Wie "divers" ist OWL?

Bielefeld/Gütersloh. "Verkäufer gesucht (m/w/d)", steht auf einem Schild im Schaufenster eines Bielefelder Bekleidungsgeschäfts. Wer Stellenanzeigen liest, stößt inzwischen nur noch auf die Angabe der drei möglichen Geschlechtsoptionen. Seit Jahresanfang können intersexuelle Menschen, also biologisch nicht eindeutig als Mann oder Frau einzuordnende Personen, ihr Geschlecht als "divers" eintragen lassen. Entschieden wurde diese Möglichkeit vom Bundesverfassungsgericht bereits am 10. Oktober 2017. Zuvor hatte eine Kampagnengruppe um die intersexuelle Vanja aus Leipzig geklagt. Eine stichprobenartige Umfrage von nw.de unter den sieben größten Standesämtern in Ostwestfalen-Lippe zeigt aber, dass bislang nur wenige Menschen dieses Recht in Anspruch genommen haben. Eine Antwort auf eine kleine Anfrage dreier parteiloser Abgeordneter an den NRW-Landtag zeigte im Juli, dass bis dahin landesweit 27 Personen als divers gemeldet waren. In OWL meldeten 13 Standesämter, dass Erklärungen zur Geschlechtsangabe angegeben wurden. Demnach änderten drei Männer und zwei Frauen ihr Geschlecht auf divers. Die Umfrage zeigt, dass seit dem wenigstens zwei Personen dazu gekommen sind. Denn auch in Detmold und Paderborn hat sich inzwischen je eine Person als divers gemeldet. Umtragungen zwischen den Geschlechtern kommen häufiger vor Öfter kommt dagegen eine Umtragung zwischen männlich und weiblich vor. So änderten bis zum Sommer sieben Männer ihre Geschlechtsangabe auf weiblich und 13 Frauen auf männlich. Zu der Liste des Landtags kommen noch fünf Fälle in Detmold und ein Fall im Bielefelder Standesamt hinzu. Auch Amber-Sophia Schröck aus dem Kreis Gütersloh hat die Möglichkeit genutzt. Sie wurde als Philipp Heinrich Richard geboren. Schon in der Schulzeit habe sie sich aber anders gefühlt. Mit 18 machte sie sich dann selbst auf die Suche nach einer Ursache dafür. Schließlich die Diagnose: Klinefelter-Syndrom. In der Regel wird darunter verstanden, dass ein Mann durch ein zusätzliches Chromosom zu wenig Testosteron bildet und dadurch beispielsweise zeugungsunfähig ist oder unter Entwicklungsstörungen leidet. Die Betroffenen definieren sich eher als Männer. Nicht so Schröck. Sie wird zur Frau. Und das seit diesem Jahr auch auf dem Papier. Auch wenn sie den Schritt gegangen ist, kann sie sich vorstellen, warum es so viele nicht tun: "Die Meisten lehnen den Begriff divers ab und benutzen die vierte Möglichkeit, das Geschlecht zu streichen", sagt sie. Auch habe sich seit der Einführung der zusätzlichen Geschlechtsoption wenig in der Wahrnehmung durch andere Menschen geändert. "Es wird zwar ein "d" geschrieben, aber kaum einer weiß, was es ist. Teilweise wird es mit "Ding" übersetzt." Krankenhäuser in OWL haben maximal zwei Geburten im Jahr mit uneindeutigem Geschlecht Wie häufig aber werden Kinder geboren, bei denen das Geschlecht nicht eindeutig bestimmt werden kann? Es gibt keine Übersicht, die solche Geburten erfasst. Auch, weil viele Eltern sich im Zweifel lieber für ein Geschlecht entscheiden, vermutet Christian Busse, Sprecher der Mühlenkreiskliniken."Das Thema wird als Tabu angesehen."Bislang hat nur ein Elternpaar in Lemgo sein Kind als divers gemeldet. Eine Umfrage unter den Krankenhäusern in OWL offenbart lediglich vereinzelte Fälle. Ein Arzt des Paderborner St. Vincenz-Krankenhauses mit 30 Jahren Berufserfahrung erinnert sich an keinen Fall. Im Klinikum Lippe gab es in diesem Jahr bislang einen Fall. Dort wurde laut Sprecher Christian Ritterbach ein Kind zunächst als Mädchen angesehen. Durch eine Analyse der Chromosomen habe sich allerdings herausgestellt, dass es auch das Y-Chromosom aufweise. Die Ärzte gingen daher davon aus, dass das Kind unter einer Hyposadie leide, einer angeborenen Fehlbildung im Bereich der männlichen Harnröhre. "Die weitere Diagnostik wird hier noch abgewartet", so Ritterbach. "Im Falle eines Ausbleibens einer anderen Diagnose wird hier auf jeden Fall eine Korrektur-OP in Richtung männliches Genital durchgeführt." Würde das Kind mit Merkmalen beider Geschlechter aufwachsen, wären mögliche gesundheitliche Folgen eine Narbenbildung, Inkontinenz, Unfruchtbarkeit oder psychosoziale Probleme. Eine OP bei Neugeborenen wird heute selten empfohlen Uwe Spiller, der Leitende Oberarzt des Klinikums Herford spricht von ein bis zwei Fällen pro Jahr. "In den letzten Jahren hat sich bei dem Umgang mit besonderen Geschlechtsentwicklungen viel getan." Als er in den 1990er-Jahren als Arzt angefangen hat, hätten die Eltern schneller ihr Kind als männlich oder weiblich eingetragen, heute würde man bei Unsicherheiten eher warten. "Am Anfang müssen eher die Eltern betreut werden", sagt Spiller. "Sie haben grundsätzliche Fragen und reduzieren das Kind auf sein Geschlechtsteil. Dabei ist das dem Kind in dem Alter noch egal." Später könne es aber recht bald sagen, welchem Geschlecht es sich eher angehörig fühle. "Es gibt aber noch viele Unsicherheiten bei dem Umgang damit", sagt Spiller. Die Ausprägungen der Geschlechtsentwicklung seien sehr unterschiedlich und noch habe man in der Medizin nicht alle verstanden. "Eine OP wird daher nur in eindeutigen Fällen empfohlen."

Meistgelesen