Sebastian Hartmann

Vorsitzender der NRW-SPD: "Überzeugende Inhalte statt taktischer Spielchen"

Interview: Seit einem Jahr steht Sebastian Hartmann an der Spitze der NRW-SPD. Im Gespräch mit dieser Zeitung spricht er über die Lage seiner Partei und seines Landesverbandes

Kämpft um Inhalte: SPD-Landesvorsitzender Sebastian Hartmann. | © picture alliance/dpa

Lothar Schmalen
13.06.2019 | 13.06.2019, 05:44

Herr Hartmann, ausgerechnet aus der Mitte der NRW-SPD hat sich die Initiative "Die wahre SPD" gegründet, die den Linksschwenk der SPD verhindern will. Ist das Kritik an Ihrer Arbeit?
Sebastian Hartmann: So verstehe ich die Zeitungsmeldungen bislang nicht. Dass jetzt eine Vielzahl von Stimmen zu hören ist, ist doch gut. Ich bin allerdings kein Freund von Linksruck- oder Rechtsruckdebatten. Was dahinter steht, ist das berechtigte Bedürfnis, endlich zu klären, wofür die SPD eigentlich steht.

Waren Sie überrascht von der Initiative?
Hartmann: Überrascht war ich nicht. Aber es war keine abgesprochene Aktion.

Wie finden Sie denn den Namen "Die wahre SPD"? Gibt es jetzt eine wahre und eine falsche SPD?
Hartmann:
Über die Namensgebung sollten Sie mit den Initiatoren selbst sprechen.

Braucht Ihre Partei nicht doch einen Links-Schwenk, um wieder erfolgreich zu sein?
Hartmann:
Die Kategorien links und rechts lenken vom wahren Problem ab. Wir müssen uns den neuen Herausforderungen in der Gesellschaft stellen, zum Beispiel den Auswirkungen der Digitalisierung. Je mehr Umbrüche entstanden sind, desto unklarer wurden unsere Positionen. Genau jetzt ist die SPD gefordert. Es ist zentrale Aufgabe Aufgabe der SPD, dafür zu sorgen, dass aus dem digitalen Fortschritt auch ein sozialer Fortschritt wird. Die Digitalisierungs-Rendite muss bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Portmonee laden und nicht in Spekulationsfonds der Internetgiganten in Silicon Valley.

Aber die neue Sozialstaatsdebatte und die Abkehr von Hartz IV empfinden viele als Links-Schwenk...
Hartmann:
SPD muss ein unverwechselbares und einzigartiges Profil entwickeln und ihre Rolle im Sieben-Partei-System neu definieren. Und die heißt: Wir wollen die Führungskraft im links-progressiven Lager sein.

Und daraus folgt dann, wenn man nicht wieder eine GroKo will, logischerweise ein rot-rot-grünes Bündnis?
Hartmann:
Bevor wir zu dieser Frage kommen, muss die SPD für sich selbst einen Führungsanspruch formulieren. Eigene, überzeugende Inhalte sind dabei wichtiger als taktische Koalitionsspielchen zur Unzeit. Wir müssen wieder in eine Position kommen, in der ohne die SPD nichts gestaltet wird. Und warum sollte es dann nicht verschiedene Optionen geben? Die SPD hat die liberale Idee der Freiheit verbunden mit der sozialen Emanzipation. In einer digitalen Gesellschaft beispielsweise müssen die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch die Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger geschützt werden. Gleichzeitig geht es um faire Wettbewerbsbedingungen auch mittelständischer Unternehmen. Das wäre doch ein guter Anknüpfungspunkt, auch für eine Ampelkoalition. Die übrigens in Rheinland-Pfalz sehr gut funktioniert.

Stichworte Digitalisierung, Globalisierung, Klimakrise, Sozialstaatsdebatte - braucht die SPD ein neues Grundsatzprogramm?
Hartmann:
Wir brauchen eine Aktualisierung unseres Programms. Ja. Denn die von Ihnen angedeuteten Entwicklungen sind in unserem bisherigen Programm noch nicht ausreichend berücksichtigt.

Was ist der Unterschied zwischen Aktualisierung und neuem Grundsatzprogramm?
Hartmann:
Die Erstellung eines neuen Grundsatzprogramms braucht mehrere Jahre Vorlauf und einen breiten, langangelegten Beteiligungsprozess. Diese Zeit hat die SPD momentan nicht. Aber natürlich haben wir Nachholbedarf bei den Themen Digitalisierung und globalem Klimaschutz. Gerade letzteres ist ja auch eine Frage der Solidarität mit den jüngeren und kommenden Generationen und auch eine Gerechtigkeitsfrage zwischen den Staaten - also wieder ein sozialdemokratischer Ansatz.

Teilen Sie die Forderung der der "wahren" SPD, dass jetzt erfolgreiche Kommunal- oder Landespolitiker an die Spitze der SPD treten sollten?
Hartmann:
Wir machen als NRW-SPD doch schon vor, wie es gelingen kann, erfolgreiche Kommunalpolitiker mit auf den Platz zu holen. Bei uns sind Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link, die Mönchengladbacher Beigeordnete Dörte Schall und die Gütersloher Vize-Landrätin Elvan Korkmaz stellvertretende Landesvorsitzende.

Herr Hartmann, seit genau einem Jahr sind Sie jetzt Vorsitzender der NRW-SPD. Ist der Job leichter oder schwerer als Sie vorher gedacht haben?
Hartmann:
Er macht noch mehr Freude als gedacht. Ich erlebe eine motivierte Partei mit vielen engagierten Mitgliedern, die sich mutig nach vorn kämpfen will.

Freude? Wie kann der Job Freude machen, wenn die Partei in den Umfragen immer nur im Sinkflug ist?
Hartmann:
Natürlich weht uns der Wind gerade voll ins Gesicht. Da heißt es jetzt kämpfen und die SPD wieder nach vorne bringen. Umfragen kommen und gehen.

Als sie gewählt wurden, war der Auftrag: Erneuerung der Partei. Was haben Sie denn schon geschafft?
Hartmann:
Wir sprechen nicht von Erneuerung, sondern von einer Fokussierung auf "Rot pur". Wir wollen nicht so ähnlich wie die Grünen, die CDU oder wie die Linke sein. Wir wollen Anker- und Bezugspunkt für andere sein. Und vor allem: Wir wollen reale Probleme von realen Menschen lösen. Beispiel: Wir haben es geschafft, dass das Thema „Bezahlbares Wohnen" zu einem der wichtigsten politischen Themen in diesem Land geworden ist. Es kann doch nicht angehen, dass sich eine Familie mit zwei Einkommen vielerorts keinen bezahlbaren Wohnraum mehr leisten kann, weil Grundstücke und Häuser zu Spekulationsobjekten geworden sind.

Sind Sie mit dem bisherigen Prozess zufrieden, oder gibt es auch Probleme, die noch nicht bewältigt sind - beispielsweise die nicht spannungsfreie Zusammenarbeit zwischen Landtagsfraktionsspitzeund Parteispitze?
Hartmann:
Alles braucht seine Zeit und jedes Zusammenspiel muss sich rütteln. Wir haben eine neue Landtagsfraktionsspitze, und ich habe im Juni 2018 zum ersten Mal landespolitische Verantwortung übernommen. Doch in diesem Punkt sind wir jetzt erheblich weiter als noch vor einigen Monaten. Durch die Großwetterlage nach der verlorenen Europa-Wahl ist es nicht einfacher geworden. Gerade jetzt heißt es Nerven bewahren und Orientierung zeigen.

Dass die NRW-SPD sich nicht positiver als die Gesamt-SPD entwickeln kann, sind also die Berliner schuld?
Hartmann:
Nein, Wegducken ist nicht. Die NRW-SPD wird sich nicht hinter der Gesamt-SPD verstecken. Im Gegenteil. Wir haben immer den Kurs maßgeblich mitbestimmt und sind ein Viertel der gesamten Bundespartei! Aber wir brauchen einen eigenständigen, landespolitischen Ansatz. Am Ende müssen wir für die Landtagswahl 2022 eine neue Idee für das Land entwickelt und ein neues, starkes Team beisammen haben.

Haben Sie schon einen Plan für das Verfahren bei der "Teambildung"?
Hartmann:
Mir schwebt ein Mitgliederentscheid vor. Im Gegensatz zur CDU, die ja den Nachteil hat, wieder mit Armin Laschet antreten zu müssen, kann es in der SPD einen spannenden SPD-Wettbewerb geben. Ich finde, die Mitglieder sollten zwischen mehreren Kandidatinnen und Kandidaten entscheiden können.

Mehr als zwei?
Hartmann:
Ja, möglichst mehr als zwei.

Was halten sie von dem Vorschlag von Herrn Lafontaine, die SPD und die Linkspartei zusammenzulegen?
Hartmann:
Ach, Oskar...