Welche Auswirkungen hat die Trennung der Eltern auf die Kinder?

Bielefeld/Bremen. Der Psychologe Stefan Rücker will in einer Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums herausfinden, wie der Weg zum Umgangsrecht im Sinne des Kindeswohls verbessert werden kann. Für Befragungen sucht Rücker getrennte Eltern und betroffene Kinder. Im Interview spricht er über die Folgen von Trennungen für Kinder. Herr Rücker, das Bundesfamilienministerium hat Sie mit der Studie &bdquo;Kindeswohl und Umgangsrecht" beauftragt. Was wollen Sie herausfinden?Stefan Rücker: Wir wollen herausfinden, wie der Weg zu einer Umgangsregelung nach der Trennung der Eltern im Sinne von Kindern verbessert werden kann. Jedes Jahr sind in Deutschland rund 200.000 minderjährige Kinder von der Trennung ihrer Eltern betroffen. Dabei kommt es oft zu Streit und Kinder leiden. Deshalb suchen wir bundesweit 1.200 getrennte Eltern und betroffene Kinder, die über ihre Situation sprechen, denn sie sind die Experten. Welche Auswirkungen haben Trennungen auf Kinder?Rücker: Im Nachgang jeder Trennung wird die Frage gestellt, zu welchen Anteilen welcher Elternteil das Kind oder die Kinder betreuen darf. An dieser Frage entzünden sich häufig Konflikte, die Kinder nicht nur extrem belasten, sondern auch psychisch krank machen können. Belastend sind dabei auch wiederholte Befragungen vor Gericht oder im Jugendamt, wenn sich Eltern juristisch um das Sorgerecht streiten. Oft kommt es zu dabei zu Suggestivfragen, wie ’Wen hast du lieber, Mama oder Papa?’ Das bringt Kinder in Loyalitätskonflikte und hat nichts mit der Sorge um das Kindeswohl zu tun. Welche Ursachen haben psychische Krankheiten von Trennungskindern?Rücker: Die Trennung der Eltern ist für Kinder in aller Regel ein einschneidendes Erlebnis, das insbesondere junge Kinder psychisch oft nicht integrieren können. Das kann zum Beispiel dazu führen, dass junge Kinder wieder einnässen, weil sie sich unbewusst nach einer Zeit sehnen, in der beide Elternteile da waren. Viele Kinder haben zudem Verlassensängste. Sie fürchten sich davor, dass nicht nur ein Elternteil auszieht, sondern auch der Zweite. Viele Kinder suchen die Schuld bei sich und passen sich äußerlich hochgradig an, um dem verbleibenden Elternteil so gut wie möglich zu gefallen, obwohl sie sich innerlich in einem chronischen Alarmzustand befinden. Der hohe Stresslevel lässt sich sogar auf biochemischer Ebene nachweisen und kann negative Auswirkungen auf die Entwicklung haben. Manche Trennungskinder haben Schwierigkeiten in der Schule oder entwickeln eine Störung im Sozialverhalten. Ältere Kinder, vor allem Mädchen, reagieren häufig mit Essstörungen auf die Belastungen, und manche Trennungskinder leiden im späteren Leben unter Depressionen. Merken Eltern, wie sehr Kinder unter der Trennung leiden?Rücker: Nicht immer, weil sich viele Kinder präventiv anpassen, aus Angst beide Elternteile zu verlieren. Viele verbleibende Elternteile berichten stolz vom problemlosen Verhalten ihres Kindes und merken nicht, wie sehr es unter Stress steht. Das darf man Eltern aber nicht zum Vorwurf machen, da sie keine Psychologen sind, die das Verhalten als Überlebensstrategie erkennen würden. Deshalb ist es so wichtig, dass ein Bewusstsein dafür geschaffen wird, was es für Kinder bedeutet, wenn sich Eltern im Streit trennen oder den jeweils anderen Elternteil negativ darstellen. In unseren Interviews mit getrennten Eltern und den betroffenen Kindern ist deutlich geworden, dass viele Mütter und Väter vor dem Kind schlecht über ihren ehemaligen Partner sprechen. Kinder werden so zur Waffe im Trennungsstreit und haben zwei Probleme. Erstens fragen sie sich, welchen Elternteil sie überhaupt noch lieb haben dürfen und zweitens reden sie sich ein, dass auch sie schlecht sein müssen, wenn sie von zwei schlechten Menschen abstammen. So leidet auch das Selbstwertgefühl. Sind Trennungen grundsätzlich schlecht für Kinder? Es gibt Familien, die nach einer Trennung glücklicher sind.Rücker: Die Trennung der Eltern ist für ein Kind generell ein belastendes Erlebnis. In manchen Fällen ist die Trennung aber das kleinere Übel. Wie zum Beispiel, wenn der Vater gewalttätig ist. Es gibt aber keinen Determinismus, der besagt, dass jede Trennung ein Kind belastet oder gar krank macht. Viele Familien lösen Trennungen mit einem hohen wechselseitigen Betreuungsanteil, so dass Kinder zu stabilen Persönlichkeiten heranwachsen. Es gibt aber leider eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass Kinder durch Trennungen Schaden nehmen. Was sind die größten Fehler, die Eltern während einer Trennung machen können?Rücker: Eltern sollten sich nicht vor dem Kind streiten. Ich weiß, dass man damit die Quadratur des Kreises verlangt, doch Streit auf der Elternebene belastet Kinder. Man muss Eltern deutlich machen, dass sie die schmalen Schultern ihrer Kinder zum Austragungsort ihrer Konflikte machen. Obwohl Eltern im Interesse ihres Kindes handeln wollen, hat das Kindeswohl nicht mehr oberste Priorität. Wie können Eltern ihre Kinder vor den Belastungen schützen?Rücker: Es würde schon reichen, wenn Eltern ihre Probleme nicht vor den Kindern austragen und es unterlassen, ihren ehemaligen Partner negativ zu porträtieren. Kinder, die ständig hören, wie schlecht Mutter und Vater sind, sind extrem belastet. Wichtig ist zudem, dass Eltern Beratungsangebote nutzen. Mütter sind dafür in der Regel auch aufgeschlossen, doch Väter steigen häufig aus, weil sie meinen, dass eine kontinuierliche Mediation nichts bringt. Dabei wird Eltern in solchen Beratungen deutlich gemacht, was sie ihren Kindern zumuten, und wie sie ihr Verhalten im Sinne des Kindeswohls anpassen können. Für eine kindeswohl-sensibel ausgestaltete Trennung sollten sich Eltern vor Beratungsangeboten nicht verschließen. Sie führen mit getrennten Eltern und betroffenen Kindern Interviews. Wie gehen Sie vor?Rücker: Wir haben ein Methodenset entwickelt und nutzen unter anderem ein standardisiertes Interview. Bislang haben zehn geschulte Kinderpsychologen und Sozialpädagogen 600 Interviews geführt. Mit Kindern unter sechs Jahren machen wir spielerische Entwicklungstests, um die soziale, kognitive, sprachliche, emotionale und motorische Entwicklung zu überprüfen und um herauszufinden, ob Betreuungsmodelle Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben. Ältere Kinder fragen wir nach ihrer aktuellen Situation, allerdings nicht konfrontativ und nur dann, wenn wir wissen, dass das Kind stabil genug für Befragungen ist.

Meistgelesen