Kein Ausgang aus der Hölle von Lesbos

Bielefeld. Wer die Zustände auf Lesbos mit eigenen Augen gesehen hat, wählt Begriffe wie "Hölle": Die Lage im Flüchtlingscamp Moria, ausgelegt für 3.500 Menschen, ist für seine rund 23.000 Bewohner in der Tat teuflisch - schon vor Corona. Kinder hocken im Schlamm zwischen Wellblechhütten und Zelten, Familien schlafen unter notdürftig aufgestellten Behausungen aus Plastikplanen, zwischendrin überall Müll. Sven Wegner, als Beobachter für die Hilfsorganisation "Mission Lilfeline" vor Ort, schildert menschenunwürdige Verhältnisse: Immer wieder wird die Trinkwasserversorgung unterbrochen, es gibt kaum medizinische Betreuung, Essensrationen wurden gekürzt, Krätze ist ausgebrochen durch die verheerenden hygienischen Bedingungen. Was hier über Jahre entstanden ist, ist kein Slum in einem Entwicklungsland, sondern Realität mitten in Europa. Und jetzt auch noch das Virus. Jeden Tag, so fürchten Helfer, könne die Pandemie auch das Lager auf der Insel erreichen. In zwei anderen griechischen Flüchtlingscamps wurden bereits Infektionen gemeldet. Die Reaktion der Behörden vor allem: Abschottung und Ausgangssperren. Die Bewohner von Moria, die schon bisher kaum einen Fuß außerhalb des Lagers setzen durften, dürften immer seltener hinaus, mitunter nicht einmal mehr zu Arztbesuchen, sagt Wegner. Im Camp grassiere die Angst vor dem Virus: "Kinder fragen ihre Eltern, ob sie sterben müssten." Viele Opfer befürchtet Peter Casaer von Ärzte ohne Grenzen, das am Rand des Camps eine Klinik betreibt, fürchtet, Corona werde sich, einmal angekommen, in Moria rasend schnell verbreiten und viele Todesopfer fordern: Mehrere Hundert Menschen müssten sich eine Toilette teilen, berichtet er der ARD, auf einen Wasserhahn kämen mehr als tausend Personen. "Es ist unmöglich, da eine Covid-19-Übertragung zu verhindern. Die Leute fragen: Wo sollen wir denn Hände waschen? Und womit sollen wir uns waschen, wenn wir nicht mal Seife haben?" Ärzte ohne Grenzen fordert schon lange, das Lager wegen der desaströsen hygienischen Bedingungen komplett zu evakuieren, "aber es hat keiner zugehört". Fängt die Politik nun an, zuzuhören? Zumindest behauptet sie es. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) sagt, die Kommission arbeite an einem Plan, 1.600 unbegleitete Kinder aus griechischen Lagern zu holen und in ander europäische Länder umzuverteilen: Neben Deutschland haben sich Frankreich, Irland, Portugal, Finnland, Luxemburg, Kroatien und Litauen bereit erklärt, Minderjährige aufzunehmen, auch Bulgarien hat in der Vergangenheit entsprechende Signale gesendet. Dass sich Deutschland daran beteiligen will, ist seit Mitte März Konsens in der Großen Koalition, "doch bislang konnten kein einziges Kind, keine Frau und kein Mann die gefährlichen Lager verlassen", kritisiert Florian Westphal Geschäftsführer bei Ärzte ohne Grenzen. Die Europäische Kommission habe als Koordinierungsstelle immer noch keine Lösung gefunden, um die angebotene Aufnahme auch umzusetzen. Luxemburg prescht vor Das kleine Luxemburg will nun offenbar nicht länger warten und prescht vor: Noch vor Ostern würden ein Dutzend Kinder ausgeflogen, sagte Außenminister Jean Asselborn - auch als Ansporn für das "große, wichtige" Deutschland. Das aber verweist weiter auf Brüssel. Von dort aus müsse die Umverteilung organisiert werden, heißt es aus dem Bundesinnenministerium, und wieder wird die Formulierung von der "europäischen Lösung" bemüht, die jede Bewegung in der Frage seit Monaten blockiert. Wann das erste Kind aus Moria in Berlin landen könnte? Die Sprecherin vermag kein Datum zu nennen. Britta Haßelmann, Grünen-Bundestagsabgeordnete aus Bielefeld, klingt verzweifelt, wenn sie die Haltung des Innenministeriums kommentiert: "Es muss Schluss sein damit, dass jeder immer nur auf den anderen verweist und wartet, anstatt Verantwortung zu übernehmen. An jedem Tag, den wir verlieren, wird die Situation für Kinder, aber auch Kranke, Alte oder Schwangere schlimmer." Deutschland müsse endlich vorangehen und wenigstens die besonders gefährdeten Personen aufnehmen. Wiebke Esdar, SPD-Abgeordnete und ebenfalls Bielefelderin, pflichtet Haßelmann bei: "Luxemburg zeigt, dass einzelne Länder beginnen können, Menschen aufzunehmen." Es sei "beschämend", dass das nicht längst geschehe - zumal viele Kommunen im Land bereit seien, Flüchtlingen Unterkunft zu gewähren. "Sichere Häfen" in OWL In OWL sind das beispielsweise Bielefeld, Minden und Detmold, die zusammen 130 Menschen aufnehmen wollen - zusätzlich zu den ohnehin geregelten Quoten. Aber obwohl das kommunale Bündnis "Sichere Häfen" diese Bereitschaft schon Anfang März erklärt hat, tut sich nichts. "Wir wollen", heißt es von Bielefelds Oberbürgermeister Pit Clausen (SPD), "aber wir bekommen keine positiven Signale aus dem Bundesinnenministerium." Inzwischen wird über das lange Zögern auch in der Union Unmut laut. Mehr als 50 CDU-Bundestagsabgeordnete fordern in einem Brief an Kommissionschefin von der Leyen, nun eine "umgehende Aufnahme" von Kindern aus überlasteten Flüchtlingslagern. Dort drohe eine Katastrophe, sobald die Erkrankung Covid-19 ausbreche. "Die dramatische Lage in den Flüchtlingslagern in Griechenland kann uns alle in Europa nicht unberührt lassen", heißt es in dem Brief, der unter anderem von Volker Kauder und den Staatsministerinnen Monika Grütters und Annette Widmann-Mauz unterzeichnet ist. Da treffen sich die Unions-Politiker inhaltlich ausnahmsweise einmal mit Friedrich Straetmanns von den Linken. Der Bielefelder sagt: "Diese kleine humanitäre Geste wäre das Mindeste, wenn wir nicht alle unsere europäischen Grundwerte verspielen wollen."

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