Kritik an Krisenpolitik: Laschet sucht den Kompass

Düsseldorf. In der nordrhein-westfälischen Landespolitik gehen derzeit Erzählungen um, wonach der zuletzt arg gescholtene Armin Laschet seinen Kompass doch im Grunde fest in den Händen hält. Gegen die populäre Meinung habe er wegen Corona nur einen milden regionalen Lockdown im krisengebeutelten Kreis Gütersloh verfügt. Er bleibe sich treu, der Ministerpräsident. Es ist die Sprachregelung, die häufig gebraucht wird, wenn Laschet in Bedrängnis gerät. Dabei haben die vergangenen Wochen gezeigt, dass ihn zuweilen das Gespür verlässt. Statt kurz nach dem Infektionsausbruch bei Tönnies die Lage zu prüfen stellte Laschet eine fragwürdige Ferndiagnose, indem er suggerierte, das Virus sei von südosteuropäischen Beschäftigten eingeschleppt worden. Auf die Kritik folgte eine Klarstellung. Es verbiete sich, Menschen gleich welcher Herkunft irgendeine Schuld am Virus zu geben. "Wege aus dem Lockdown aufgezeigt" Auf dem Weg "vom Lockerer zum Lockdowner", wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung nach den Notfallbeschränkungen im Kreis Gütersloh konstatierte, ringt der Ministerpräsident nun seit Tagen um die Deutungshoheit. Während Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP) die örtlichen Entscheidungsträger dafür kritisiert, "reflexhaft immer sofort Kitas und Schulen zu schließen", macht er sich den lokalen Erlass zu eigen. "Prophylaktisch haben wir Kitas und Schulen geschlossen", sagt Laschet – als "erste Phase des Lockdowns", die "sofort in Kraft getreten" sei. Eigentlich hatte sich Laschet vorgenommen, zügig aus den Corona-Maßnahmen auszusteigen. Carsten Linnemann findet es zumindest "richtig, dass er frühzeitig eine Debatte über mögliche Lockerungen angestoßen hat", sagt der Unionsfraktionsvize unserer Redaktion. Das habe "nicht jedem gefallen", die Debatte aber sei wichtig gewesen, "um Wege aus dem Lockdown aufzuzeigen". Die Eindämmung des Virus habe fraglos höchste Priorität, "aber sie darf unser Land nicht in eine langanhaltende Starre versetzen und dabei Grundrechte aushebeln". "Viel Verunsicherung ausgelöst" Fraglich, ob es Laschet zu jedem Zeitpunkt um die Verteidigung von verfassungsrechtlichen Errungenschaften geht – oder manchmal eher um die Profilierung in der Konkurrenz um die Kanzlerkandidatur. Es sei noch zu früh, um über die Kanzlerfrage zu streiten, sagt Linnemann. Die Menschen in Deutschland, und das gelte genauso für die Union, hätten gerade ganz andere Sorgen. Spätestens nach dem Sommer jedoch erwarte er eine "offene Debatte über die K-Frage". In der SPD haben sie Laschet die Tauglichkeit abgesprochen. Kaum jemand habe "in dieser Krise so viel Verunsicherung ausgelöst wie Armin Laschet", sagte Generalsekretär Lars Klingbeil. Die Gütersloher Bundestagsabgeordnete Elvan Korkmaz-Emre geht noch weiter. Sicher habe sich Laschet "nicht als kommender Kanzlerkandidat angeboten", sagt sie unserer Redaktion. Viel schlimmer aber sei, "dass er sich nicht als Ministerpräsident bewährt hat". "Strategie interdisziplinär ausgerichtet" Der ständige Wettbewerb mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) habe Laschets Beurteilungsfähigkeit getrübt. "Kein Wunder also, dass er bei den Schulschließungen gegen seine Schulministerin agiert hat", sagt Korkmaz-Emre, stellvertretende Vorsitzende der NRW-SPD, "oder dass er in Sachen Tönnies lange nicht auf seinen Arbeitsminister gehört hat." Linnemann verteidigt den NRW-Regierungschef. "Er hat seine Strategie interdisziplinär ausgerichtet und nicht allein auf Virologen gehört, sondern auch die Erkenntnisse von Soziologen, Ökonomen und Psychologen herangezogen und sich so ein umfangreiches Bild über die Lage gemacht." Gegenüber jenen, die gesichert weiterarbeiten könnten, habe die Pandemie andere Gruppen hart getroffen. Ihre Probleme, sagt Linnemann, habe Laschet "erkannt und in seine Krisenpolitik aufgenommen".

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