Bielefeld Bielefelderin kämpft gegen kulturelle Barrieren in der Medizin

Bielefeld. Medizin und Migration – das bedeutet für Ärzte und Patienten, dass das unterschiedliche Verständnis von Gesundheit und Krankheit häufig zu Kommunikationsproblemen führt. Die Folge: Frustration und Verzweiflung auf beiden Seiten und mitunter eine erfolglose Behandlung. Die Akademie für medizinische Fortbildung der Ärztekammer Westfalen-Lippe und der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe bietet Medizinern deshalb die Fortbildung &bdquo;Transkulturelle Medizin" an. Die Psychiaterin Solmaz Golsabahi-Broclawski hat das Curriculum entwickelt und fordert insbesondere einen offeneren Umgang mit Sexualität. Die Bielefelderin behandelt unter anderem Patienten, die sich selbst bestrafen, wenn sie an Sex denken. &bdquo;Die Interaktion zwischen Ärzten und Patienten ist durch unterschiedliche Normen und Werte kulturell geprägt. Kulturelle Barrieren erschweren die Behandlung erheblich", erklärt Golsabahi-Broclawski. Die Psychiaterin leitet das medizinische Institut für transkulturelle Kompetenz in Bielefeld und ist zweite Vorsitzende des Dachverbands der transkulturellen Psychiatrie. Sie ist überzeugt, dass transkulturelle Kompetenz mit Blick auf den Flüchtlingszustrom und die wachsende Zahl von Menschen mit Migrationsgeschichte eine immer größere Rolle im klinischen Alltag spielt. &bdquo;Die Vielfalt der deutschen Gesellschaft sollte auch in der Ausbildung von Ärzten eine Rolle spielen, um die Qualität von Behandlungen zu verbessern", fordert die Bielefelderin mit österreichischen und persischen Wurzeln. Dabei gehe es nicht nur um das Ausräumen kultureller Barrieren, sondern auch um das Gewinnen von Verständnis und die Vermittlung von Spielregeln. Verständnis von Sexualität spielt eine wichtige Rolle &bdquo;Insbesondere das Verständnis von Sexualität spielt in der transkulturellen Medizin eine wichtige Rolle", sagt Golsabahi-Broclawski. &bdquo;Die Anfragen rund um das Thema steigen und es scheint so, als ob unsere Gesellschaft damit völlig überfordert ist, trotz oder gerade wegen des freien Zugangs zu allen möglichen Informationsquellen." Die Übergriffe an Silvester in Köln lassen sich ebenso mit einem gestörten Verhältnis zur Sexualität erklären wie viele psychische Erkrankungen. &bdquo;Obwohl Sex ein Grundbedürfnis von Menschen ist, spielt es im Austausch von Ärzten und Patienten eine untergeordnete Rolle", moniert Golsabahi-Broclawski. Dabei habe ein unerfülltes Sexualleben Auswirkungen auf Körper und Psyche. &bdquo;Deshalb spreche ich mit meinen Patienten, egal welcher Herkunft, immer über Sex, auch in Gruppentherapien." Die gesellschaftliche und familiäre Tabuisierung des Themas und die damit verbundene Unterdrückung der Sexualität können zu psychischen Erkrankungen wie Depressionen führen, aber auch zu Aggressionen oder Ängsten. &bdquo;Ich habe Patienten, die aufgrund ihrer Sozialisation in streng religiösen Gesellschaften Sex als Sünde empfinden und sich selbst bestrafen, wenn sie an Sex denken, weil die Angst gewaltig ist", erklärt Golsabahi-Broclawski. Die Bielefelderin behandelt auch Patienten, die glauben, dass sie aufgrund ihrer sexuellen Bedürfnisse nicht normal sind. &bdquo;Normalität wird zur Perversion." Insbesondere in monotheistischen islamischen, christlichen oder jüdischen Gesellschaften fehlen jungen Menschen Leitfiguren. &bdquo;Über Sex wird nicht gesprochen, die Sexualität darf nicht ausgelebt werden und das macht wütend", sagt Golsabahi-Broclawski. &bdquo;Wenn Menschen, die so sozialisiert wurden, neu in einem Land wie Deutschland leben, müssen sie mit den Spielregeln vertraut gemacht werden, wie zum Beispiel, dass Augenkontakt noch kein Flirten ist."