Beatmung auf der Intensivstation: So kämpfte sich ein Chefarzt zurück ins Leben

Bielefeld/Höxter. Mit den steigenden Infektionszahlen in Deutschland, steigt langsam auch die Zahl der Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen. Aktuell sind es fast 2.700. Die Bilder erinnern an die erste Corona-Welle im Frühjahr. Zu einer Zeit, in der in Deutschland noch keine Schutzmaßnahmen wie Maskenpflicht oder Abstandsgebot gelten, infiziert sich Ende März auch Werner Bader mit dem Coronavirus. Anfangs hat der Chefarzt der Gynäkologie im Klinikum Bielefeld nur leichte Symptome, doch schon nach wenigen Tagen liegt er im Koma. Der 59-Jährige hat Covid-19 überlebt, doch die Folgen der Erkrankung spürt er noch heute. Zu Beginn der Pandemie breitet sich das Coronavirus in Deutschland lange unbemerkt aus. Insbesondere für Ärzte und Pflegekräfte mit engem Patientenkontakt besteht zu dieser Zeit ein hohes Infektionsrisiko. Als Gynäkologe hat Bader bei Untersuchungen und Behandlungen viel Kontakt zu seinen Patientinnen. Viele von ihnen sind zudem jung. Corona-Infektionen überstehen sie in den meisten Fälle ohne Symptome, andere anstecken können sie trotzdem. &bdquo;Heute wissen wir, dass das perfekte Voraussetzungen für die Ausbreitung des Coronavirus sind", sagt Bader. Kaum Symptome in den ersten Tagen nach der Infektion In den ersten Tagen nach der Infektion klagt der Mediziner, der mit seiner Familie in Höxter lebt, lediglich über ein allgemeines Unwohlsein und eine Überempfindlichkeit der Haut. Große Sorgen macht sich der 59-Jährige deshalb anfangs nicht, auch der erste Corona-Test ist negativ. &bdquo;Zudem gehöre ich nicht zur Risikogruppe, da ich keine Vorerkrankungen habe und sportlich sehr aktiv bin." Doch seine Frau Kirsten Bader, Anästhesistin im St. Ansgar Hospital Höxter, macht sich zunehmend Sorgen. &bdquo;Mein Zustand verschlechterte sich, obwohl ich während der gesamten Zeit kein Fieber oder Atemnot hatte. Doch meine Frau erkannte das als erfahrene Notärztin." Bader leidet – noch unbemerkt – an einem zunehmenden Sauerstoffmangel im Blut. &bdquo;Meine Frau verabreichte mir Blutverdünner und schickte mich kurz darauf ins Krankenhaus." Erst im St. Ansgar Hospital Höxter wird Bader und seinen Ärzten nach der Messung des Sauerstoffgehalts im Blut der Ernst der Lage bewusst. Erinnern kann sich Bader daran jedoch nicht mehr. Zwei Wochen kämpfen Ärzte um das Leben von Werner Bader Einen Tag später liegt Bader bereits auf der Intensivstation im Koma, weil er invasiv beatmet werden muss. Seine Lunge versagt, zwei Wochen kämpfen die Ärzte um sein Leben. Anschließend wird Bader von der künstlichen Beatmung entwöhnt. &bdquo;Doch auch während dieser Woche war ich nicht richtig anwesend." Erinnerungen an diese drei Wochen hat Bader nicht, jedoch an seine Träume in dieser schweren Zeit. &bdquo;Die Träume waren so realistisch, dass ich nach den drei Wochen zwei Tage lang mit meiner Frau darüber gesprochen habe, um herauszufinden, was davon tatsächlich passiert ist." Bader beschreibt diese Phase als Wechsel von Traumepisoden. Er träumt davon, dass sein Schwager und seine Schwägerin von Bielefeld nach München ziehen. Und, dass er beim Wandern in Frankreich auf einen Schwerverbrecher trifft und mit ihm verhaftet wird. &bdquo;Weshalb ich meine Frau gefragt habe, ob wir schon Post von der Staatsanwaltschaft bekommen haben." Bedrohliche Träume während der Beatmung Einflüsse von außen arbeitet Bader ebenfalls in seine Träume ein. &bdquo;Wenn meine Frau mir gut zugesprochen oder mich berührt hat, habe ich geträumt, dass sie mich rettet." Einen Fernsehbericht über das Fußball-WM-Finale von 1974 in Deutschland baut der Mediziner ebenfalls in seine Träume ein, allerdings mit einem Spiel in Brasilien. Auch Schmerzen verarbeitet er unterbewusst. &bdquo;Die Schmerzen, die ich beim Drehen meines Körpers von dem Rücken auf den Bauch während der Beatmung spürte, habe ich ebenfalls eingebaut. Ich hatte dann das Gefühl, dass mir Teile meines Körpers fehlen." Bader verspürt in dieser Zeit auch Todesangst und Atemnot. &bdquo;Die Träume waren teilweise sehr bedrohlich, weil ich das Gefühl hatte zu ersticken. In einem Traum bin ich auch gestorben und wurde beerdigt. Ich konnte das aber gleichzeitig von oben beobachten." Nach drei Wochen auf der Intensivstation wieder Herr seiner Sinne Nach drei Wochen auf der Intensivstation ist Bader wieder Herr seiner Sinne, wie der 59-Jährige selbst beschreibt. &bdquo;Doch ich konnte nichts mehr. Nicht mehr aufstehen, gehen oder eine Tasse heben." All das muss er in den nächsten zwei Wochen im Krankenhaus und der anschließenden Reha neu lernen. In drei Monaten kämpft sich Bader so weit zurück, dass er wieder arbeiten kann. &bdquo;Jedoch nicht unter Volllast, da ich anfangs nicht operieren konnte. Ich hatte Schmerzen, Taubheitsgefühle und zittrige Hände, sodass ich nicht mal mehr eine Schere halten konnte." Stufenweise kehrt Bader als Chefarzt zurück ins Klinikum Bielefeld. &bdquo;Meine Kollegen haben mich in dieser Zeit sehr unterstützt und mir körperlich anstrengende Aufgaben wie Operationen abgenommen. Dafür bin ich sehr dankbar." &bdquo;Mein Körper erholt sich auch nach sechs Monaten noch" Doch wo steht Bader heute? Sechs Monate nach der Infektion arbeitet der Gynäkologe wieder Vollzeit und ist auch wieder im OP tätig. Auch Sport ist wieder möglich. &bdquo;Ich fühle mich gut, doch ich merke, dass sich mein Körper noch immer in der Erholungs- und Aufbauphase befindet. Die Kraft kehrt nur nach und nach zurück, ebenso wie mein Vermögen mit Stress umzugehen." Bader weiß inzwischen, dass Fortschritte Zeit und Energie kosten. &bdquo;Vor der Erkrankung habe ich vier Klimmzüge geschafft. Mittlerweile schaffe ich fast schon wieder zwei." Auch die Lungenfunktion ist noch nicht wieder komplett wieder hergestellt. &bdquo;Aktuell sind es 74 Prozent, aber ich rechne mit weiterer Besserung." Über mögliche Spätfolgen ist laut Bader jedoch noch zu wenig bekannt. &bdquo;Herz, Nieren und Leber sind wieder gesund, aber die Lunge ist noch geschwächt." Frau und Tochter ebenfalls infiziert, die Söhne hingegen nicht Ungewissheit herrscht jedoch nicht nur mit Blick auf Langzeitfolgen, sondern auch über die Infektionswege und die Schwere der Erkrankung. &bdquo;Als ich mich im März infizierte, wurden auch meine Tochter und meine Frau positiv getestet", erklärt Bader. Während seine Frau kaum über Symptome klagt, leidet seine 15-jährige Tochter eine Woche an heftigen Erkältungssymptomen. &bdquo;Obwohl ich mit meiner Tochter deutlich weniger Kontakt hatte, als zu meiner Frau." Erstaunlich ist auch, dass sich seine beiden Söhne im Alter von 16 und 12 Jahren trotz engen Kontakts nicht infizieren. Auch im Klinikum Bielefeld gibt es Ende März eine weitere Infektion. Zeitgleich mit Bader erkrankt eine OP-Schwester, aber nicht seine Sekretärin, mit der der Mediziner täglich zusammen sitzt und viel bespricht. &bdquo;Im OP sind Ansteckungen aufgrund von Masken und Lüftungsanlagen eigentlich ausgeschlossen. Im Büro ist das Risiko dagegen deutlich höher." Diese vielen Unklarheiten machen das Coronavirus nach Einschätzung Baders so gefährlich: &bdquo;Wir wissen immer noch zu wenig über dieses Chamäleon."

Meistgelesen