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Überfüllte Frauenhäuser in NRW: Wenn Opfer keinen Schutz bekommen

Die Frauenhäuser in NRW müssen Tausende Frauen abweisen. Andrea B. hatte Glück, sie ist im Bielefelder Frauenhaus unterkommen, nachdem ihr Partner sie fast tot geprügelt hat.

In Sicherheit: Eine Frau hat Zuflucht in einem Frauenhaus gefunden. Die Standorte der Einrichtungen werden geheim gehalten, um die Bewohnerinnen zu schützen. | © picture alliance

Carolin Nieder-Entgelmeier
17.07.2018 | 17.07.2018, 12:00

Bielefeld/Düsseldorf. Sie fürchten um Leib und Leben, um das Wohlergehen ihrer Kinder und müssen trotzdem von Frauenhäusern abgewiesen werden, weil die Einrichtungen in NRW überfüllt sind. Seit Jahren steigt die Zahl der Frauen, die auf der Flucht vor gewalttätigen Männern keinen Platz im Frauenhaus findet. 2017 mussten landesweit 7.358 Aufnahmegesuche abgelehnt werden. Auch in OWL sind aktuell sechs der zehn Frauenhäuser belegt. Andrea B. (Name von der Redaktion geändert) hatte Glück, sie hat Zuflucht im Frauenhaus Bielefeld gefunden und fasst nach Jahren in einer gewalttätigen Beziehung neuen Lebensmut.

Mit einem Schädel-Hirn-Trauma, mehreren Brüchen im Gesicht und einem schwer geschädigtem Auge wacht Andrea B. vor acht Monaten im Krankenhaus auf. Ihr Freund hat sie nach 15 Jahren Beziehung fast tot geschlagen. „Das war der Moment, in dem mir klar wurde, dass ich meinen Partner verlassen muss. Ich hatte Angst um mein Leben", erzählt Andrea B.

Über mehrere Jahre wird Andrea B. von ihrem Partner misshandelt. „Er hat mich gedemütigt, geschlagen, getreten, gewürgt und mit einem Messer verletzt", sagt Andrea B. Nach acht glücklichen Jahren in der Beziehung ändert sich mit dem Tod ihres Vaters auch das Zusammenleben mit ihrem Partner. „Es ging nur noch um das Geld aus dem Erbe meines Vaters." Anfangs wird Andrea B. verbal attackiert, doch dabei bleibt es nicht: „Immer dann, wenn ihm seine Argumente ausgingen, schlug er zu. Die Beziehung war ein ständiges Auf und Ab."

»Der Schritt ins Frauenhaus kostet viel Mut, aber er rettet Leben.«

Rückblickend sagt Andrea B., dass sie von ihrem Partner abhängig war. „Ich war nicht krankenversichert, hatte keine eigene Wohnung und konnte auch finanziell nicht auf eigenen Beinen stehen." Auch in ihrem Umfeld findet sie kaum Unterstützung. „Familie und Freunde konnten nicht verstehen, dass ich ihn nicht verlasse oder sagten mir, dass es für die Schläge schon Gründe gibt." Andrea B. schämt sich, traut sich mit blauen Flecken im Gesicht nicht mehr raus.

Als Andrea B. vor acht Monaten schwer verletzt im Krankenhaus erwacht, fasst sie den Entschluss ihren Peiniger zu verlassen. „Nach sechs Wochen im Krankenhaus habe ich dann einen Platz im Bielefelder Frauenhaus bekommen." In der Einrichtung findet sie Schutz, Ruhe und Hilfe. „Ich fühle mich wohl und bin dabei, mir wieder ein eigenes Leben aufzubauen." Seit sechs Monaten lebt sie mit zehn Frauen und Kindern in dem anonymen Zufluchtsort. Hier haben Bewohnerinnen wie Andrea B. die Zeit, zur Ruhe zu kommen, zu sich selbst zu finden und Hilfe zu bekommen. „Der Schritt kostet viel Mut, aber er rettet Leben."

Täglich melden sich im Frauenhaus Bielefeld Gewaltopfer wie Andrea B. Beatrice Tappmeier und ihre drei Kolleginnen müssen Schutzsuchende jedoch häufig an andere Hilfsangebote verweisen, weil die Zimmer belegt sind. „Die Zahl der Betten in den Frauenhäusern in NRW reicht einfach nicht aus. Seit Jahren ist das Problem offensichtlich, aber an der Struktur des Problems ändert sich nichts", moniert Tappmeier, die seit 28 Jahren Gewaltopfer im Frauenhaus betreut.

Frauenhäuser in NRW haben Platz für 571 Frauen und 618 Kinder

In NRW finanziert das Land aktuell 62 Frauenhäuser mit 571 Plätzen für Frauen und 618 Plätzen für Kinder. In diesem Jahr zahlt das Land zusätzlich 500.000 Euro, allerdings unter Auflagen. Aus einer Absichtserklärung geht hervor, dass sich Frauenhäuser verpflichten müssen, die Langzeitaufenthalte um 20 Prozent zu reduzieren, wenn sie die Förderung erhalten wollen. „Gewalterfahrungen verändern einen Menschen, deshalb benötigen manche Frauen mehr Zeit zurück in ein normales Leben", weiß Tappmeier. „Im Einführungsgespräch sage ich Frauen immer, dass sie so lange bleiben können, bis sie genug Kraft haben, um wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Diesen Satz möchte ich nicht streichen, weil sonst enormer Druck entstehen würde."

Im Durchschnitt leben Bewohnerinnen drei Monate im Frauenhaus. Dass die nicht immer ausreichen, weiß auch Andrea B. „Ich versuche, Schritt für Schritt meinen Weg in ein eigenständiges Leben zu gehen, aber das kostet Zeit, weil die Gewalt nicht spurlos an mir vorbei gegangen ist."

Neben der Frage nach der Verweildauer der Bewohnerinnen im Frauenhaus wird Tappmeier auch häufig die Frage gestellt, ob wirklich alle Bewohnerinnen einen so hohen Schutz benötigen. „Ich finde diese Fragen verachtend, denn keine Frau nimmt ein Leben mit Einschränkungen in der Anonymität in Kauf, wenn sie den Schutz nicht auch wirklich benötigt."

Für die optimale Betreuung von Gewaltopfern sind laut Tappmeier eine Aufstockung der Plätze in den Frauenhäusern nötig, aber auch die Schaffung von differenzierten Wohnangeboten und einer Clearingstelle, die Frauen Schutz und den Weg zum passenden Angebot bietet. Ein weiteres Problem ist laut AWO im Kreis Lippe der Wohnungsmarkt. „Die Frauen, die nicht mehr auf den besonderen Schutz angewiesen sind, finden häufig keine Wohnungen, was dazu führt, dass die Plätze nicht frei werden", sagt Geschäftsführer Detlef Stall.

INFORMATION


Hilfsangebote

In OWL gibt es zehn Frauenhäuser, davon zwei in Bielefeld. Das AWO-Frauenhaus wird vom Land finanziert und das Frauenhaus Bielefeld von der Kommune. Über freie Plätze bundesweit informiert ein Portal.

Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen" unter Tel.: 0 80 00 11 60 16 bietet zudem anonyme Beratung.