Reportage aus dem Hafen von Catania - "Diciotti-Flüchtlinge" treten in Hungerstreik

Catania. Sie sind vor Krieg und Hunger geflohen; im Mittelmeer fast ertrunken; von ihren Familien getrennt - und jetzt treten sie freiwillig in den Hungerstreik. Wie schlecht muss es den Flüchtlingen an Bord der "Diciotti" gehen, wenn sie nach all dem Leid nun tatsächlich auch noch auf ihr Essen verzichten? Beantworten kann die Frage wohl niemand. Denn die 150 Menschen, die seit Montag auf dem Schiff der Küstenwache gefangen gehalten werden, sollen so gut es geht von der Außenwelt abgeschirmt werden. Eine Mischung aus Trotz und Resignation ist für einen kurzen Augenblick in ihren Gesichtern zu erkennen, während die Flüchtlinge am Geländer der "Diciotti" stehen. Sie schauen geradewegs in die vielen Fernsehkameras, die rund 80 Meter entfernt von einer Mauer aus das Geschehen filmen. Wirkten die Flüchtlinge bis Donnerstag noch überwiegend in sich gekehrt, scheinen sie am fünften Tag im Hafen von Catania der Welt ein Zeichen setzen zu wollen. "Seht her, wir sind noch immer hier. Ihr könnt uns nicht einfach so vergessen." Ein paar Straßen weiter: Gleichgültigkeit Den Eindruck aber bekommt man in einigen Gesprächen, wenn man etwas weiter in den Ort eintaucht, weg vom Hafen, weg vom Tourismus. Hier, inmitten von bröckelnden Hauswänden, überfüllten Straßen und schmutzigen Vorgärten, schwirren die Einwohner wie in einem Bienennest umher. Mittendrin ist das Restaurant von "Santa", einem netten älteren Herrn. Die Tische sind voll mit Gästen, es ist laut und heiß. Ob man derzeit häufig über das Flüchtlings-Elend am Hafen spreche? Santa zieht seine Lippen zusammen, schüttelt den Kopf, sagt, dass das hier kaum jemand mitbekomme - und dreht sich wieder um. Auch draußen vor der Tür, dort, wo gerade ein paar starke Jungs in Unterhemden mitten auf dem Bürgersteig drei alte Autos reparieren, liegt wenig Solidarität in der Luft. Hier gebe es doch eh schon wenig Arbeit, sagt einer von ihnen. Und wenn das so weitergehe, gebe es in Catania bald mehr Flüchtlinge als Einheimische. Eine Aussage, die Italiens Innenminister Matteo Salvini wohl ein Lächeln ins Gesicht zaubern würde. Schlimme Zustände an Bord der "Diciotti" Der zeigt sich weiter unnachgiebig, fordert beim Thema Flüchtlinge mehr Unterstützung der EU. Befragt man in Catania Menschen nach Salvini, fällt immer wieder der Name Donald Trump. Die beiden hätten viel gemeinsam, heißt es oft. Geht es nach Salvini, bleiben die 150 Flüchtlinge noch weiter an Bord der "Diciotti". Wie schlimm die Zustände dort sein müssen, wird deutlich, wenn man nach den Minderjährigen fragt. 27 unbegleitete Kinder und Jugendliche durften das Schiff vor wenigen Tagen verlassen. Seitdem werden sie - aufgeteilt - in sozialen Einrichtungen behandelt, sollen langsam wieder "sozialisiert" werden. Gut geschützt leben sie aktuell im Ort, um Trauma und Angst aufzuarbeiten. Einige seien zwei Jahre lang in den Sammellagern in Libyen festgehalten worden. Mit ihnen sprechen darf derzeit niemand, doch Betreuer Marco Pisano weiß, wie es ihnen geht. "Schlecht", lautet seine kurze Antwort. 14 von ihnen sind in der Einrichtung Don Bosco untergebracht, einer Art Erstaufnahme, wo sie 60 Tage bleiben dürfen. Alle kommen aus Eritrea, sagt Pisano. Die Jugendlichen sähen nach ihren Hunger-Strapazen aus wie Skelette, einer von ihnen sei in "kritischem Zustand", komme wohl ins Krankenhaus. Nach den 60 Tagen wechseln sie in andere Einrichtungen in Catania, dann wird Pisano einige betreuen. Der junge Mann ist für sie Lehrer und Helfer zugleich, ein netter Kerl, mit leuchtenden Augen. Ziel sei es, die Minderjährigen zusammenzulassen, ihnen vielleicht sogar eine Arbeit und Schule zu vermitteln. Doch viele von ihnen würden weiterziehen. "60 Prozent setzen sich in Richtung Norden ab", sagt Pisano. Deutschland, Frankreich, Niederlande - das sind die Ziele der jungen Flüchtlinge, trotz geringer Erfolgsaussichten. Ein paar Kilometer weiter, im Hafen von Catania, tut sich unterdessen nicht viel. Die abgeschirmten Flüchtlingshelfer versuchen noch immer, zu dem Schiff zu gelangen. Die Polizei ist stärker. Dann, am frühen Abend, zeigen sich ein paar italienische Politiker. Die EU-Länder hätten sich bei ihrem Krisen-Treffen in Brüssel nicht einigen können, wer die Flüchtlinge nun aufnimmt, sagen sie in die Fernsehkameras. Irgendwer wird das wenig später den 150 Flüchtlingen an Bord mitteilen müssen. Wie werden sie sich fühlen?

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