Das hat Corona mit unserer Region gemacht

Bielefeld. Der 4. März 2020 wird in die Geschichte von Ostwestfalen-Lippe eingehen: es war der Tag, an dem uns der erste Corona-Fall im Gebiet zwischen Rahden und Bad Wünnenberg, Versmold und Höxter gemeldet wurde. Der Tag, an dem Corona hier begann. Ein Mann aus Rheda-Wiedenbrück sollte von dem neuartigen Virus betroffen sein – und war es doch nicht, wie ein zweiter Abstrich bewies. Der Irrtum hatte mehr als symbolische Wirkung für die Monate seither, in denen sich Covid-19 als unberechenbar erwiesen hat. Den tatsächlichen ersten Fall meldete Stunden später Lippe. Diesmal stimmte die Diagnose. Am 18. März schließlich gab es den ersten Corona-Toten in OWL: ein 87-Jähriger aus Lippe. Der nächste traurige Tag für die Geschichtsbücher. Die Krankheit hatte zum ersten Mal getötet. Und jetzt warten die Menschen in Bielefeld und den sechs Kreisen eigentlich nur auf einen Tag: Jenen, an dem das Ende der Pandemie verkündet wird oder zumindest die Rückkehr zu einem halbwegs normalen Leben. Ganz OWL ist Risikogebiet Doch inzwischen ist klar, dass wohl nichts ferner ist als Letzteres. Die Infektionszahlen sind nach oben geschnellt. Ganz OWL gilt als Risikogebiet mit einem Inzidenzwert von mehr als 50 Neuinfektionen in 7 Tagen auf 100.000 Einwohner. Das nächste Symbol der Corona-Krise: der Inzidenzwert von 50 oder in der ersten Warnstufe von 35. Wie viel Sinn macht er? Reicht er als Grundlage für weitreichende Einschränkungen im öffentlichen und privaten Leben aus? Ist er zu niedrig oder zu hoch? Darüber streiten die Menschen auch in der Region. Streit, Diskussionen, Zweifel, ja sogar Verzweiflung und viel Geduld prägen seit jenem 4. März unseren Alltag. Manche glauben gar nicht an das Virus, andere halten die Maßnahmen für überzogen, die meisten aber versuchen sich aus Vernunftgründen mit den Einschränkungen zu arrangieren. Manche haben Angehörige verloren oder leiden selbst an Spätfolgen der Krankheit. Und ganz viele bangen um ihre Existenz. Das ist ein neues Phänomen für die meisten in unserer Gesellschaft der gut 2 Millionen Ostwestfalen und Lipper hier. Künstler und Veranstalter hat es am härtesten getroffen. Auch Gastronomen und Händler leiden besonders und etliche mehr. Andere wiederum arbeiten mehr denn je oder unter anderen Belastungen. Denken wir an Ärzte und Pfleger, Gesundheitsämter und Lehrer. Die siebeneinhalb Monate seit dem Einzug der Pandemie in unsere Region lassen sich in drei Phasen teilen. Am Anfang stand die vehemente Reaktion auf drohendes Unheil. Lockdown mit Schul- und Kitaschließungen, Homeoffice, Heimunterricht, Hamsterkäufen, Feierverboten, Licht aus auf allen Bühnen, OP-Absagen um Betten frei zu halten und und und. Sogar der allmächtige Fußball musste in die Pause. Rums! Ende April erließ NRW schließlich die erste Maskenpflicht. Sie sollte ein Weg aus dem Stillstand werden. Im Juni begann Phase zwei mit Hoffnung. Lockerungen galten, Leben hielt wieder Einzug. Es gab sogar ein wenig Schulunterricht. Menschen kehrten in Büros zurück. Die Infektionszahlen sanken. Sogar der Massenausbruch bei Tönnies machte Hoffnung, denn er ließ sich regional eingrenzen. Eine Ausbreitung in die Fläche blieb aus. Stück für Stück holten wir uns den Alltag zurück. Sogar Reisen waren in bestimmtem Maße wieder möglich. Ende August öffneten die Schulen wieder regulär. Wars das schon mit der Pandemie rund um den Teutoburger Wald? Schien so, trotz der Warnungen der Virologen. Irgendwie wollten wir das wohl auch glauben. Doch es kam anders. Diese Fragen kann niemand beantworten Offenbar ausgelöst von Reiserückkehrern und Feierwütigen machte sich nach den Ferien die befürchtete zweite Welle auf den Weg. Sie war schon bald größer als die erste. Phase drei läuft. Niemand weiß, wie lange. Niemand weiß, wie schlimm sie wird. Niemand weiß, welche Maßnahmen noch ergriffen werden. Binnen weniger Wochen färbte sich fast ganz NRW und damit auch OWL auf der Inzidenzkarte tiefrot. Und nun der Teil-Lockdown. Alles wieder auf Anfang? Nicht ganz. Schulen und Kitas bleiben vorerst offen, Frisöre auch. Manches haben wir aus der ersten Welle gelernt. Auch, was Superspreader-Events wären: Großveranstaltungen. Die sind in OWL alle abgesagt. Ein Jahr ohne Libori, ohne Blasheimer Markt, ohne Pollhans, ohne Annentag, ohne Leinewebermarkt und ohne Gäste aus aller Welt bei den Noventi Open auf dem Tennisrasen. Einzig die Fußballer der Arminia durften in Geisterspielen im Sommer den Aufstieg feiern. Wie bitter: Sensationell zurück in der Bundesliga und die Zuschauerränge sind leer. Daran haben wir uns gewöhnen müssen Phase drei ist geprägt von Gewöhnung. An Masken, ans Durchzählen vor privaten Einladungen, ans dreimal Überlegen vor dem Buchen einer Reise, ans Zusammenzucken beim kleinsten Husten, ans Homeoffice, ans Sitzen auf dem Sofa am Samstagabend, ans Nicken statt Händeschütteln. Und nun warten wir auf den dritten Tag für die Geschichtsbücher. Wann immer er kommen mag. Danach werden wir vieles wieder aufbauen und neu beleben müssen zwischen Mittellandkanal und Warburger Börde, zwischen Ems und Weser. Ich bin sicher, dass die Ostwestfalen und Lipper das genauso sachlich und gründlich angehen werden, wie sie derzeit durch die Krise gehen. Jedenfalls die meisten.

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