Vom Wert eines Menschenlebens

Bielefeld/Paderborn. Die Lufthansa bietet den Hinterbliebenen 25.000 Euro Schmerzensgeld für jedes Opfer. Ist das angemessen? Ungern äußern sich Versicherungen dazu. Ein Experte hat es gegenüber der NW dennoch getan, will aber anonym bleiben.Nach Angaben des Experten handelt es sich bei den 25.000 Euro um das vererbte Schmerzensgeld der Toten. Dabei habe sich die Lufthansa an Vergleichsfällen der deutschen Rechtsprechung orientiert. "Die Summe ist im Vergleich zu anderen Katastrophen großzügig", so der Fachmann. Die Angehörigen dagegen sprechen in einem Brief an die Lufthansa von einer Beleidigung.Neben den 25.000 Euro erhält jeder nächste Angehörige eines Opfers 10.000 Euro für den erlittenen Schmerz. Diese Summe geht an Eltern, Partner, Kinder und Geschwister. "Bislang werden Angehörige in Deutschland für den Verlust eines Menschen überhaupt nicht entschädigt", so der Experte. Sie bekommen nur dann eigenes Schmerzensgeld, wenn sie selbst krank werden. Trauer zähle nicht als Krankheit. "Lufthansa verzichtet auf die Überprüfung eines ärztlichen Attests und zahlt die 10.000 Euro pauschal."Fiktives Beispiel Das Schmerzensgeld ist ein immaterieller Anspruch. Hinzu kommt der materielle: Die Lufthansa hat jeder Familie 50.000 Euro als Soforthilfe überwiesen. Insgesamt zahlt sie so für jedes Opfer mindestens 85.000 Euro. "Zusätzlich gibt es weitere Ansprüche", so der Versicherungsexperte.Familien, die ein Kind verloren haben, bekommen weniger als jene, deren Hauptverdiener starb. "Kinder haben kein Einkommen, von dem jemand abhängt. Eltern schon." Bei Hauptverdienern kann die Entschädigung in Millionenhöhe liegen.Die Fluggesellschaft hat ein fiktives Beispiel veröffentlicht: Starb beim Absturz ein 45-jähriger Vater, der Frau und zwei Kinder hinterlässt und ein Nettojahreseinkommen von 60.000 Euro hatte, zahlt die Lufthansa als Verdienstausfall 660.000 Euro. Außerdem übernimmt der Konzern für alle Kinder von Opfern die Ausbildungskosten bis zum Ende des 27. Lebensjahres.Höhe des Schmerzengeldes je nach Land unterschiedlich Weitere sechs Millionen Euro stehen für Hilfsprojekte bereit. Die Lufthansa würde selbst dann zahlen, wenn ein Verschulden an dem Unglück zu 100 Prozent ausgeschlossen werden kann. "Die Airlines, deren Maschinen am 11. September 2001 von Terroristen ins World Trade Center gesteuert wurden, haben auch Schmerzensgeld und Schadenersatz gezahlt." Dem liege ein internationales Abkommen der Fluggesellschaften zu Grunde.Beim Germanwings-Absturz kamen 150 Menschen aus 16 Nationen ums Leben. Der Hauptversicherer, die Münchner Allianz, muss sich mit 16 unterschiedlichen Rechtslagen auseinandersetzen. "Die Höhe des Schmerzensgeldes fällt je nach Land anders aus, aber grundsätzlich zu behaupten, dass etwa spanische Familien mehr Geld erhalten, ist falsch", sagt der Versicherungsexperte.Es bleibt die Frage nach dem subjektiven Empfinden? "Die Hinterbliebenen haben das Gefühl, dass ihnen Unrecht geschehen ist. Deshalb fordern sie ausgleichende Gerechtigkeit", sagt der Philosoph und Ethikexperte Ralf Stoecker von der Universität Bielefeld."Schmerz ist nicht messbar" Doch wie kann ausgleichende Gerechtigkeit beziffert werden? "Darauf gibt es keine pauschale Antwort, aber als Hinterbliebener würde ich die Summe in Relation stellen und mich fragen: Wie viel Wert haben 25.000 Euro überhaupt?" Klar sei, dass ein Menschenleben nicht mit Geld bemessen werden kann."Schmerz ist nicht messbar", sagt Ruth Hagengruber, die an der Universität Paderborn einen Lehrstuhl für Philosophie innehat: "Deshalb stellt sich auch nicht die Frage, wie viel ein Menschenleben wert ist." Möglich sei aber, das Leid mit Schmerzensgeld anzuerkennen und so die Welt, die aus den Fugen geraten ist, wieder etwas gerader zu rücken.Schmerzensgeld habe eine Sühnefunktion, sagen Stoecker und Hagengruber. "Wenn ein Ungleichgewicht nicht durch direkte Wiedergutmachung auszugleichen ist, wird der Gerechtigkeit Genüge getan, indem der Ausgleich geschieht", erklärt Hagengruber.Säkulare Gesellschaften forderten bei Unrecht einen Ausgleich. Dafür sei Geld ein geeignetes Mittel. Für Stoecker haben die Hinterbliebenen einen moralischen Anspruch und "sehen den Schuldigen, hier die Fluggesellschaft, in der Verpflichtung, ihr Leid zu mindern".

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