Viel zu wenig Schwimmkurse in OWL

Bielefeld. Alina Herzog (Name geändert) ist erleichtert. Soeben hat sie die Zusage bekommen für einen Platz im Schwimmkurs für Söhnchen Max. Geglaubt hat sie daran schon nicht mehr, haben die Herzogs doch ein Jahr lang gewartet. Und damit stehen sie nicht allein. "Wir können die Anfragen bei weitem nicht decken", sagt Rosemarie Kellermeier, Leiterin des DLRG-Bezirks nördliches Ostwestfalen. Drei Kurse pro Jahr bietet die Ortsgruppe Löhne zum Beispiel an, "aber der Kurs für September ist jetzt schon längst voll, der nächste beginnt erst im Januar." Macht schon ein dreiviertel Jahr Wartezeit. Wie viele Anfragen es gibt, weiß Kellermeier nicht, weil der DLRG aufgrund des Ansturms das Anmeldeverfahren geändert hat. "Das passiert jetzt alles online, weil wir teilweise mit drei Leuten Telefonate entgegen genommen und zwei bis drei Wartelisten parallel geführt haben." Wird die Warteliste online zu lang, schließt sie sich automatisch und man kann sich nicht mehr eintragen. Vereine sitzen auf dem Trockenen Noch prekärer ist die Situation in Höxter. Dort bietet der DLRG gar keine Anfängerschwimmkurse an. "Schwimmausbildung außerhalb des Vereins können wir nicht mehr bereitstellen", sagt der Vorsitzende der Ortsgruppe, Uwe Schreiner. "Wir sitzen hier im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Trockenen." Denn in Höxter gibt es seit rund zehn Jahren kein Hallenbad mehr, zum Training müssen die entsprechenden Vereine in die umliegenden Gemeinden fahren - zum Beispiel ins 15 Kilometer entfernte Vörden. "Dort haben wir aber sehr späte Trainingszeiten bekommen, die für Schwimmanfänger nicht geeignet sind, wir zahlen Eintritt und die Spritkosten - das rechnet sich alles für uns nicht." Mit Bädern ist Bielefeld zwar reichlich ausgestattet. Doch umgerechnet auf die Zahl der Schwimmanfänger reicht die Anzahl auch in der Großstadt nicht. Zwei Jahre Wartezeit gibt deshalb zum Beispiel der TSVE Bielefeld aus. "Wir empfehlen Eltern, ihre Kinder mit drei Jahren bei uns anzumelden, dann können sie im passenden Alter von fünf mit dem Schwimmen anfangen", sagt Sportkoordinator Meinhard Schinner. "Das nutzt natürlich all denen nichts, die kommen, wenn das Kind schon knapp fünf Jahre alt ist." Viel zu wenig Wasserflächen Rund 40 Anfragen bekommt der Verein im Monat. Pro Kurs werden aber nur sieben, maximal acht Kinder aufgenommen. 40 Stunden, umgerechnet ein Jahr, investiert der TSVE in ein Kind, bevor es als sicherer Schwimmer entlassen wird. Schinner: "Das ist ein einfaches Rechenbeispiel, dass das vorn und hinten nicht passt." Grundsätzliches Hauptproblem: Es gibt zu wenig Wasserflächen. "Dieses Bild haben wir überall in der gesamten Bundesrepublik", sagt Martin Holzhause, stellvertretender Pressesprecher im DLRG Bundeszentrum. "Seit 20 Jahren werden laut Bäderatlas der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen rund 80 Bäder im Jahr geschlossen. Das rächt sich jetzt." Zumal die Vereine mit vielen anderen um die Wasserzeiten konkurrieren: Schulen, Kitas und Wassergymnastik-Gruppen sind nur einige davon. Zweites Problem: der Entwicklungsstand vieler Schwimmanfänger. "Wir müssen die heutzutage überhaupt erstmal an das Element Wasser gewöhnen, weil die Eltern mit ihren Kindern nicht mehr schwimmen gehen", sagt TSVE-Koordinator Schinner. "Da kommen nochmal etliche Kursstunden dazu, die früher überhaupt nicht nötig waren, weil viele Kinder anfangen zu weinen, sobald sie ein paar Spritzer ins Gesicht kriegen." Zwölfjährige Schwimmanfänger In Löhne müssen die DLRG-Mitglieder mittlerweile außerdem einen Teil der Plätze im Anfängerkurs für Kinder reservieren, die bereits elf oder 12 Jahre alt sind. "Das ist hier bei uns wirklich dramatisch", sagt Rosemarie Kellermeier. Eine Forsa-Umfrage belegt das Problem bundesweit: Hier ergaben die Aussagen befragter Eltern, dass 59 Prozent der 10-Jährigen nicht sicher schwimmen können. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den Todeszahlen durch Ertrinken wider, die der DLRG jedes Jahr ermittelt. So ertranken 2018 26 Kinder im Vorschul- und Grundschulalter und auch in den Vorjahren war die Zahl der Todesopfer im Kindesalter höher als in früheren Jahren. Das Ergebnis führt zum dritten Problem der Thematik: der Qualitätssicherung. "Schwimmen einfach mal husch-husch lernen ist nicht", sagt DLRG-Sprecher Holzhause. "Deshalb ist es auch Quatsch, der großen Nachfrage mit Schnellkursen entgegenwirken zu wollen oder die Verantwortung auf die Schulen abzuwälzen. Was außerdem passieren kann, wenn bei Schwimmkursen an Personal gespart und zu viele Kinder aufgenommen werden, zeigt der schlimme Fall aus Bad Oeynhausen. Hier ertrank ein Sechsjähriger im Schwimmkurs - der Schwimmlehrer hatte vorher aber darauf hingewiesen, dass die Gruppe zu groß sei für eine Aufsichtsperson. Auch sprechen sich auch alle gelernten Ausbilder ausdrücklich gegen die Möglichkeit aus, einfach dem eigenen Kind das Schwimmen beizubringen, wenn man keinen Kursplatz kriegt. "Menschen, die nicht gelernt haben, anderen Schwimmen beizubringen, wissen nichts über die Techniken und die Methodik", so DLRG-Sprecher Holzhause. Privatangebote sind doppelt so teuer Für viele Eltern bleiben deshalb nur die Angebote von Privatanbietern. Die sind dann aber meist gleich mindestens doppelt so teuer. Ein Bielefelder Vergleich: Kostet der Schwimmkurs beim TSVE für drei Monate rund 50 Euro, zahlen Eltern in der Schwimmschule von Sportlehrer Bernhard Rossa 95 Euro für 10 Einheiten à 45 Minuten. Im Ishara sind es 133,50 Euro für 15 Einheiten. "Das ist aber auch verständlich", sagt TSVE Koordinator Schinner. "Denn zum Beispiel die Anmietung der Wasserbahnen, die im Verein oft von den Kommunen übernommen werden, muss der private Anbieter auf die Kursgebühr draufschlagen." Wie aufwendig es ist, alternative Schwimmkursangebote zu organisieren, weiß auch Victoria Praedicow, Mitarbeiterin im Bereich Jugendsport beim Sportbund Bielefeld. Sie hat mit der Bürgerstiftung das Projekt Safe Kids ins Leben gerufen, in dem 200 Grundschüler schwimmen lernen. Dafür mussten die Organisatoren allerdings einiges auf sich nehmen: Lücken in den Wasserzeiten der Bäder finden, Schwimmlehrer mit entsprechenden Zertifikaten anheuern, Buslogistik zum Transport auf den Weg bringen. "Und so kostet einmal Seepferdchen pro Kind 100 Euro", sagt Praedicow. "Einfach mal so einen Schwimmkurs abhalten, das geht eben nicht."

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