Düsseldorf

Streit um Stichwahl bei Bürgermeister- und Landratswahlen

Bislang brauchen Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte bei ihrer Direktwahl die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Die seit 2017 regierende CDU/FDP-Koalition will sie nun wieder abschaffen.

Rechtswissenschaftler warnen vor der Abschaffung der Stichwahl. | © dpa

Lothar Schmalen
15.02.2019 | 15.02.2019, 21:00

Düsseldorf. Auch der von den Regierungsfraktionen selbst benannte Experte, Rechtswissenschaftler Hinnerk Wißmann von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, konnte CDU und FDP nicht wirklich helfen. Er reihte sich ein in die Phalanx der juristischen Experten, die starke verfassungsrechtliche Bedenken gegen die erneute Abschaffung der Stichwahl bei den Bürgermeister und Landratswahlen in NRW äußerten.

Dabei schonte Wißmann die Initiatoren der dritten Wahlrechtsänderung in puncto Stichwahl innerhalb von zehn Jahren noch, in dem er „nur" darauf hinwies, dass der bisherige Gesetzentwurf nicht ausreiche, um vor dem NRW-Verfassungsgericht Bestand zu haben. Die Abschaffung der Stichwahl sei schlicht zu wenig begründet, meinte der Professor aus Münster.

Bislang brauchen Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte bei ihrer Direktwahl die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Erreicht kein Kandidat sie im ersten Wahlgang, gibt es eine Stichwahl zwischen den beiden Bestplatzierten. Dieses System galt seit der Einführung der Direktwahl 1994 in NRW, wurde dann aber von CDU/FDP-Regierung unter Ministerpräsident Jürgen Rüttgers abgeschafft. Die darauf folgende rot-grüne Landesregierung unter Hannelore Kraft führte die Stichwahl wieder ein, die seit 2017 regierende CDU/FDP-Koalition unter Ministerpräsident Laschet will sie nun wieder abschaffen.

Bielfelds OB argumentiert für die Stichwahl

Vor dem Münsteraner Wißmann hatten auch schon Martin Morlok, Rechtswissenschaftler aus Düsseldorf (von den Grünen benannt) und Frank Baetge, Rechtswissenschaftler an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW (von der SPD benannt) vor der Abschaffung der Stichwahl gewarnt . Am klarsten formulierte Morlok: „Sie werden ein heftiges Demokratie-Problem bekommen", sagte er. Es werde Bürgermeister geben, die mit 30 Prozent oder noch weniger Stimmenanteil gewählt seien. Sie hätten dann mehr Stimmen gegen sich als für sich und würden den Makel eines „Minderheiten-Bürgermeisters" nicht mehr los.

Auch Bielefelds Oberbürgermeister Pit Clausen (SPD) argumentierte für die Stichwahl. Als OB („das schönste Amt direkt nach dem Papst") sei er nicht nur gewählter Abgeordneter, sondern Chef der Verwaltung und damit für alles Verwaltungshandeln verantwortlich. In dieser herausgehobenen Position brauche er eine besondere Legitimation, die durch eine absolute Mehrheit besser herzustellen sei als durch eine relative.

Eigentlich waren es nur die politisch festgelegten Vertreter von CDU und FDP, die die Abschaffung der Stichwahl befürworteten. Das galt für den Paderborner CDU-Landtagsabgeordnete Bernhard Hoppe-Biermeyer, den Sprecher der liberalen Kommunalpolitiker, Stemwedes Bürgermeister Kai Abruszat, den Paderborner Kreisdirektor Ulrich Conradi (CDU) wie auch den Sprecher der Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU in NRW, Markus Klaus. Sie alle führten die geringe Wahlbeteiligung als Argument gegen die Stichwahl ins Feld. Dadurch werde die Legitimation der Gewählten nicht größer, sondern kleiner – ein Argument, das Alexander Trennheuser von der überparteilichen Initiative „Mehr Demokratie" gleich wieder entkräftete. Nur weil die Wahlbeteiligung bei Europawahlen vergleichsweise gering sei, würden sie nicht abgeschafft.

Der stellvertretende Chef der SPD-Landtagsfraktion, Christian Dahm (Vlotho), kündigte an, seine Fraktion werde, wenn das Gesetz wie geplant verabschiedet werde, Klage vor dem Verfassungsgericht in Münster einreichen. Sollten CDU und FDP bei ihren Plänen bleiben, drohen auch noch in anderer Hinsicht Probleme. In Stolberg bei Aachen und Lage (Lippe) finden gemeinsam mit der Europawahl Bürgermeisterwahlen statt. Selbstverständlich gingen bei der Aufstellung der Kandidaten alle noch von dem bisher geltenden Wahlrecht aus.

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Beispiel Landratswahl in Lippe

Welche Auswirkungen die Abschaffung der Stichwahl haben kann, zeigt ein Blick auf die Landratswahl in Lippe von 2015. Dort löste SPD-Mann Axel Lehmann Amtsinhaber Friedel Heuwinkel (CDU) nach einem deutlichen Sieg bei der Stichwahl ab. Im ersten Wahlgang hatte Heuwinkel mit 49,6 Prozent deutlich vor Lehmann (42,6) gelegen. Der Grünen-Kandidat erzielte im ersten Wahlgang 7,9 Prozent. Die Wahlbeteiligung bei der Stichwahl: 32,9 Prozent. Nach dem geplanten neuen Wahlrecht wäre Heuwinkel also jetzt noch im Amt.