Norbert Walter-Borjans im Interview: „Man muss stehen für das, was man sagt“

Herr Walter-Borjans, warum sind Sie und Saskia Esken die besseren Parteichefs als Olaf Scholz und Klara Geywitz? Norbert Walter-Borjans: Es gibt zwei zentrale Gründe. Erstens: Es ist wichtig, dass die SPD wieder für Verteilungsgerechtigkeit sorgt, also dafür, dass die Kosten für die Leistungen des Staates nicht bei Klein- und Mittelverdienern hängen bleiben. Und zweitens: Es gibt ein Bedürfnis in breiten Teilen der Partei nach einem anderen Personal als jenem, das für die vergangenen Jahre steht. Olaf Scholz wird eben von vielen mehr mit Themen wie Hartz IV verbunden als mit Vermögensbesteuerung oder europaweiter Konzernbesteuerung. Aber Scholz steht doch beispielsweise dafür, dass die besonders Reichen den Soli weiter bezahlen müssen. Das ist doch klassisch sozialdemokratisch. Warum brauchen wir deshalb einen Anti-Scholz? Walter-Borjans: Natürlich gibt es eine Reihe von Punkten, bei denen sich die SPD in der GroKo durchgesetzt hat. Beispielsweise die Brücken-Teilzeit, also die Verbesserung bei der Rückkehr nach Teilzeitarbeit in den Beruf; der Rechtsanspruch auf Kinder-Ganztagsbetreuung oder die Rückkehr zur Parität bei der gesetzlichen Krankenversicherung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Die Handschrift der CDU kommt immer dann zum Vorschein, wenn dafür gesorgt wird, dass die Vermögenden am meisten profitieren. Aber es geht auch darum, dass wir wieder sozialdemokratische Visionen über die GroKo hinaus aufzeigen. Die Menschen müssen wieder wissen, wofür die SPD steht. Da eröffnen Saskia Esken und ich der Partei Alternativen zum bisherigen Weiter so, für die wir glaubhafter stehen können. Welche Eigenschaften sind für das Amt des SPD-Vorsitzenden die wichtigsten? Walter-Borjans: Glaubwürdigkeit und Standhaftigkeit. Man muss für das stehen, was man sagt. Außerdem muss man bewiesen haben, dass man sich mächtigen Lobby-Gruppen auch einmal entgegenstellen kann. Ich kann im Zusammenhang mit den Steuer-CDs und Schweizer Banken ein Lied davon singen. Und schließlich: Man muss Brücken bauen können. Brücken zu Kulturschaffenden, zu Wirtschaftsvertretern, zu Kirchen, zu Umwelt- und Friedensgruppen und nicht zuletzt zu Gewerkschaften. Sie haben bislang nie ein wichtiges Parteiamt bekleidet. Und jetzt wollen Sie gleich Vorsitzender werden? Walter-Borjans: Führungserfahrung kann man mir kaum absprechen. Sieben Jahre war ich Chef von 28.000 Finanzbeamtinnen und -beamten. Und dabei kam es übrigens – so wie heute in der SPD – darauf an, Spitze und Basis wieder zusammenzubringen. Außerdem habe ich sehr lange mit Personen gearbeitet, die Parteiämter ausgeübt haben. Ich kenne die Strukturen, bringe aber den Vorteil mit, nicht Teil der Strukturen zu sein. Immer dabei gewesen zu sein, kann auch ein Nachteil sein. Sie gelten als der Liebling der Linken in der Partei. Wie links sind Sie eigentlich? Walter-Borjans: Vor 40 Jahren hatte die untere Bevölkerungshälfte einen doppelt so hohen Anteil am Gesamteinkommen wie heute. Wenn es &bdquo;links" ist, die soziale Spaltung nicht länger zu akzeptieren, dann bin ich &bdquo;links". Ich sage: Das ist sozialdemokratisch! Klar ist, dass ich nicht in einer bestimmten Ecke stehe. Aus der könnte man auch keine Brücken bauen. Waren Sie eigentlich überrascht über die Aggressivität, mit der Olaf Scholz Sie beim Duell der beiden Bewerberpaare im Berliner Willy-Brandt-Haus am Dienstag attackiert hat? Walter-Borjans: Ich fand es gut, dass dabei die Unterschiede zwischen uns deutlich geworden sind. Saskia Esken und ich wurden von Olaf kritisiert, weil wir mit dem Grundrenten-Kompromiss nicht zufrieden seien. Es ist doch unbestritten, dass die Einigung ein Meilenstein ist. Aber wir machen uns doch nicht klein, wenn wir sagen: Wäre die SPD stärker in der Koalition, hätte es zwei Meilensteine gegeben. Bei Scholz und Klara Geywitz weiß jeder: Die wollen die Große Koalition fortsetzen. Bei Ihnen weiß man es nicht so genau. Wollen Sie bis 2021 drin bleiben oder nicht? Walter-Borjans: Ein planloser &bdquo;Groxit" – nennen wir es einmal so – ist definitiv nicht meine Haltung. Die Umfragewerte und die Bewertung der Koalitionsarbeit lassen aber kein Weiter so zu. Die Welt hat sich seit dem Abschluss des Koalitionsvertrags weitergedreht – und zwar rasant. Wer hätte vor gut zwei Jahren beispielsweise damit gerechnet, dass Fridays for Future zur größten Bewegung dieses Jahrzehnts wird? Wenn diese Koalition keine politischen Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit findet, wird es für sie schwer. Auch CDU und CSU werden ein Interesse daran haben, Antworten zu liefern. Wir müssen zur Halbzeit klären, was mit der Union geht und was nicht. Daran wird sich entscheiden, wie es mit der GroKo weitergeht. Wie beschreiben Sie den aktuellen Zustand der SPD? Walter-Borjans: Seit dem Ende der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder haben wir dramatisch an Wählerzuspruch verloren. Wir sind in drei Bundesländern unter zehn Prozent. Viele Menschen nehmen der SPD die Sozialdemokratie nicht mehr ab. Der momentane Erfolg der Grünen liegt auch daran, dass sie zurzeit viele Unzufriedene auffangen, die gemeinwohlorientiert sind, der SPD aber nicht mehr genügend Vertrauen entgegenbringen. Von denen können wir viele zurückgewinnen. Wichtig ist außerdem, dass wir Basis und Parteiführung wieder zusammenbringen, wie das auf der kommunalen Ebene übrigens immer noch funktioniert. Fühlen Sie sich ausreichend vom großen SPD-Landesverband NRW unterstützt? Walter-Borjans: Immerhin hat uns der Landesvorstand zu Beginn des Verfahrens einstimmig nominiert. Kurz: Ich spüre klare Rückendeckung – auch wenn das nicht jeder einzelne führende NRW-Sozialdemokrat offen sagt. Stimmt eigentlich das Gerücht, dass Juso-Chef Kevin Kühnert Generalsekretär der SPD wird, wenn Sie und Frau Esken Vorsitzende werden? Walter Borjans: Nein, es stimmt nicht. Mir macht echt Sorgen, dass so viele Leute glauben, Unterstützung gebe es nur, wenn man vorher einen Deal gemacht habe. Kevin Kühnert hat mir schon ganz früh gesagt, dass er es richtig gut fände, wenn ich mich bewerbe. Und da gibt es keine abgesprochene Gegenleistung.

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