
Bielefeld. Gewalt gegenüber Frauen ist in Deutschland alltäglich – das belegen nicht zuletzt die aktuellen Zahlen des Bundeskriminalamts (BKA). Jeden Tag versucht im Schnitt ein Mann in Deutschland, seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu töten. In 147 Fällen ist dieser Versuch im Jahr 2017 traurige Realität geworden. Fast 140.000 Fälle von Gewalt in der Partnerschaft wurden 2017 angezeigt. Darunter Vergewaltigungen, Körperverletzungen, Stalking und sexuelle Nötigung.
Nur jedes fünfte Opfer sucht überhaupt Hilfe – die Dunkelziffer liegt also um ein Vielfaches höher. Tatsächlich sind vermutlich Hunderttausende von Gewalt in der Partnerschaft betroffen – mehr als 80 Prozent von ihnen sind Frauen. „Das ist in einem modernen, fortschrittlichen Land wie Deutschland eine fast unvorstellbare Größenordnung", sagt Frauenministerin Franziska Giffey (SPD).
Angst um das eigene Leben
In manchen Fällen führt die Gewalt dazu, dass Frauen ihr eigenes Umfeld verlassen, vor dem gewalttätigen Partner fliehen, womöglich sogar das Bundesland verlassen müssen. Teilweise fühlten sich die Frauen nicht nur bedroht, sondern hätten gar Angst um ihr Leben, sagt Meike Meinert, Mitarbeiterin im Autonomen Frauenhaus in Bielefeld.
Rund fünf bis zehn Anfragen würden sie im Frauenhaus pro Woche bekommen, schätzt die Sozialarbeiterin. Viele müssten abgewiesen werden – zu häufig seien schlicht keine Plätze mehr frei. Ein Problem sieht Meinert darin, dass die Aufenthaltsdauer immer länger werde. Üblich sei ein Durchschnitt von drei Monaten, oft würden die Frauen danach aber keine bezahlbare Wohnung finden und dann doch länger bleiben. Optimal sei das nicht. Schließlich sei das Frauenhaus eine Anlaufstelle für akute Notsituationen.
Zu wenig Anlaufstellen
SPD-Politikerin Giffey setzt sich für einen Ausbau der Hilfeangebote in Frauenhäusern ein. Derzeit könnten in den bundesweit 350 Frauenhäusern und 600 Fachberatungsstellen pro Jahr rund 30.000 Frauen betreut werden. „Das reicht nicht", ist sie überzeugt. 2020 sollen 35 Millionen Euro in ein Aktionsprogramm gegen Gewalt an Frauen fließen und Länder wie Kommunen beim Ausbau von Hilfsstrukturen unterstützen.
Eine große Problematik im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt besteht darin, dass sich viele Opfer keine Hilfe suchen. Und wenn, dann haben sie oft schon einen jahrelangen Leidensweg hinter sich. Bei vielen stelle sich das Gefühl ein, sie müssten das aushalten, erklärt Meinhart. Eine Rolle würde auch spielen, wie gut die Frauen in ihr soziales Umfeld eingebunden seien. Je mehr Kontakte die Betroffene außerhalb der Familie habe, desto eher schaffte sie es in der Regel, sich jemandem anzuvertrauen. Grundsätzlich sei häusliche Gewalt aber ein Thema, das sich in allen sozialen Schichten finden lasse.
Erste Anzeichen wahrnehmen
Cornelia Krüger, stellvertretende Leiterin des Kommissariats Prävention und Opferschutz der Polizei Bielefeld, rät dazu, in einer Partnerschaft bereits erste Anzeichen bewusst wahrzunehmen und gegebenenfalls früh und nach Wunsch anonym eine Beratungsstelle aufzusuchen. Solche Anzeichen könnten sein, dass der eigene Partner einen kontrolliert, soziale Kontakte einschränkt oder verbale Gewalt ausübt. Warnsignale, die man ernst nehmen sollte. Als erste Anlaufstelle empfiehlt Krüger beispielsweise das „Netzwerk Bielefelder Opferhilfe".
Eine gewisse positive Entwicklung hat die Psychotherapeutin Gitte Weier in diesem Jahr verzeichnet. Sie arbeitet in der Beratungsstelle der Arbeitsgemeinschaft der Gleichstellungsbeauftragten im Kreis Gütersloh und hat den Eindruck, es seien mehr Frauen zur Beratung gekommen. „Das hat sicherlich auch mit der verstärkten öffentlichen Debatte zu tun", ist sie überzeugt. Sie denkt da an die #MeToo-Bewegung und das damit einhergehende stärkere Bewusstsein dafür, dass man nicht alles mit sich machen lassen müsse.
Junge, männliche Täter
Einen Schwerpunkt auf die Beratung im Falle sexualisierter Gewalt legt beispielsweise der Frauennotruf Bielefeld. Frauen, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind, würden teilweise zunächst versuchen, das Thema zu verdrängen oder alleine damit zurecht zu kommen. Nach einigen Wochen oder Monaten würde ihnen dann oftmals bewusst, wie sehr sie die Situation belaste, sagt Melanie Rosendahl, Leiterin der Einrichtung. Im Jahr 2017 verzeichnete der Frauennotruf fast 1.500 Beratungskontakte.
Was sind das für Männer, die ihre Partnerin schlagen, misshandeln, gar töten? Die meisten sind den Angaben des BKA zufolge noch recht jung, 30 bis 39 Jahre alt. Zwei von drei Verdächtigen in 2017 hatten einen deutschen Pass. „Sie kommen aus allen sozialen Schichten", sagt Julia Reinhardt, stellvertretende Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt. Menschen mit schlechten Schulabschlüssen seien genauso darunter wie Hochgebildete. Die Gefahr sei jedoch höher, wenn Alkohol, Geldsorgen und psychische Probleme ins Spiel kämen.