Corona vertieft die Kluft zwischen Arm und Reich

Bielefeld. Große Epidemien wie die Pest oder die Spanische Grippe wirkten in früheren Zeiten oft so ähnlich wie Kriege, Revolutionen oder Naturkatastrophen: Sie trafen Arm und Reich und ebneten Standesunterschiede ein. "Die Pest sorgte für leerstehende Häuser und brachliegende Äcker, die Bodenpreise sanken", erinnert der Armutsforscher Christoph Butterwegge. Auch die Preise für Nahrungsmittel brachen ein, wenn die dezimierte Bevölkerung weniger verbrauchte. Auf der anderen Seite stiegen die Arbeitslöhne, weil Arbeitskräfte knapp wurden. Doch in der Corona-Pandemie könnte alles anders sein, befürchtet Butterwegge: "Vieles deutet darauf hin, dass die egalisierende Wirkung ausbleibt und die gesellschaftlichen Unterschiede diesmal sogar noch wachsen", denkt der 69-jährige Politikwissenschaftler der Universität Köln. Denn die Ärmeren würden von der Corona-Krise stärker betroffen als Gutverdienende und Vermögende. Staatliche Hilfspakete zementieren soziales Gefälle Das soziale Gefälle werde durch die Struktur der staatlichen Hilfspakete noch weiter zementiert, beklagt Butterwegge. Während Großkonzerne wie Adidas oder TUI auf Hilfen im Milliardenumfang bauen könnten und alle Unternehmen durch Kurzarbeit von den kompletten Lohnkosten entlastet werden könnten, müssten kurzarbeitende Arbeitnehmer mit 60 bis 67 Prozent ihrer gewohnten Bezüge auskommen. Minijobber aber, die in aller Regel nicht auf Rosen gebettet sind - zum Beispiel ältere Menschen mit mageren Renten, die sich etwas hinzuverdienen müssen - könnten für ihren Verdienstausfall überhaupt keinen Ausgleich erwarten. Im Gegenteil: Viele müssten obendrein auf die Leistungen von Tafeln und Suppenküchen verzichten, die vielerorts wegen der Corona-Ansteckungsgefahr geschlossen haben. "Die Schwächsten werden vom Staat bisher am wenigsten unterstützt" "Die Schwächsten werden vom Staat bisher am wenigsten unterstützt", stellt der Wissenschaftler fest, der dem Gutachtergremium angehört, das derzeit am 6. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung arbeitet. Grundsätzlich könnten Besserverdienende zudem leichter auf Hilfe durch Lieferanten oder Boten zurückgreifen, um sich selbst vor einer Infektion zu schützen. Und Quarantänemaßnahmen oder medizinische Behandlungen seien mit größeren finanziellen Rücklagen leichter zu organisieren. Die schon vor Wochen von Wissenschaftlern wie ihm, aber auch von Kirchen und Parteien aufgestellten Forderungen nach einer Aufstockung der Hartz-IV-Sätze und der Grundsicherung für Alte und Erwerbsgeminderte um 100 Euro im Monat blieben trotz allem ungehört. Eine Folge der herrschenden Machtverhältnisse, so Butterwegge. Eine zweite große Gruppe, die Butterwegge in der Corona-Krise für benachteiligt hält, sind Familien mit Kindern und vor allem Alleinerziehende: Die Kosten für die Betreuung und Erziehung von Kindern würden in diesen Tagen steigen. "Alleinerziehende bekommen große Probleme, wenn ihr Arbeitgeber kein Verständnis für ihre Situation hat", so Butterwegge. Der Einsatz von Großeltern oder auch Freunden oder Nachbarn sei wegen der Ansteckungsgefahr erschwert. Und eine Arbeit im Homeoffice sei oft nur für Beschäftigte in höheren beruflichen Positionen möglich. Besserverdienende kaufen den Ärmeren die Lebensmittel weg Christoph Eikenbusch vom Diözesan-Caritasverband in Paderborn sieht die Entwicklung ähnlich skeptisch wie Butterwegge. "Ärmere haben in der Regel nicht so gute Wohnverhältnisse, die Kontaktsperren belasten sie umso mehr", weiß er. Auch er sieht finanzielle Nachteile für die weniger gut Betuchten: Haushalte mit geringen Einkommen seien etwa oft auf Sonderangebote angewiesen, doch die gebe es derzeit weniger als sonst. Die preiswerten Mittagessen für Kinder in Schulen oder Kitas fehlen. Einkäufer, die sich große Hamsterkäufe leisten können, kaufen den Ärmeren gerade die günstigen Produkte wie Nudeln oder Mehl weg. Und viele mit verringerten Einkommen kämpfende Eltern müssten ausgerechnet jetzt in technische Geräte wie Computer oder Smartphones investieren, um ihren Kindern die Teilhabe am digitalen Leben zu ermöglichen. Zwar zeige sich Solidarität durch viele Initiativen, die auf örtlicher Ebene für Ausgleich sorgen - aber viele Haushalte hätten bis hin zum Stromverbrauch auch erhöhte Ausgaben. Eikenbusch, bei der Caritas Abteilungsleiter für die Beratenden Dienste, weiß aber, dass auch manche Gutverdienende, Selbstständige und Unternehmer in finanzielle Probleme geraten sind, "die sie sich vor kurzem noch nicht hätten vorstellen können". Wegen des hohen Tempos der Corona-Krise habe sich kaum einer darauf einstellen können und komme nun mit seinen finanziellen Verpflichtungen nicht mehr klar. Es gebe entsprechenden Beratungsbedarf speziell auch für kleinere Firmen. "In manchem mittelständischen Unternehmen herrscht große Not", sagt Eikenbusch.

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