Bielefeld

Wie die digitale Technik den Unterricht revolutionieren kann

Zum Start der "Didacta" in Köln spricht der Präsident des gleichnamigen Bildungsverbandes über neue Ansätze wie die Ko-Konstruktion

16.02.2016 | 16.02.2016, 07:00
Bildungsexperte: Wassilos Fthenakis, Präsident des Didacta Verbandes.
Bildungsexperte: Wassilos Fthenakis, Präsident des Didacta Verbandes.

Bielefeld. Am Dienstag beginnt Deutschlands größte Bildungsmesse, die „Didacta", in Köln. Der Präsident des Didacta-Verbands, Wassilos Fthenakis, erklärt im Interview mit Lennart Krause, 
wie neue Technologien im Klassenzimmer den Unterricht in Zukunft verändern werden.

Herr Fthenakis, die Welt der Technik hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Die Schule hingegen wirkt oft noch wie eh und je. Warum lässt die digitale Revolution im Klassenzimmer auf sich warten?
Wassilos Fthenakis:
Weil sie erst der dritte Schritt einer Reihe von Revolutionen im Bildungssystem ist, an denen wir arbeiten. Da die Bundesregierung und die Bundesländer in der Vergangenheit nicht den Mut aufbrachten, das Bildungssystem auf die Möglichkeiten durch Technologien vorzubereiten, haben wir im Vergleich zu anderen Ländern großen Nachholbedarf.

Was wäre nötig?
Fthenakis:
Wir müssen den methodisch-didaktischen Ansatz verändern. Es geht darum, dass Kinder gemeinsam mit den Fachkräften, mit anderen Kindern und Erwachsenen den Bildungsprozess gestalten. Der didaktische Ansatz der Ko-Konstruktion geht davon aus, dass sowohl das Kind als auch andere Kinder und Erwachsene den Bildungsprozess aktiv moderieren. Damit verändert sich die Qualität der Fachkraft-Kind-Beziehung: Sie begleitet nicht und sie unterstützt nicht, sondern gestaltet aktiv den Bildungsprozess mit. Die Ko-Konstruktion ist der erste Ansatz, der keine passiven Partner kennt. Wir wissen inzwischen, dass er die höchste Bildungsqualität sichern kann.

Information

Zur Person

  • Wassilos Fthenakis ist 78 Jahre alt.
  • Der gebürtige Grieche studierte unter anderem Pädagogik und Psychologie.
  • Seit 2006 ist er Präsident des Didacta-Verbandes.
  • Er ist Sachverständiger des Bundesverfassungsgerichts in Fragen des Kindschafts- und Sorgerechts.


Wie kann moderne Technik dabei sinnvoll eingesetzt werden?
Fthenakis:
Neue Technologien können das Bildungssystem auf eine Art revolutionieren, die wir uns noch gar nicht vorstellen können. Aber schon jetzt steht fest: Die Technologien haben den Klassenraum längst gesprengt. Sie erweitern ihn und machen ihn weltumspannend. Und so werden sie auch den Unterricht revolutionieren.

Etwas exakter bitte.
Fthenakis:
Bereits heute müssen wir den Bildungsprozess vom Lehrer-Kind-Verhältnis zum Lehrer-Kind-Computer-Verhältnis erweitern. Human-Computer spielen eine aktive Rolle bei der Organisation von Bildungsprozessen. Sie dokumentieren und geben Feedback und helfen, den Lernprozess zu individualisieren.

Klingt kryptisch. Was soll man sich unter einem erweiterten Klassenraum vorstellen?
Fthenakis:
Anstelle des individuellen Lernens präferieren Kinder und Jugendliche das kooperative Lernen. Dies kann in der Schule gestärkt werden – in ganz neuen Dimensionen. Eine Klasse aus Deutschland und eine aus Korea können den Bildungsprozess kooperativ gestalten und ihn mit ihren jeweiligen Erfahrungen bereichern. Kinder lernen so mit Kindern aus einem anderen Sprach- und Kulturraum, gemeinsam Probleme zu lösen. Virtuelle Spaziergänge bringen die Welt ins Klassenzimmer.

Was können neue Programme und Technologien beitragen?
Fthenakis:
Sie sind in der Lage, zwei Prinzipien besser gerecht zu werden: Zugang zur Bildung für Kinder, die ihnen auf klassischem Wege verschlossen bliebe, und die Individualisierung des Lern- und Bildungsprozesses. Sie erleichtern zudem die Aufgaben der Fachkräfte: Sie gewährleisten eine bessere Dokumentation der Lernfortschritte. Und sie können genutzt werden, virtuelle Kompetenz bei den Kindern zu stärken, die ihnen eine Teilhabe an der virtuellen Welt eröffnet. Um das zu erreichen, sollten Fachkräfte durch zusätzliche Qualifizierung unterstützt werden. Dies muss mit einer Reform der Ausbildung einhergehen, die überfällig ist.

Liegt es am Geld, dass Deutschland einen Nachholbedarf hat?
Fthenakis:
Mehr Geld ist notwendig, um Schulen mit der notwendigen Infrastruktur und der Software auszustatten. Wichtiger ist auch, unsere Haltung modernen Technologien gegenüber zu überprüfen. Die bisherige Entwicklung, in der versucht wurde, die Technologien lediglich ins Bildungssystem zu integrieren, befriedigt nicht. Auf diese Weise stabilisieren wir ein reformbedürftiges Bildungssystem. Vielmehr sollten die genuinen Chancen, die die virtuelle Welt selbst bietet, stärker genutzt werden, um eine Alternative zum Bildungssystem, mindestens jedoch eine signifikante Ergänzung und Erweiterung bereitzustellen.

Was braucht die Revolution als nächsten Schritt?
Fthenakis:
Mut für Reformen. Und es muss ein Umdenken stattfinden. Die Bildungswirtschaft bietet mehr Möglichkeiten, als derzeit genutzt werden. Wir präsentieren sie auf der Bildungsmesse. Zudem haben wir den Arbeitskreis „Bildung und Technologie" gegründet, in dem Experten aus Wissenschaft und Bildungswirtschaft Lösungen erarbeiten für die anstehenden Entwicklungen einleiten. Eine Herausforderung, für die es aber keine Alternative gibt, wenn man Kinder zukunftsorientiert bilden möchte.