Bei Corona hört die Freundschaft auf: Wie das Virus unsere Beziehungen belastet

Bielefeld. Es ist das das Ende einer Ära. 20 Jahre kannte Johanna Fröbel ihre Freundin: gemeinsames Studium, viele durchgefeierte Nächte, gemeinsam gemeisterte Krisen, später bekamen sie fast zeitgleich ihre Kinder. Doch jetzt ist Schluss. Weil die andere sich nicht an die Corona-Regeln hielt, eine Verabredung nach der anderen hatte, privat kleine Partys feierte - und Fröbel das immer weniger akzeptieren konnte, je höher die Inzidenzzahlen stiegen. "Ich wollte nicht mehr schweigen. Wir konnten aber auch nicht sachlich darüber reden. Eine Lösung fanden wir erst recht nicht. Jetzt ist Funkstille." So wie Johanna Fröbel geht es gerade vielen. Fast jeder hat einen Freund oder Bekannten, dessen Verhalten ihm ein Dorn im Auge ist. Nicht selten findet der Streit sogar innerhalb von Familien oder Beziehungen statt. Da reist vielleicht einer noch ins Ausland oder war im Schnee in Winterberg, der andere bringt sein Kind in die Kita, obwohl er krank ist oder Elternzeit hat - schon beginnt bei vielen die innere Alarmsirene leise zu schrillen, geht der Puls höher. "Corona polarisiert", weiß auch der Soziologe Janosch Schobin, der an der Uni Kassel zum Thema Freundschaft forscht. "Wir wissen aus Studien, dass Freunde sich in ihren Einstellungen und im Verhalten ähnlich sind." In der ersten Welle habe das deshalb zwischenmenschlich noch gut funktioniert: Fundierte Information und vorsichtiges Handeln seien gesamtgesellschaftlich angesagt gewesen. "Das war zum Beispiel in den USA ganz anders, da gab es schon früh eine massive Polarisierung. Die haben wir hier jetzt erst bei der zweiten Welle - und das wirkt sich auch auf Freundeskreise aus." Egoist vs. Korinthenkacker Hinzu kommt, dass der Mensch extrem gut darin ist, schnell zu erkennen, wenn andere sich nicht an Regeln halten, weiß der Sozialpsychologe Gerd Bohner von der Uni Bielefeld. "Und Regelverletzungen können richtige Adrenalinschübe, Aggression, Wut und körperliche Reaktionen bei denen auslösen, die sich daran halten, zum Beispiel im Straßenverkehr oder wenn sich einer an der Kasse vordrängelt." Dabei geht der Vorwurf in beide Richtungen: Egoisten und Gefährder sind die einen, Korinthenkacker und Moralprediger die anderen. Wohlgemerkt: Alles auf einem gemäßigten Niveau, weit entfernt von Querdenkertum oder Coronaleugnung. Vielleicht gab es diese Unterschiede in der Freundschaft sogar immer schon. Aber auch hier entfaltet Corona seine Brennglas-Wirkung. Außerdem gibt es gerade - im Gegensatz zu früher - kein Leben und Lebenlassen mehr. "Eigentlich ist es die Stärke einer liberalen Gesellschaft - und auch einer Freundschaft - Asozialität auszuhalten", sagt der Literatur- und Kulturwissenschaftler Matthias Buschmeier, der an der Uni Bielefeld zum Thema Schuld forscht. "In stabileren Zeiten klappt das auch meist gut." In dieser Krise aber hat das Verhalten des Einzelnen gravierende Auswirkungen auf alle. Handelt jetzt jemand gegen die Regeln, kann das gravierende oder sogar tödliche Folgen haben. "Entsprechend groß ist momentan der Druck, sich regelkonform zu verhalten." "Beziehung nicht kippen lassen" Und natürlich ist da die menschliche Enttäuschung. So auch bei Johanna Fröbel. "Für mich ging es am Schluss nicht mehr um Regeln. Sondern um die Frage: Möchte ich noch mit einem Menschen befreundet sein, der sich in meinen Augen so unsozial, rücksichtslos und egoistisch verhält?" Für sie lautete die Antwort: Nein. Genau jetzt bei der Stange zu bleiben, ist allerdings in den Augen von Soziologe Schobin die einzige Chance für solche Freundschaften. "Wichtig ist, die Beziehung nicht kippen zu lassen. Sondern emotional dagegen zu halten. Das gilt besonders für das Lager der Besonnenen - weil wir diese Menschen gerade so dringend brauchen. Auch wenn das heißt, dass sie das Verhalten und Gebaren der anderen überkompensieren müssen. Das ist natürlich anstrengend. Weil wir alle mürbe sind." Schwierig ist aber auch, eine sachliche Kommunikation über die Vorwürfe. Denn schließlich haut man seinem Gegenüber ja keine geringen Anschuldigungen um die Ohren. "Selbst in dem sachlichen Hinweis ,Ich will mich gerade nicht mit dir treffen' schwingen ja schwerwiegende Botschaften mit: Du bist gefährlich", sagt Kulturwissenschaftler Buschmeier. "Das muss das Gegenüber erstmal annehmen können." Johanna Fröbels Freundin konnte das nicht. Harte Worte gingen hin und her. Alte Konflikte kamen hoch. "Der letzte war ein heftiger Streit - für uns beide. Und selbst, wenn diese Pandemie irgendwann vorbei sein sollte - ob wir uns die Worte, die da gefallen sind, jemals verzeihen, bezweifle ich doch sehr."

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