Lernverluste durch Distanzunterricht: Verlängerung der Schulzeit gefordert

Bielefeld/Berlin. Mindestens bis Ende Januar sollen die Schulen in Deutschland noch geschlossen bleiben. Lehrer müssen ihre Schüler deshalb weiterhin aus der Ferne unterrichten. Doch bereits die Schulschließungen zu Beginn der Corona-Pandemie haben gezeigt, dass das hohe Lernverluste bei Schülern zur Folge hat. Um diese wieder aufzufangen, fordern Wissenschaftler und Lehrervertreter eine Verlängerung der Schulzeit. &bdquo;Das, was aktuell an vielen deutschen Schulen unter Digitalunterricht läuft, ist kein Unterricht, sondern lediglich das digitale Versenden von Aufgaben", erklärt Bildungsforscher Rainer Dollase. &bdquo;Es ist lange bekannt und durch diverse Studien belegt, dass durch fehlende Interaktion mit dem Lehrer hohe Lernverluste bei Schülern entstehen. Das selbstständige Lernen ist Ziel der schulischen Ausbildung und kann deshalb nicht vorausgesetzt werden." Dadurch entstehen nach Angaben des emeritierten Professors der Universität Bielefeld gleich mehrere Probleme. Lernrückstände&bdquo;Weil vielen Schülern zuhause die Technik für Digitalunterricht fehlt, ist eine persönliche Interaktion zwischen Schülern und Lehrern nicht mehr möglich. Dieser Kontakt ist aber Grundvoraussetzung für Unterricht und die damit verbundenen Lerneffekte", erklärt Dollase. Das Wichtigste am Unterrichten sei das Motivieren der Schüler. Für einen möglichst großen Lerneffekt, sollten Lehrer nach Angaben des Psychologen mit ihren Schülern gemeinsam Probleme lösen. &bdquo;Anstatt Arbeitsblätter zu verteilen, die von den Schülern dann alleine oder in Gruppen bearbeitet werden." Diese Hinweise gelten laut Dollase auch für den Digitalunterricht. &bdquo;Über Videokonferenzen können Lehrer mit ihren Schülern auch aus der Ferne interagieren und sie begeistern. Große Lernrückstande müssen deshalb nicht zwangsläufig durch Digitalunterricht entstehen." Das funktioniere jedoch nur, wenn Schüler und Lehrer mit passender Hard- und Software ausgestattet seien. &bdquo;Solange diese Voraussetzung nicht erfüllt ist, führt Digitalunterricht zu Lernrückständen." LeistungsbewertungDer mangelhafte Digitalunterricht sorgt laut Dollase auch dafür, dass eine gerechte individuelle Leistungsbewertung von Schülern aktuell nicht möglich ist. &bdquo;Kein Lehrer kann sicher nachvollziehen, ob Schüler ihre Aufgaben selber oder mit Hilfe lösen." Auch das könne nur dann gewährleistet werden, wenn Lehrer in Videokonferenzen ihre Schüler im Blick haben. &bdquo;Das bedeutet nicht, dass alle Schüler fuschen, aber das Risiko ist hoch, insbesondere bei Schülern aus bildungsnahen Familien, die sich einfach Hilfe organisieren können." Untersuchungen bestätigen die Angaben des Bildungsforschers. So ergab eine Umfrage der Pädagogischen Hochschule Zug in der Schweiz im April, dass Lehrkräfte in Deutschland, Österreich und der Schweiz im Schnitt nur Aufgaben für 13 Stunden Digitalunterricht in der Woche erteilen. Ein Großteil der Befragten gab an, dass im Digitalunterricht überwiegend mit Aufgaben gearbeitet wird, die per E-Mail verschickt werden. Eine Umfrage des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München (ifo-Institut) ergab m August zudem, dass Schüler während Schulschließungen deutlich weniger Zeit mit Lernen verbringen. Demnach sank die Lernzeit von zuvor 7,5 Stunden am Tag auf nur noch 3,6 Stunden im Schnitt aller Schulformen. Unterschiede in der SchülerschaftDie Analyse des ifo-Instituts offenbart auch Unterschiede zwischen lernstarken und lernschwachen Schülern. Gute Schüler befassen sich demnach pro Tag 3,9 Stunden mit schulischen Aufgaben und 4,8 Stunden mit Fernsehen, Computerspielen oder anderen Medien. Bei schwächeren Schülern liegt die Lernzeit bei 3,4 Stunden und die Zeit der Mediennutzung bei 6,3 Stunden. Bildungsforscher Dollase sieht zudem Unterschiede zwischen Schülern aus bildungsfernen und bildungsnahen Familien. &bdquo;Das deutsche Schulsystem mit all den weichen Bewertungskriterien wie mündliche Mitarbeit im Unterricht, begünstigt Schüler aus Familien, die zuhause gefördert werden und technisch gut ausgestattet sind." Schüler aus Familien ohne diese Voraussetzungen erzielen häufig schlechtere Noten. &bdquo;Das liegt jedoch nicht daran, dass diese Kinder weniger intelligent sind. In Deutschland ist der Lernerfolg zu einem Teil abhängig vom Elternhaus." ForderungenUm die Unterschiede in der Schülerschaft nicht weiter zu manifestieren, Lernverluste zu reduzieren und faire Leistungsbewertungen wieder möglich zu machen, fordert Dollase eine flexible Verlängerung der Schulzeit während der Pandemie. Zum Beispiel durch eine Verkürzung der Sommerferien. &bdquo;Anders lässt sich der Stoff nicht aufholen." Auch der Deutsche Lehrerverband spricht sich dafür aus. Präsident Heinz-Peter Meidinger fordert, dass Schüler ein zusätzliches Jahr einlegen können. Vorstellbar sei etwa das freiwillige Wiederholen eines Schuljahres. Die Forderung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, dass während der Pandemie kein Schüler sitzen bleiben darf, lehnt Dollase ab. &bdquo;Das bringt Schüler nicht weiter. Sie erreichen dann zwar die nächste Klasse, der dafür nötige Stoff fehlt ihnen aber."

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