegenheit, andere Menschen anzustecken." Die sogenannte Reproduktionszahl R liege dann regelmäßig unter 1. Das heißt: Statistisch steckt ein Mensch weniger als einen weiteren Menschen an. "Das Beispiel der Pocken zeigt aber, dass ein Virus ansteckender sein kann als als das Coronavirus (R-Wert von etwa 4,7 statt 2,7) und gleichzeitig eine Erkrankung mit viel höherer Letalität hervorruft." Bei den Pocken lag diese bei 15 bis 20 Prozent, so Razum. Liste der Mutationen ist langDoch wie sich die Veränderungen im Erbgut auf die Eigenschaften eines Virus auswirken können, lässt sich nicht erschöpfend klären. "Die Liste möglicher Mutationen ist lang", sagt der Virologe Thomas Friedrich Schulz. Dank bestimmter Mutationen, könne ein Virus zum Beispiel die "Maschinerie" in den menschlichen Zellen effektiver für seine Vermehrung nutzen. Andere Veränderungen im Erbgut bewirken, dass der Erreger der Immunabwehr des Menschen leichter entkommt. Oder, wie das neuartige Coronavirus, überhaupt vom Tier auf den Menschen überspringt. "Meist sind die Mutationen ohne Auswirkungen. Oder sie führen zum Funktionsverlust der Viren", sagt Razum. "Manchmal aber entstehen Mutationen, die für die Vermehrung des Erregers günstig sind." Nicht nur zum eigenen Schutz sei es daher wichtig, die Hygienemaßnahmen einzuhalten. "Denn diese leisten gleichzeitig einen Beitrag, die Zahl der Mutationen zu reduzieren."

Meistgelesen