Kinderpornografie: Warum Künstliche Intelligenz Polizisten nicht ersetzen kann

Düsseldorf. Die Sichtung von Fotos und Videos, die den Missbrauch von Kindern zeigen, ist für Polizisten eine besonders schwierige Aufgabe. Zum einen ist die Arbeit psychisch belastend und zum anderen gibt es mehr Material, als die Ermittler je sichten könnten. 2018 sind allein in NRW Tausende Terabyte an kinderpornografischem Material zusammengekommen. Laut NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) bräuchte ein Ermittler für die Sichtung der Daten 2.000 Jahre. Künstliche Intelligenz soll Ermittlern den Umgang mit der Datenflut erleichtern, doch bislang sind die Erfolge nach Angaben des Landeskriminalamtes (LKA) sehr überschaubar. "Aktuell ist eine Software im Einsatz, die neues Bildmaterial mit bereits vorhandenen Bildern aufgrund von Hashwerten mit der Datenbank des Bundeskriminalamtes abgleicht", erklärt Sven Schneider, Leiter der zentralen Auswertungs- und Sammelstelle Kinderpornografie im LKA NRW. "Hilfreich ist diese Software zur Datenreduktion, doch Ermittler können damit nicht ersetzt werden." Software erkennt Kinderpornografie nur in 30 bis 60 Prozent der Fälle Eine Software, die die menschliche Bewertung von Kinderpornografie komplett ersetzen kann, muss laut Schneider eine Erkennungsquote von 100 Prozent haben. "Doch so eine Lösung ist auch bei den großen IT-Riesen nicht in Sicht. Die Entwickler stehen noch am Anfang. Die Erkennungsrate liegt lediglich bei 30 bis 60 Prozent", sagt Schneider. "Aktuell würde deshalb die Gefahr bestehen, dass Abbildungen, die laufenden Missbrauch zeigen, übersehen werden." Schwierig ist diese Aufgabe allerdings nicht nur für die Software, sondern auch für die Ermittler, die Kinderpornografie sichten. "Zum einen müssen die Ermittler feststellen, ob das Material strafrechtlich relevant ist, was auch mit dem Alter der abgebildeten Kinder und Jugendlichen zu tun hat", erklärt Schneider. "Zum anderen müssen Ermittler feststellen, ob Opfer und Täter identifizierbar sind und, ob der Missbrauch noch läuft." Angesichts der leichten Verfügbarkeit von Kinderpornografie im Internet besteht laut Schneider immer die Gefahr, dass Kinderpornografie den noch andauernden sexuellen Missbrauch von Kindern dokumentiert. Polizei sichert allein im Fall Bergisch Gladbach 3.300 Datenträger Unter Kinderpornografie versteht die Justiz nicht nur sexuelle Handlungen von, an oder vor einem Kind unter 14 Jahren, sondern auch Aufnahmen von ganz oder teilweise unbekleideten Kindern in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung, erklärt ein Sprecher des Bundeskriminalamtes. "Auch die sexuell aufreizende Abbildung von den Genitalien oder des Gesäßes eines Kindes sind als Kinderpornografie zu bewerten." Seit 2015 wird auch das sogenannte Posing strafrechtlich verfolgt, auch wenn Kinder oder Jugendliche das Material selbst hergestellt haben. Ermittler stellen häufig zahlreiche elektronische Speichermedien wie Laptops, Festplatten oder Handys sicher, auf denen Millionen von Dateien gespeichert sein können. Im Zuge der Ermittlungen zu dem in Bergisch Gladbach entdeckten Kindesmissbrauch-Netzwerk sind mittlerweile 3.300 Datenträger sichergestellt worden. Weil diese Datenmengen immer größer werden, sind die Ermittler überfordert. Wie groß die Überforderung ist, verdeutlichen Zahlen aus dem NRW-Innenministerium von Juni 2019: Von 1.895 Verfahren waren nur 228 in der Datenauswertung. Zudem wurden 557 Durchsuchungsbeschlüsse zu diesem Zeitpunkt nicht vollstreckt. "Diese Zahlen zeigen klar: Die Ermittler schaffen es nicht, den riesigen Datenmengen Herr zu werden", sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). Mitte Juni hatte die mehr als 40.000 Köpfe zählende Polizei in NRW nach Angaben von Reul für den Deliktbereich Kinderpornografie nur 104 Expertenstellen. Deshalb plant der Innenminister eine Aufstockung des Personals: Alle 47 Kreispolizeibehörden sollen ihr Personal für diese Aufgabe künftig mindestens verdoppeln. Das LKA hat zur Sichtung von Kinderpornografie erstmals Zivilisten eingestellt Zur Unterstützung der Ermittler hat das LKA NRW zudem vor wenigen Wochen erstmals Zivilisten eingestellt, die Kinderpornografie sichten und bewerten. Das LKA hatte im Frühjahr nach 20 externen Mitarbeitern gesucht. Der aktuelle Missbrauchsfall, der seinen Beginn in Bergisch Gladbach nahm, ist die Bewährungsprobe für die neuen Mitarbeiter. "Wir haben 150 Bewerbungen erhalten und 20 qualifizierte und motivierte Bewerter eingestellt", erklärt Schneider. Aktuell läuft ein neues Verfahren zur Auswahl von 14 weiteren externen Mitarbeitern. "Voraussetzungen sind psychische Belastbarkeit, gute kognitive Fähigkeiten, Motivation, Technikaffinität und Teamgeist." Im Auswahlverfahren müssen sich Bewerber einem zweitägigen Programm stellen. "Wir arbeiten mit Psychologen zusammen, um die Belastbarkeit zu prüfen. Außerdem zeigen wir den Bewerbern einschlägiges Fotomaterial für eine realistische Darstellung der Tätigkeit und führen strukturierte Interviews, um Eignung und Motivation abzufragen", erklärt Schneider. "Die meisten Bewerber wollen mit ihrem Einsatz Kinder schützen." Der Missbrauchsfall Lügde wird in diesem Zusammenhang laut Schneider häufig genannt. "Der Fall Lügde ist herausragend, weil er wie kein anderer die öffentliche Wahrnehmung verändert hat." Fehlende Kontrolle von Bewerbern bei der Polizei Paderborn Unter den bisherigen 20 Bewertern sind laut Schneider 13 Frauen. "Das war kein Einstellungskriterium. Die Kandidatinnen waren im Vergleich zu anderen Bewerbern einfach besser geeignet. Aber es ist ein positiver Nebeneffekt, weil der Anteil an Pädophilen oder grundsätzlich an Gewalttätern bei Frauen deutlich geringer ist als bei Männern", erklärt Schneider. Das LKA sichert sich mit psychologischen Test ab, um das Risiko der Einstellung von Menschen mit einer pädophilen Neigung so gering wie möglich zu halten. "Doch leider besteht immer ein Restrisiko." Wie wichtig ein Auswahlverfahren mit strenger Kontrolle ist, zeigt ein Fall der Kreispolizei Paderborn. Dort wurde ein Regierungsbeschäftigter im November freigestellt, weil der Verdacht besteht, dass er Kinderpornografie besitzt. Der Mann wurde in Paderborn eingestellt, um die Polizei bei der Sichtung und Bewertung von Kinderpornografie zu unterstützen, obwohl im Kreis Lippe bereits gegen ihn ermittelt wurde, weil die Polizei Paderborn beim Auswahlverfahren nicht alle Möglichkeiten der Überprüfung genutzt hatte.

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