Ein Tag nach der Amokfahrt: Volkmarsen steht unter Schock

Volkmarsen. Der schwarze Sichtschutz wird langsam entfernt. Nach und nach räumen Polizei und Feuerwehr den Ortskern von Volkmarsen. Auch erste Autos und Passanten sind mittlerweile unterwegs. Um kurz vor 13 Uhr kehrt der Alltag zurück in das nordhessische Örtchen. Zumindest auf den ersten Blick. &bdquo;Von Alltag kann keine Rede sein", sagt ein älterer Passant bedrückt. &bdquo;Das dauert noch." Es war Montagmittag, als der mutmaßliche Amokfahrer (29) den beschaulichen 6.000-Einwohner-Ort mitten ins Herz traf. Mit seinem Mercedes raste er in eine Menschenmenge, die eigentlich dem Karnevalszug zujubeln wollte. Der aktuellste Stand: 61 Verletzte, darunter 18 Kinder – das jüngste erst zwei Jahre alt. &bdquo;Aktuell befinden sich noch 35 Personen in stationärer Behandlung im Krankenhaus", heißt es von den Ermittlern. Gegen den Autofahrer ist inzwischen Untersuchungshaft angeordnet worden. Ihm werden versuchter Mord, gefährliche Körperverletzung und gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr vorgeworfen, so die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt. Der 29-Jährige sei dringend verdächtig, sein Fahrzeug &bdquo;bewusst in Tötungsabsicht in eine größere Personengruppe gesteuert zu haben". Der Vorfall hat den Ort unweit der Grenze zu OWL in eine Schockstarre versetzt. Noch immer liegen Konfettireste auf manchen Teilen der Straßen. Hier und da hängen Luftballons aus den Fenstern. Der Karneval in dem nordhessischen Örtchen sollte ein fröhliches Fest werden. Eigentlich. Jetzt weisen gelbe Markierungen auf der Straße und dem Bürgersteig darauf hin, was hier am Rosenmontag passiert sein muss. Die Fassungslosigkeit kennt keine Grenzen &bdquo;Ich bin heute Morgen um sieben Uhr aufgewacht und es war so still", sagt eine ältere Frau nachdenklich. Die meisten Geschäfte hatten am Tag nach dem grausamen Geschehen geschlossen. &bdquo;Wegen des Vorfalls", meint ein Passant. Darüber sprechen möchte er nicht. Nur so viel: Die Fassungslosigkeit kenne keine Grenzen. &bdquo;Volkmarsen ist ein kleines Nest. Niemand kannte den Ort zuvor – und jetzt ist er in aller Munde", sagt ein 77-Jähriger, der aus dem örtlichen Supermarkt kommt. Er habe nur 50 Meter weit entfernt gestanden, als der Fahrer in die Gruppe raste. &bdquo;Die Kinder haben sich am Straßenrand nach Süßigkeiten gebückt. Die konnten gar nicht sehen, dass das Auto angerast kam", berichtet er. Geworfen wurden Kamelle und andere Naschereien von dem Karnevalszug aus, der zu der Zeit durch die Stadt gezogen ist. Ein 17-Jähriger, der seinen Namen lieber nicht verraten will, stand auf einem der Wagen. &bdquo;Kurz vor dem Umzug war das große Thema noch, ob das Wetter mitspielen würde", sagt er. Vergangenes Jahr sei die Witterung schließlich nicht ideal gewesen. Doch das Thema rückte abrupt in den Hintergrund. &bdquo;Der Vorfall wird auch noch lange das Gesprächsthema Nummer eins bleiben", sagt der Jugendliche. Tatsächlich: Egal, ob die arbeitenden Handwerker an der Straßenecke oder so mancher Passant auf der Straße – sie alle sprachen am Tag danach über das verheerende Unglück und die Folgen. "Es gab plötzlich einen lauten Knall" Der 17-Jährige selbst habe den Vorfall aus nächster Nähe miterlebt. Immerhin sei das Auto des mutmaßlichen Amokfahrers kurz hinter dem Karnevalswagen zu stehen gekommen, auf dem der Teenager eigentlich ausgelassen feiern wollte. &bdquo;Es gab plötzlich einen lauten Knall. Dann hieß es nur noch; ’alle runter vom Wagen!’", sagt er. &bdquo;Es brach Panik aus – alle haben geschrien." Auch ein 58-Jähriger aus Volkmarsen berichtet von den schrecklichen Ereignissen, die er hautnah miterlebt habe. Seine Kinder hätten in einer eigenen Gruppe an dem Karnevalszug teilgenommen. Der Amokfahrer habe diese voll getroffen, wenige Bruchteile einer Sekunde später weitere Passanten und Kinder. &bdquo;Der Mann hat vorher richtig Gas gegeben", sagt der 58-Jährige. &bdquo;Unfassbar, wie viele Verletzte am Straßenrand lagen." Die Ereignisse in Worte zu fassen falle schwer, sagt er. Auch sein Sohn sei unter den Verletzten, habe das Krankenhaus aber zeitig wieder verlassen können. Schlimmer hätte es drei Mädchen aus der Gruppe seiner Kinder getroffen – eins sei gar mit Kopfverletzungen nach Bielefeld geflogen worden. &bdquo;Hiernach wird nichts mehr so sein wie zuvor", sagt er nachdenklich. Apotheker versorgt Verletzte Viele Passanten halfen am Unglücksort, wo sie konnten. So auch Gunther Böttrich. Gegenüber seiner Apotheke entfernen Feuerwehrkräfte eine dunkle Blutlache vor einem Hauseingang, die offenbar zuvor übersehen wurde. Böttrich wirkt niedergeschlagen. Seine Eindrücke und Emotionen hat er in einer Kurzinfo niedergeschrieben, für besorgte Bekannte – oder die Presse. Aus der Apotheke heraus hätten er und sein Team den Rosenmontagszug beobachtet, als sich die schrecklichen Ereignisse abgespielt haben, heißt es darin. Zahlreiche Verletzte seien in der Apotheke untergekommen – &bdquo;zeitweise über 40 Personen". Der Apotheker berichtet außerdem von Beobachtungen eines Bekannten. Demnach hätte der 29-Jährige mit seinem Mercedes an dem Tag bereits seitLängerem in Sichtweite zum späteren Tatort gestanden – so, als hätte er gewartet. Ob diese Information tatsächlich stimmt, konnte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft auf Anfrage nicht bestätigen. In einer Mitteilung vom Dienstagmorgen hieß es derweil, man ermittle wegen des Verdachts eines versuchten Tötungsdeliktes. Zu dem Motiv wurden keine Angaben gemacht. Eine weitere männliche Person wurde allerdings am Tatort vorläufig festgenommen. Ihr wird eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen vorgeworfen – &bdquo;wohl besser bekannt als 'Gaffer-Video'", sagte ein Polizeisprecher bei einer Pressekonferenz am Ort des Geschehens. Kein Zusammenhang zwischen Volkmarsen und Amoklauf in Hanau Dass der mutmaßliche 29-jährige Fahrer alkoholisiert gewesen sei, dementierte die Generalstaatsanwaltschaft. Ein möglicher Drogeneinfluss müsse geklärt werden. Betont wurde, dass es zwischen dem Vorfall in Volkmarsen und dem Amoklauf in Hanau mit elf Toten keinen Zusammenhang gibt. Von den Passanten, die an dem Tag unterwegs sind, will niemand den verdächtigten Mann kennen. Im Ort heißt es, der 29-Jährige sei zugezogen. Im Rahmen der ersten Ermittlungen sollen drei Gebäude durchsucht worden sein. Vor jedem der Grundstücke steht die Polizei – Zutritt verboten. Wer von der grausamen Tat im Ortskern nichts mitbekommen hat, der wirkt regelrecht froh darum. Der Schock, die Fassungslosigkeit – sie ist trotzdem nicht geringer. &bdquo;Sowas hier in Volkmarsen", sagt eine Frau, die unmittelbar am Tatort wohnt, den Vorfall jedoch nicht mitbekommen habe. Aber was macht so ein Vorfall mit den Menschen? Was löst er aus? Etwa Angst? Die Frau zögert. Sie schüttelt fassungslos den Kopf. &bdquo;Was soll man dazu noch sagen?"

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