Missbrauchsfall Lügde: Zeugin durchbricht das Schweigekartell

Düsseldorf. Erstmals hat eine Zeugin im Untersuchungsausschuss des Landtages zum schweren Kindesmissbrauch in Lügde das Schweigekartell des Jugendamtes Hameln-Pyrmont durchbrochen. Sie ermöglichte dabei tiefe Einblicke in die Arbeit, aber auch in die Versäumnisse der Behörde im Zusammenhang mit dem Kindesmissbrauch auf dem Campingplatz &bdquo;Eichwald" in Lügde. Die aussagebereite Sozialarbeiterin (60) arbeitet inzwischen nicht mehr beim Jugendamt Hameln, ihr wurde fristlos gekündigt, weil sie einen Vermerk, der ein schlechtes Licht auf ihre Arbeit warf, nachträglich löschte, aber auch auf Anweisung des damaligen Jugendamtsleiters einen weiteren Vermerk den Akten nachträglich hinzufügte. Auch der Amtsleiter hat seinen Posten inzwischen nicht mehr inne. Mitarbeiter weigern sich zu sprechen Dagegen weigern sich die Mitarbeiter, die immer noch in niedersächsischen Jugendbehörden arbeiten und damit weiterhin für das Schicksal von Kindern und Jugendlichen zuständig sind, beharrlich, zur Aufklärung der schlimmen Verbrechen auf dem Campingplatz in Lügde beizutragen. Der regelrechte Boykott des Hamelner Jugendamtes gegen die Aufklärungsarbeit des NRW-Landtages hatte bereits in der vergangenen Woche begonnen, als zwei Mitarbeiter sich weigerten, auch nur eine einzige Frage der Abgeordneten zu beantworten. Am Dienstag taten es ihnen zwei weitere Mitarbeiter gleich. Alle berufen sich dabei auf ein Auskunftsverweigerungsrecht, das ihnen zustehe, wenn die Gefahr bestehe, sich selbst zu belasten – zumal die Staatsanwaltschaft Detmold gegen sie ermittelt hatte. Die Verfahren sind allerdings inzwischen eingestellt. Strafrechtlich haben ihre Versäumnisse also keinerlei Konsequenzen. U-Ausschuss will Zwangsmaßnamen beantragen Der Untersuchungsausschuss sieht das anders. Er bezweifelt das Auskunftsverweigerungsrecht nicht generell, ist aber der Auffassung, dass dieses Recht bei jeder Frage im Ausschuss einzeln geprüft werden müsse. Er will deshalb vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf die Verhängung von Zwangsgeldern und gegebenenfalls Zwangshaft gegen die Zeugen beantragen, um sie zur Beantwortung von Fragen zu zwingen. Eine weitere Mitarbeiterin des Jugendamtes hatte zuvor zwar Fragen beantwortet, aber immer nur, wenn es um die Zusammenarbeit zwischen Behörden aus Hameln und Lippe ging. Der Ausschuss des NRW-Landtages habe kein Recht, sie über interne Vorgänge einer niedersächsischen Behörde zu befragen, sagte ihr Rechtsanwalt Georg Strittmatter (Düsseldorf). Die meisten der gestellten Fragen beantwortete sie deshalb nicht und trug nur wenig zur Erhellung der Begleitumstände des Kindesmissbrauchs bei. Nicht erst seit der Weigerung der Hamelner Behördenmitarbeiter, in Düsseldorf auszusagen, steht die Frage im Raum, warum nicht auch der niedersächsische Landtag einen Untersuchungsausschuss eingerichtet hat. Nach Informationen dieser Redaktion gibt es inzwischen in dieser Frage zumindest Kontakt zwischen den Grünen-Fraktionen in beiden Landtagen. "Ich bin echt auf den reingefallen" Für den Untersuchungsausschuss des NRW-Landtages ist die Verweigerungshaltung der Jugendamts-Mitarbeiter fatal, denn eigentlich hätten sie die dringendste Frage der Ausschussmitglieder beantworten sollen. Nämlich warum das Hamelner Jugendamt überhaupt ein kleines Mädchen als Pflegekind an den alleinstehenden, von Grundsicherung lebenden Bewohner (Alter: Anfang 50) einer verwahrlosten Campingplatzparzelle in Lügde, Andreas V., gegeben hat. Das Mädchen wurde eines der gepeinigten Opfer von V., der als einer der Haupttäter des Kindesmissbrauchs von Lügde gilt und inzwischen wegen hundertfachen Kindesmissbrauchs verurteilt ist. In ihrer Aussage berichtete die Sozialarbeiterin, die damals Pflegevater Andreas V. zu überprüfen hatte: &bdquo;Ich bin wirklich aus allen Wolken gefallen, als das alles rauskam. Das hat mich echt umgehauen." Und unter Tränen fügte sie hinzu: &bdquo;Ich bin echt auf den reingefallen. Ich könnte mich selbst dafür in den Hintern treten." Die Entscheidung, das kleine Mädchen in die Pflegschaft bei Andreas V. zu geben, habe der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) des Jugendamtes getroffen – ohne ihre Beteiligung. Zwar habe eine Psychologin aus der Kita des Mädchens den Verdacht geäußert, Andreas V. sei ein Pädophiler, dafür habe es allerdings keine Belege und auch keine sichtbaren Hinweise gegeben. &bdquo;Da war eine Bindung", beschrieb sie das Verhältnis des zu Hause vernachlässigten Kindes zu ihrem Pflegevater. Sexualisiertes Verhalten sei aber weder ihr noch anderen Betreuern aufgefallen, mit denen sie in Kontakt gestanden habe, versicherte die Sozialarbeiterin. 2016 habe sie auch Kontakt gehabt mit der leiblichen Mutter, die eine Einverständniserklärung vorgelegt habe, wonach sie das Sorgerecht an Andreas V. abtreten wolle und gerne hätte, dass er das Mädchen später adoptiert.«Er war ein lauter, bolleriger Mensch», beschrieb sie den Mann. Der teils grantige Sohn eines Duisburger Bergmanns habe sich aber kooperativ gezeigt und habe auch die Auflage befolgt, eine Wohnung anzumieten.Der jahrelange Missbrauch war erst Ende 2018 nach einer Anzeige endlich aufgedeckt worden. Das Kind sei dann aus der Turnstunde heraus aus der Schule in Obhut genommen werden, berichtete die Zeugin. Das Kind habe zunächst nur gesagt: «Ich vermisse Addi.» Damit meinte sie ihren Peiniger Andreas V.Die Beurteilung von Pflegeverhältnissen sei schwierig, sagte die Zeugin. «Man geht grundsätzlich ein Risiko ein.» Keine Fachstelle helfe bei der Einschätzung. «Man ist sich selber überlassen.»Sie selbst sei fristlos entlassen worden, nachdem sie einen Vermerk über einen Hausbesuch gelöscht habe, berichtete die 60-Jährige. Dort habe sie ursprünglich festgehalten, dass der Pflegevater nach eigenen Angaben «gerne was mit Kindern macht und gerne Kinder um sich hat», berichtete die 60-Jährige. Ihr sei im Nachhinein vorgeworfen worden,dies sei «ein eindeutiges Indiz für Pädophilie» gewesen und sie habe nicht gehandelt.

Meistgelesen